Mülheim. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dieter Spliethoff hat auf den offenen Brief von Demo-Veranstalter Alexander Kocks reagiert. Die Antwort im Wortlaut.
Nachdem sich der Demo-Veranstalter mit einem offenen Brief an alle Fraktionen im Rat gewendet hatte, um seinen Unmut zur finanziellen Lage der Stadt kundzutun. Darauf hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Dieter Spliethoff geantwortet.
Sehr geehrter Herr Kocks,
gerne antworte ich auf Ihren offenen Brief mit einem eben solchen. Offensichtlich gibt es einige Punkte mit Klärungsbedarf. Vorweg: Ich lade Sie gerne zu einem persönlichen Gespräch ein, in dem wir über die Thematik sprechen können. Nun zu meiner Antwort. Zum besseren Verständnis habe ich Zitate Ihres Briefes eingefügt.
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„Damals war ich stolz auf meine Heimatstadt...die Stadt mit den meisten Millionären, große Unternehmen sind hier ansässig und es gab richtig tolle Schulen.“
Trotz der finanziellen Situation unserer Stadt haben wir in den vergangenen Jahren umfangreich in unsere Schulen investiert und tun dies auch weiterhin. Im Vergleich zu anderen Städten sind die hiesigen Bildungseinrichtungen in einem modernen und gepflegten Zustand. Unsere Gebäude haben in den letzten Jahren an Wert gewonnen, in den anderen Städten ist dieser gesunken.
„In den letzten Jahrzehnten ist die Stadtführung mit den Steuergeldern mehr als verschwenderisch umgegangen. Ich kann hier gar nicht alles aufzählen, wenn die Presse das alles drucken würde, bräuchten die Zeitungsausträger eine Sackkarre.“
Ich bin gespannt, welche Beispiele Sie in unserem gemeinsamen Gespräch nennen werden. Natürlich wurden in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen, die man mit dem Wissen und den Erfahrungen von heute anders vornehmen würde. Nehmen wir beispielsweise die Verkehrskonzepte der 70er Jahre. Damals waren unterirdisch verlaufende Stadtbahnen die Lösung für ein Mülheim mit mehreren hunderttausend Einwohnern. Inzwischen werden die – damals durch den Bund geförderten – Strecken zum Problem. Prognosen erweisen sich im Laufe der Zeit entweder als wahr oder falsch. Wenn man Städte aber nicht nur für kurze Zeiträume entwickeln will, muss man sich auf die jeweiligen Analysen verlassen.
„Man kann sagen, die debattieren über sich selbst, über Dinge, die schon längst tot sind und über Sachen, die noch nicht einmal in Sichtweite sind.“
Kommunalpolitik ist vielfältig und, wenn ich mir unsere Bezirksvertretungen anschauen, teilweise auch recht kleinteilig. Um Mülheim gut aufzustellen, müssen wir uns mit vielen Themen gleichzeitig beschäftigen. Ich kann Ihnen allerdings versichern, dass hier niemand über die Olympischen Spiele spricht. Dennoch gilt es, auch die Zukunft im Blick zu haben.
Insofern steht die Diskussion um die Bewirtungsbelege auch nur stellvertretend für eine kritikwürdige Amtsführung des Oberbürgermeisters.
In Zusammenhang mit dem Etat sei gesagt, dass im Zuge der Aufstellung der „Arbeitskreis Haushalt“ teilweise bis spät in den Abend tagte. Hier wurde lange über mögliche Einsparpotenziale und Lösungen für die finanzielle Situation diskutiert, konkrete Handlungsempfehlungen für den Haushalt formuliert und dem Rat zur Beschlussfassung empfohlen. Von einer Beschäftigung „mit sich selbst“ kann nicht die Rede sein.
„Die Entscheidung, die Grundsteuern zu erhöhen wurde getroffen, damit der Haushalt 2018 genehmigt wird. Das hat verhindert, dass die Landesregierung Düsseldorf einen Sparkommissar schickt, dafür stehen jetzt wir, die Bürger auf der Matte.“
Der Beauftrage der Bezirksregierung (umgangssprachlich „Sparkommissar“) als Retter ist eine fatale Fehlannahme. Als Externer geht der Blick nur an die Oberfläche. Einnahmeerhöhungen wären unter einem Beauftragten der Bezirksregierung vermutlich drastischer ausgefallen und nicht nur auf die Grundsteuer beschränkt. Zusätzlich wären die Kita-Gebühren gestiegen und Standards in der OGS-Betreuung herabgesetzt worden. Hierbei handelt es sich nicht um Spekulationen. Es ist aus vergleichbaren Fällen bekannt, dass ein Beauftragter erst einmal die vorhandenen Maßnahmen (in dem Fall der Vorschlagsliste der Gemeindeprüfungsanstalt) abarbeitet oder gar ausweitet.
Außerdem ist die Aussage, dass die Grundsteuerhöhung zur Genehmigung des Haushaltes 2018 getroffen wurde, falsch. Sie dient als ein Beitrag, um den Gewerbesteuerausfall von Aldi Süd (ca. 30 Mio. Euro) zu kompensieren, einen genehmigungsfähigen Haushalt 2019 aufzustellen und die Bedingungen des Stärkungspaktes zu erfüllen.
„Diese Manipulation von „Haushalten“ kennt man unter anderem aus Griechenland.“
Die Kommunalaufsicht der Bezirksregierung achtet auf die Einhaltung der Gemeindeordnung NRW, eine – wie immer geartete - Manipulation ist daher ausgeschlossen.
„Es trifft aber nicht nur die Eigenheimbesitzer und die Mieter. Jedes Geschäft, jedes Büro, jede Garage. Jeden, der in Mülheim wohnt, ein Gewerbe betreibt, oder auch nur parkt, muss diese Steuern bezahlen.“
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, welchem Zweck Steuern dienen: Der solidarischen Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur.
„Steuern, die die Stadt an sich selber zahlt klingt komisch, ist aber so.“
Die Folgen der Steuererhöhung sind selbstverständlich bekannt. Die Mehrkosten, die der Stadt selbst entstehen, sind in der Gesamtrechnung bereits enthalten.
„Das ist, aus meiner Sicht, der Sargnagel für die Mülheimer Innenstadt.“
Die Gründe für die Leerstände in der Innenstadt sind wesentlich vielfältiger. Mülheim liegt bekanntlich zwischen Essen (Limbecker Platz), Oberhausen (Centro), Düsseldorf und Duisburg. Gegen die großen Einkaufszentren zu bestehen, ist schwierig. Hierbei handelt es sich aber um kein spezielles „Mülheim-Problem“. Insgesamt hat sich das Kaufverhalten der Menschen massiv verändert: Stichwort „Onlinehandel“.
„Das bevorstehende Abwandern von Unternehmen in andere Städte wird zusätzliche Einbußen im Bereich der Gewerbesteuer bringen.“
Es ist nachweisbar, dass Unternehmen Mülheim nicht aufgrund des Gewerbesteuerhebesatzes den Rücken kehren. Ganz im Gegenteil, die Ansiedelungsanfragen sind sehr hoch. Allerdings fehlt es an Gewerbeflächen für Firmenerweiterung und Ansiedelung. Es müssen dringend neue Flächen geschaffen werden, für einen Ankauf fehlt allerdings das Geld. Ein Rattenschwanz ganz anderer Art also.
„Aber unser Geld fließt in ein Fass ohne Boden.“
Bereits der Haushalt 2019 wird – wenn es nicht wieder zu unvorhersehbaren Ereignissen kommt – ausgeglichen sein.
„Diese Mehreinnahmen werden im nächsten Jahr genutzt um irgendein Loch zu stopfen oder ein Prestigeprojekt zu finanzieren. Im Jahr nach der Wahl wird dann wieder an der Steuerschraube gedreht und das ganze geht von vorne los.“
Noch einmal: Die Mehreinnahmen gleichen teilweise die Lücke aus, die durch die wegfallenden Gewerbesteuereinnahmen der Firma Aldi Süd entstanden ist. Dieser Einbruch entstand übrigens nicht durch die Unattraktivität des Wirtschaftsstandorts Mülheim, sondern durch Abschreibungen von umfangreichen Investitionen in die hiesige Firmenzentrale.
In diesem Zusammenhang muss man auch folgendes festhalten: Bund und Land stellen besonders im Sozialbereich immer neue Anforderungen an die Städte und Kommunen, übernehmen gleichzeitig aber nicht alle anfallenden Kosten. Die Grundsteuer ist eine der wenigen Einnahmequellen, welche die Stadt selbst beeinflussen kann. Somit wird auch gewährleistet, dass wir unseren Standard in der Ganztagsbetreuung halten können.
Seit 2017 ist Mülheim außerdem im Stärkungspakt des Landes. Hieraus ergeben sich noch strengere Anforderungen an die Haushaltsführung. Löcher – wie durch den Gewerbesteuerausfall – müssen umgehend geschlossen werden.
Aber die Mittel in dreistelliger Millionenhöhe helfen uns dennoch, um in den nächsten Jahren Ein- und Ausgaben in Einklang zu bringen.
„Jetzt argumentiert die Stadt natürlich, dass man doch Alternativen vorschlagen soll, um den Haushalt wieder in die richtige Spur zu bringen. Natürlich können die Bürger das machen, aber das ist eigentlich gar nicht deren Aufgabe.“
Es ist hauptsächlich Aufgabe der von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten ehrenamtlichen Kommunalpolitiker. Zu diesen gehören auch die Ratsmitglieder der Fraktionen von FDP, MBI oder BAMH. Dort kritisiert man seit Jahren alle Entscheidungen zum Haushalt, ohne sinnvolle und realisierbare Alternativvorschläge zu machen.
„Des Weiteren würde das absolute Transparenz für alle Konten und Bücher der Stadt voraussetzen. Ich bezweifle, dass die Verantwortlichen dazu bereit sind.“
Der städtische Haushaltsplan und alle zugehörigen Dokumente (so sie keine Vertragsdetails oder Namen enthalten) sind jeder Zeit öffentlich einsehbar.
„Die Mülheimer Verkehrs Gesellschaft hat zwei Geschäftsführer, jeder mit eigenem Dienstfahrzeug und Fahrer.“
Zuerst muss man festhalten, dass die MVG nicht mehr existiert. Die Verkehrsgesellschaft unserer Stadt ist die Ruhrbahn, die sich auch für den Nahverkehr unserer Nachbarstadt Essen zuständig zeigt. Es handelt sich um ein Unternehmen mit mehr als 4.000 Mitarbeitern. Unternehmen dieser Größenordnung werden i.d.R. von mehreren Vorstandsmitgliedern geführt.
Dennoch gibt es beim ÖPNV noch Einsparpotenzial. Konkrete Maßnahmen werden zurzeit erarbeitet und noch in der ersten Jahreshälfte dem Rat zur Beschlussfassung vorgelegt.
„Auch für den Flughafen, die VHS und das Theater haben viele Bürger viele sinnvolle und nachhaltige Vorschläge. Nehmt diese Vorschläge ernst.“
Vorschläge aus der Bürgerschaft werden immer ernsthaft geprüft und – soweit möglich – umgesetzt. Sie lassen sich aber nicht immer mit geltendem Recht vereinbaren oder gehen an der Realität vorbei. Aber auch in diesem Punkt bin ich auf das Gespräch mit Ihnen gespannt.
„Die Farben interessieren das Volk aber nicht mehr, das Volk will Vernunft im Umgang mit den Steuergeldern, Respekt für das entgegengebrachte Vertrauen und Ehrlichkeit was Fehlentscheidungen angeht.“
Erlauben Sie mir die persönliche Anmerkung, dass der Begriff „das Volk“ grenzwertig ist. Wer ist „das Volk“? Selbst in einer kleinen Stadt wie Mülheim gibt es viele verschiedene (politische) Strömungen und nicht „das Mülheimer Volk“.
Respekt sollte auch den (ehrenamtlichen) Politikern entgegengebracht werden, die Ihre Freizeit investieren, um ihre Städte weiter zu entwickeln.
„Wenn ich dann in den sozialen Medien Kommentare von einem jüngeren Parteianhänger lese, dass doch alles OK ist, das Volk hat doch demokratisch gewählt und somit diese Entscheidung über die Erhöhung mit getroffen, zweifel ich schon ein wenig, ob mein Verständnis von Demokratie und Diktatur sich gerade vermischt.“
Ich bitte darum – gerade in unserem Land – von der vorschnellen Verwendung des Begriffs „Diktatur“ abzusehen. Deutschland ist außerdem eine repräsentative, keine direkte Demokratie.
„Die sofortige Rücknahme der Erhöhung der Grundbesitzabgaben.“
Ich wiederhole mich hier gerne: Eine Rücknahme der Erhöhung erfordert Alternativen zur Deckung. Es käme zu einer deutlichen Erhöhung der KiTa-Beiträge und eine Reduzierung des OGS-Standards. Statt die Belastung auf alle Schultern zu verteilen, wären ausschließlich Familien betroffen.
„Eine Möglichkeit für die Bürger, abgesehen von der Wahl alle 5 Jahre, Einfluss auf den Haushalt, insbesondere die Ausgaben, zu nehmen. Eine Art Bürger-Consulting mit Vetorecht. Ein unabhängiges Sparkommissariat nur aus Bürgern.“
Ganz davon abgesehen, dass wir hier von einer Thematik sprechen, die bereits verfassungsrechtliche Fragen berührt, gab es das Konzept eines „Bürgerhaushaltes“ bereits. Das Interesse hieran ebbte aber leider recht schnell wieder ab.
„Weniger Arroganz, mehr Ehrlichkeit und ein bisschen Demut gegenüber dem Bürger.“
Ich muss auch hier fragen: Wer ist „der Bürger“? Kommunalpolitiker ist ein Ehrenamt, das von Bürgerinnen und Bürgern ausgeübt wird. Alle getroffenen Entscheidungen wirken sich also natürlich auch auf die Mitglieder des Rates aus. Als SPD-Fraktion versuchen wir außerdem unsere Arbeit so transparent wie möglich zu gestalten. Leider werden Informationsangebote nur von einer sehr kleinen Personenzahl angenommen. Dennoch biete ich jedem Bürger und jeder Bürgerin den direkten Dialog an.
„Viele Bürger sind gerne bereit, ihr Wissen, ihre Kreativität und ihre Zeit zur Verfügung zu stellen, aber dafür muss die Bereitschaft da sein, Änderungen zuzulassen, die eventuell auch Sparmaßnahmen und Strukturveränderungen im Rathaus, den einzelnen Dezernaten und Ämtern zur Folge haben wird.“
In der Verwaltung wurde und wird gespart. Auch zum diesjährigen Haushalt gehören Einschnitte im Personal. Konstruktive Mitarbeit ist jeder Zeit möglich.
„Ich bezweifle, dass es zu französischen Verhältnisse kommen wird, aber die Unzufriedenheit und die Wut wachsen stetig.“
Wir leben in einer Zeit, in der wenige Populisten mit ihren Lügen und Parolen auf Menschen stoßen, die sich nicht differenziert informieren. Teilweise fehlt es zudem leider am Grundwissen über politische Prozesse. Kommunalpolitische werden mit bundespolitischen Themen vermischt, es wird denen geglaubt, die am lautesten schreien. Denn wie so oft im Leben macht einem das Angst, war man nicht kennt.
Ich warne aber vor Verallgemeinerungen und plädiere für eine sachliche Diskussion.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Spliethoff