Ulrich Ernst war ein Allrounder in der Stadtverwaltung, zuständig für Soziales, Bildung, Sport, Kultur, Gesundheit. Jetzt geht’s in Rente.

Mülheim. Wenn der Ulrich Ernst 2019 Abitur machen würde und vor der Berufswahl stände – was dann?

Ich würde wieder das Gleiche machen, das Gleiche studieren, also Sozialwissenschaften, Geschichte und Philosophie.

Ihr Berufsleben schloss mit der Position als Sozial-, Bildungs-, Jugend-, Gesundheits-, Kultur- und Sportdezernent. Eine gelungene Mischung?

Der Reiz bestand für mich in der Bündelung. Die Handlungsfelder gehören inhaltlich für mich unbedingt zusammen.

In welcher Rolle haben sich am wohlsten gefühlt?

In allen. Und als Sozialdezernent hat sich für mich am Ende der Kreis sogar geschlossen: Ich habe als 17-Jähriger in einer Obdachlosen-Einrichtung gearbeitet.
Auf was blicken Sie am Ende Ihrer Dezernentenzeit zufrieden zurück oder wo sehen Sie die Erfolge?

Da denke ich etwa an das U25-Haus, wo wir versuchen, jungen Menschen einen guten Weg ins Leben zu bereiten. Oder ich denke an die frühe Unterstützung von Kindern und ihren Familien. Oder an die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Gerade das war eine großartige Leistung von vielen Menschen, die in der Stadt kooperiert haben. So vieles wurde schnell möglich gemacht, wofür man sonst lange Zeit braucht. Alle Probleme wurden irgendwie weggeschafft. Das war ein großes Stück Gemeinsamkeit, wie man es nur ganz, ganz selten erlebt.

Was hätte Sie gerne erlebt und haben es nicht?

Ich hätte gerne die eine oder andere neue Schule eröffnet.

Immerhin konnten Sie viele sanieren.

Im Schnitt haben wir auch einen guten Zustand an vielen Schulen und Sporteinrichtungen erreichen können. Aber es war und ist unglaublich aufwendig angesichts unserer Kassenlage. Es ist noch viel zu tun, es kommt ständig Neues hinzu. Jede Liste mit Sanierungsvorhaben ist im Grunde bereits obsolet, wenn sie erschienen ist.

Haben Sie darunter gelitten, immer sparen zu müssen, nie das Tun zu können, was eigentlich gerade jetzt erforderlich wäre?

Ich erinnere mich an meine erste Konsolidierungsdiskussion in Mülheim. Das war 1994. Seitdem hat sie uns immer begleitet. Ich habe es als sehr einschränkend empfunden, nicht über Gestaltung reden zu können, sondern immer nur darüber: Wie bekommen wir das irgendwie hin? Gerade bei den Schulen könnte man, wenn man das Geld hätte, ganz anders bauen und gestalten. Ich freue mich, dass es uns mit der Stinnes-Stiftung gelingt, zumindest mal an einer Schule ein Lernhaus-Konzept wie in München zu realisieren. Das wird an der Brüder-Grimm-Schule sein.

Jenseits der Haushaltsmisere – wo sehen Sie die größte Herausforderung für die nächsten Jahre?

Darin, wie wir es schaffen, dass Kinder und Jugendliche, die es nicht so leicht haben, den Anschluss finden, nicht auf der Strecke bleiben. Wir können es uns nicht leisten, auch nur auf ein einziges Kind zu verzichten. Gerade volkswirtschaftlich gesehen: Die Gesellschaft wird in den nächsten Jahren noch viel höhere Transferleistungen als jetzt aufbringen müssen, um alte Menschen mit einer auskömmlichen Rente auszustatten. Da können wir uns hohe Transferleistungen für junge Menschen nicht auch noch leisten. Es ist zwingend erforderlich, dass wir sozial benachteiligte Kindern darin unterstützen, einen guten Weg ins Leben und ins Berufsleben zu schaffen. Darauf Antworten zu finden, ist für mich auch ein wichtiger Bestandteil einer sozialdemokratischen Sozialpolitik von heute.

Und was noch?

Eine Antwort auf die Frage: Wie können wir es hinbekommen, dass die mittlere Generation nicht zwischen Kinder-Erziehung, pflegebedürftigen Eltern, ihrem Beruf und immer höheren finanziellen Belastungen zerrieben wird? Um diese Fragen muss sich die Sozialpolitik auch drehen, nicht nur um die Reform von Hartz IV.

Ihr Jahrgang muss bis 65 Jahre sieben Monate arbeiten. Das haben Sie bis zuletzt erfüllt. Was nun?

Ich habe meine Arbeit immer mit viel Leidenschaft getan, immer mit dem Ziel, für die Menschen etwas besser zu machen. Ich war seit Jahren nie außer Dienst. Hatte oft monatelang kein einziges Wochenende mal frei. Ich freue mich darauf, dass ich nichts tun muss. Ich kann, ich darf. Eine tolle Vorstellung.

Sie dürfen sich über Ihre Altersversorgung freuen. Wie nehmen Sie die Renten wahr, wo die Betroffenen nicht wissen, wie sie die nächste Mieterhöhung überstehen?

Die soziale Spreizung der Gesellschaft setzt sich leider im Alter fort, sogar noch extremer. Und Mülheim ist eine Stadt, in der die soziale Spaltung besonders ausgeprägt ist. Und in der sie sich auch besonders konturiert räumlich abbildet.

>>> WÜRDIGUNG FÜR ERNST IM STADTRAT

Im Stadtrat würdigte zuletzt Oberbürgermeister Ulrich Scholten die Verdienste von Ulrich Ernst, der 2008 zum Dezernenten gewählt worden war. Stets sei es Ernst ein Ansinnen gewesen, für gute und gleiche Lebensbedingungen für alle Bürger der Stadt einzutreten, so der OB.

„Mit Uli Ernst verlieren wir einen Dezernenten, der große Fußstapfen hinterlassen wird“, so Scholten. Mit seiner Arbeit habe Ernst „in einer Liga gespielt, die ihresgleichen sucht“. Ernst gab den Dank weiter an seine Mitarbeiter. Die hätten „einen riesen Job gemacht“.