Mülheim. . Der Mülheimer Dramatikerpreis geht an den Österreicher Thomas Köck (32). Elfriede Jelineks Beitrag erhält den Publikumspreis.

Und der Sieger heißt: Thomas Köck. Der 32-jährige Österreicher gewann mit seinem Stück „paradies spielen (abendland, ein abgesang)“, das in der Inszenierung des Nationaltheaters Mannheim vorgestellt wurde, den mit 15 000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikerpreis. Nach der öffentlichen Jury-Diskussion stimmten vier der fünf Preisrichter für den Mülheim-Debütanten und gegen Elfriede Jelinek („Am Königsweg“). Wie wenig das „Stücke“-Publikum mit dem Jury-Urteil übereinstimmte, zeigte sich bei der Auswertung der in den drei Festival-Wochen gesammelten Zuschauer-Voten. Der (undotierte) Publikumspreis ging an Jelinek, Köck landete abgeschlagen auf dem siebten und letzten Platz.

Der Zufall hatte bestimmt, dass ausgerechnet das Siegerstück als letzter Wettbewerbsbeitrag unmittelbar vor der Jury-Debatte vorgestellt wurde. Der „musikalische und rhythmische, zwischen Dramatik, Prosa und Lyrik oszillierende Text“ (so die Jury) reiht drei Geschichten aneinander, ohne diese nachvollziehbar miteinander zu verknüpfen. Da ist der sich in Wiederholungsschleifen ergehende Klagemonolog eines Sohnes, der sich nicht traut, das Krankenhauszimmer des Vaters zu betreten. Der hat sich, aus welchen Gründen immer, selbst angezündet, ist „verbrannt auf Stufe Drei“. Im Weiteren geht es um eine illegale Textilfabrik in Prato (Toskana), in der chinesische Wanderarbeiter ausgenutzt werden, die, nachdem die Fabrik ebenfalls (ein rechtsradikaler Anschlag?) in Flammen aufgegangen ist, ihr Glück in Brasilien suchen wollen. Köck selbst versteht die Migranten-Episode auch als Kritik am chinesischen Neokapitalismus und dessen ökologischen Folgen.

Zwischen diesen Strängen bemüht der Autor die alte Metapher eines Zuges, der ungebremst ins Verderben rast. Der Zug trägt die Klimakatastrophe bereits im Namen: Es ist ein ICE (lies „ice“, englisch für Eis) mit fünf erschreckend kontur- und eigenschaftslosen Passagieren, deren Cartoon-Charakter die Inszenierung noch durch plüschige Tier-Kostüme verstärkt. „Schön ist die Welt nur, wenn sie als Bild einmal vorbei zieht“, konstatieren sie oder „Der Mensch ist das Werkzeug der Natur gegen die Natur“; und während der Zug (auch im Inszenierungsvideo) unaufhaltsam durch eine eisige Winterlandschaft tuckert und dabei auch das Auschwitz-Tor passiert, driften Personen und Situationen immer mehr auseinander. Wo zu viele Themen und Aspekte nur aufgelistet und abgehakt werden, wirkt Köcks ambitionierte, durchaus poetische Gesellschaftskritik wie eine Aneinanderreihung von Schlagworten.

Thomas Melles Stück „Versetzung“, das als vorletzter Beitrag des Wettbewerbs gezeigt worden war, hatte die Jury schon früh zusammen mit Ibrahim Amirs „Homohalal“ und Maria Milisavljevics „Beben“ aus dem Rennen genommen. Wichtigster Einwand gegen Melles Geschichte eines erfolgreichen Lehrers, der von seiner Vergangenheit (eine bipolare Störung) eingeholt wird, waren die plakative Charakterzeichnung und die Vorhersehbarkeit der Entwicklung. Zum Schluss blieben nur noch Jelinek und Köck in der Auswahl. Und da siegte der „Neue“ gegen die „Alte“.