Mülheim. . Für die Theatertage im Mai hätte das Auswahlgremium auch ohne Probleme 13 Aufführungen auswählen können. Die Entscheidung fiel schwer.

2018 war ein starker Jahrgang, das hatte sich schon frühzeitig abgezeichnet. Das fünfköpfige Auswahlgremium um ihren Sprecher Stephan Reuter, der erstmals in der Runde dabei ist, hatte Schwerstarbeit zu leisten. 126 Uraufführungen waren zu sichten. Quantitativ hält sich das in einem vergleichbaren Rahmen, aber qualitativ sind viele herausragende Theaterabende dabei. „Wir hätten gut 13 Stücke nominieren können, ohne uns schämen zu müssen“, sagte der Schweizer Theaterkritiker. Schmerzlich fiel die Entscheidung, welches Stück nicht in den Wettbewerb gelangt, bei dem es vom 11. bis 30. Mai um den mit 15.000 Euro dotierten Dramatikerpreis geht.

Auffällig ist, wie viele politisch gefärbte Stücke auf die Bühne gelangten – von der finsteren Zukunftsvision über den Zerfall des Alten Europa bis zu Recherchen zur neuen Rechten, die mal betont sachlich, mal blank satirisch erscheinen konnten. „Sucht man den inneren Zusammenhang der acht ausgewählten Stücke, dann landet man unweigerlich bei den existenziellen Konflikten der liberalen Gesellschaft. Man landet mitten in der Mittelschicht“, erläutert Reuter.

Bettina Milz (Kulturministerium), Werner Mink (Sprecher Kinderstücke, Bericht folgt), Stephan Reuter und Festivalchefin Stephanie Steinberg
Bettina Milz (Kulturministerium), Werner Mink (Sprecher Kinderstücke, Bericht folgt), Stephan Reuter und Festivalchefin Stephanie Steinberg © Eberhard

Formal am außergewöhnlichsten ist „Disko“ von Wolfram Höll, der schon zwei Mal den Dramatikerpreis gewonnen hat. An dem Text hat er zwei Jahre gefeilt, ihn in eine Excel-Tabelle mit neun Spalten gequetscht, in der es fast unaufhörlich Bums, Tschick, Bam, Klatsch heißt. Aber von diesen Äußerlichkeiten und den pulsierenden Beats der Leipziger Uraufführung sollte man sich wohl nicht abschrecken lassen. Die Disco wird zum Spiegelbild der Gesellschaft und die Aufnahme der Flüchtlinge, die in einem Blutbad endet, wobei Autor und Regisseur unterschiedliche Personen zum Täter machen. „Eine bizarre Parabel auf das beschämende Ende der deutschen Willkommenskultur“, hieß es in der Süddeutschen.

Dass sich Elfriede Jelinek zum 20. Mal in der Auswahl befindet, hat nichts mit Anhänglichkeit der Juroren zu tun. „Die Autorin packt wieder so bewundernswert scharfsinnig einen Stoff, schüttelt ihn durch und lässt nicht locker, bis niemand mehr an der Verkommenheit der westlichen Zivilgesellschaft zweifelt“, so Reuter. Sexuelle Übergriffe im österreichischen Skisport sind der Ausgangspunkt für „Schnee Weiss“, aber ihre Assoziationen führen sie zur Religion mit Nietzsche, Freud und Oskar Panizza als Stichwortgeber.

Lucky Luke und Superman

Wie Jelineks Text, so ist auch Sibylle Bergs Stück in Köln uraufgeführt worden, in der Regie des bildmächtigen, erst 32-jährigen Ersan Mondtag, der zwischen den führenden Theaterhäusern herumgereicht wird. Er packt in einer Gesellschaft, in der die Künstliche Intelligenz die Macht übernommen hat, die Spezies Mensch in ein Museum. „Der Mensch denkt, die Maschine lenkt“, scheint die neue Losung zu sein, nachdem sich der Freizeit suchende Mensch selbst dem Untergang preisgeben hat. Wie Berg ist auch Konstantin Küspert Träger des Zuschauerpreises. In seinem Episodenstück treten Lucky Luke, Dagobert Duck, Superman, die Freiheitsstatue und Super Mario auf die Bühne und machen beim Abgesang auf den „Westen“ mit. Die Schlüsselszene des Stück, das Sibylle Broll-Pape am Theater Bamberg realisierte, zeigt, wie ein russischer U-Offizier während der Kuba-Krise den dritten Weltkrieg verhinderte, was sich Küspert nicht ausgedacht hat.

Titelverteidiger Thomas Köck wieder dabei

Von Thomas Köck, den Titelverteidiger, wie ihn Reuter nennt, kamen sogar zwei Stücke infrage. Eingeladen wird „Atlas“, das Philip Preuss am Schauspiel Leipzig realisierte.Köck verschränkt zwei nationale Vereinigungen über 50 Jahre und mehrere Kontinente miteinander. Es geht um vietnamesische Boat-People in Ost- und West-Deutschland. Preuss hat schon Regie am Theater an der Ruhr geführt.

Clemens J. Setz ist vor allem als Romanautor bekannt, war aber schon einmal bei den Stücken nominiert und bringt in „Die Abweichungen“ ein Gesellschaftsexperiment auf die Bühne. Um Kriminalität geht es auch bei der Debütantin Enis Maci, die wie Köck zur Nachwuchsautorin des Jahres gekürt wurde. Im Fokus stehen bei ihr „Die Mitwisser“, nicht die Täter.

>>Simon Stone war im vergangenen Jahr schon einmal bei den Stücken nominiert, doch konnte er mit Hotel Strindberg am Wettbewerb nicht teilnehmen, weil das spektakuläre, mehrstöckige Bühnenbild die Möglichkeiten der Stadthalle bei weitem sprengte. Mit „Eine griechische Trilogie“ ist der gebürtige Schweizer erneut nominiert.

Es geht um sechs Frauen und sechs Männern, deren Lebensläufe sich kreuzen. Auf die männliche Geltungssucht reagieren die Frauen mit Abwehr in Eskalationsstufen: dulden, flüchten, hadern, vergelten. Schon die Besetzungsliste macht Lust: Constanze Becker, Stefanie Reinsperger, Caroline Peters, Martin Wuttke, Andreas Döhler und Tilo Nest.