Mülheim. Mit einem offenen Brief hat sich der Mülheimer Alexander Kocks an die Fraktionen im Stadtrat gewendet. Hier ist er in voller Länge nachzulesen.

Der Mülheimer Bürger Alexander Kocks hat sich mit einem offenen Brief im Vorfeld seiner angemeldeten Demonstration auf dem Rathausmarkt am 14. Februar an die Fraktionen im Stadtrat gewendet. Es ist eine Stellungnahme zur finanziellen Lage der Stadt und der Demonstration gegen die Erhöhung der Grundsteuerabgaben. Der Brief im Wortlaut:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

ich lebe seit ziemlich genau 40 Jahren hier in Mülheim, also schon mein ganzes Leben... und ich liebe diese Stadt. Ich habe im Stadtbad meine Schwimmabzeichen gemacht, so ziemlich jeder Eisdiele auf der Schlossstraße zu enormen Umsätzen verholfen und mich im City-Center unter den Treppen zum Kino versteckt.

Damals war ich stolz auf meine Heimatstadt...die Stadt mit den meisten Millionären, große Unternehmen sind hier ansässig und es gab richtig tolle Schulen. Auf mich wartete eine hoffnungsvolle Zukunft, hier an der Ruhr. Ich muss zugeben, dass ich eine tolle Kindheit und Jugend hatte.

Jetzt bin ich selber Vater. Meine Tochter ist fast 10 und ich muss sagen: Ihre Zukunft in Mülheim ist alles andere als hoffnungsvoll. Da ich mich als Vater in der Verantwortung sehe, meiner Tochter zu zeigen, dass man sich nicht alles gefallen lassen darf, habe ich diese Demonstration angemeldet. In den letzten Jahrzehnten ist die Stadtführung mit den Steuergeldern mehr als verschwenderisch umgegangen. Ich kann hier gar nicht alles aufzählen, wenn die Presse das alles drucken würde, bräuchten die Zeitungsausträger eine Sackkarre.

Es geht mir nicht darum, darüber herzuziehen, wann wer welches Geld für irgendeinen Tinnef verbrannt hat. Das ist Vergangenheit. Die Kohle ist weg. Mir geht es darum, dass sich das in Zukunft dauerhaft ändert und die sympathische Stadt an der Ruhr wieder aufblüht. Das Problem, welches die Politik zur Zeit in Mülheim hat, ist folgendes: Sie beschäftigen sich unter anderem mit irgendwelchen Bewirtungskosten, mit QR-Codes auf Grabsteinen und den Olympischen Spielen 2032. Man kann sagen, die debattieren über sich selbst, über Dinge, die schon längst tot sind und über Sachen, die noch nicht einmal in Sichtweite sind. Die Belange und Sorgen der Bürger werden zwar mehr oder weniger angehört, aber nicht angegangen.

Die Entscheidung, die Grundsteuern zu erhöhen wurde getroffen, damit der Haushalt 2018 genehmigt wird. Das hat verhindert, dass die Landesregierung Düsseldorf einen Sparkommissar schickt, dafür stehen jetzt wir, die Bürger auf der Matte. Diese Manipulation von „Haushalten“ kennt man unter anderem aus Griechenland. Die Folgen und die heutige Situation dieses Landes brauche ich Ihnen nicht zu erläutern. In der freien Wirtschaft grenzt so eine Taktik an Insolvenzverschleppung und würde, bei der Höhe der Summen, sehr wahrscheinlich zu hohen Haftstrafen führen.

Wenn die Stadtspitze jetzt hofft, dass Düsseldorf oder Berlin einen Schuldenschnitt absegnen, dann können die sicher sein, dass die eine ganze Truppe Sparkommissare schicken. Viele Bürger wissen nicht, dass sie als Mieter die Grundsteuern über die Nebenkosten bezahlen. Durch die Erhöhung der Grundbesitzabgaben ist die von der Bundesregierung geforderte Mietpreisbremse sozusagen ausgebremst. Es trifft aber nicht nur die Eigenheimbesitzer und die Mieter. Jedes Geschäft, jedes Büro, jede Garage. Jeden, der in Mülheim wohnt, ein Gewerbe betreibt, oder auch nur parkt, muss diese Steuern bezahlen.

Allerdings trifft es auch Schulen, das Rathaus, die Feuerwache, das Medienhaus....alle Immobilien, welche die Stadt verkauft und dann zurück gemietet hat. Nicht zu vergessen, die angemieteten Räume für die VHS. Steuern, die die Stadt an sich selber zahlt....klingt komisch, ist aber so. Dann gibt es da noch die Menschen, die Wohnzuschuss, Alg2, Sozialhilfe oder Grundsicherung beziehen. Deren Miete wird auch entsprechend steigen, was dann wiederum den Sozialetat der Stadt belastet. Die Stadt spricht bei der Steuererhöhung von 16 Millionen Mehreinnahmen im Jahr. Rechnet man die Folgen dieser Erhöhung mit dazu, bleiben großzügig geschätzt ca.12 Millionen. Mal nebenbei erwähnt. Angenommen, man nimmt jedes Jahr diese 12 Millionen um die Schulden der Stadt zu tilgen, wäre Mülheim in knapp 170 Jahren Schuldenfrei...natürlich nur, wenn die Banken keine Zinsen erwarten.

Kommen wir mal zu dem eh schon angeschlagenen Wirtschaftsstandort Mülheim. Der Unternehmerverband hat mir bestätigt, dass nicht nur die Erhöhungen der Gewerbesteuer, sondern auch die aktuelle Erhöhung der Grundsteuer, die Unternehmen vor Ort, stark belastet. Viele Mitglieder haben sich, laut Aussage des Verbandsvorstandes, an den Petitionen beteiligt. Einige bekannte Gesichter werden Sie sicherlich auch am Valentinstag sehen. Zum einen wird es die Kosten für Büros, Werkstätten, Einzelhandelsflächen, Hallen und selbst für die Kundenparkplätze erhöhen. Wie diese Kosten in Unternehmen anderweitig kompensiert werden, brauche ich nicht weiter zu erläutern. Dazu kommt, dass den Bürgern, also den Kunden, 12 Millionen Euro an Kaufkraft genommen werden. Dieses hat negative Folgen für die Umsätze der Unternehmen und auch für die Einnahmen im Bereich Mehrwertsteuer. Das ist, aus meiner Sicht, der Sargnagel für die Mülheimer Innenstadt.

Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass sich Familien und Investoren auf Grund der Höhe der Nebenkosten einen anderen Ort für ihre eigenen 4 Wände oder den Firmensitz suchen. Das hat wiederum Folgen für die Baubranche und für ortsansässige Banken. Natürlich geht das auch zu Lasten der Einnahmen der Grunderwerbssteuer. Das bevorstehende Abwandern von Unternehmen in andere Städte wird zusätzliche Einbußen im Bereich der Gewerbesteuer bringen. Man sieht, der Rattenschwanz, der an dieser absolut unangemessenen Steuererhöhung hängt, ist länger als man denkt.

Mülheim wird dadurch als Wohn- und Wirtschaftsstandort absolut unattraktiv. Die eigentlichen Folgen werden sich wahrscheinlich erst in ein oder zwei Jahren zeigen.

Im Beitrag der Stadt Mülheim vom 18.01.2019 auf der Facebookseite, wird von einer monatlichen Mehrbelastung zwischen 13,56 € und 18,43 € berichtet. Einige Bürger mit denen ich gesprochen habe, gehen davon aus, dass für diese Berechnungen, extra Experten aus Wolfsburg hinzugezogen wurden.

Manch ein Bürger wird jetzt sagen: „na, es wird eh alles teurer“ oder „ach komm, die 15 Euro...“ Einerseits würde ich dem sogar zustimmen. Mir persönlich würde das nicht wirklich weh tun. Aber unser Geld fließt in ein Fass ohne Boden. Das ist genau so, als würde man einer Person, welche unter Kaufsucht leidet sagen: „Hier ist meine Kreditkarte, aber nur ein Kleidungsstück.“

Diese Mehreinnahmen werden im nächsten Jahr genutzt um irgendein Loch zu stopfen oder ein Prestigeprojekt zu finanzieren. Im Jahr nach der Wahl wird dann wieder an der Steuerschraube gedreht und das ganze geht von vorne los. Jetzt argumentiert die Stadt natürlich, dass man doch Alternativen vorschlagen soll, um den Haushalt wieder in die richtige Spur zu bringen. Natürlich können die Bürger das machen, aber das ist eigentlich gar nicht deren Aufgabe. Des weiteren würde das absolute Transparenz für alle Konten und Bücher der Stadt voraussetzen. Ich bezweifle, dass die Verantwortlichen dazu bereit sind.

Aber ich fange einfach mal mit zwei Vorschlägen an. Damit es nicht heißt, der Kocks meckert nur.

  • 1. Die Mülheimer Verkehrs Gesellschaft hat zwei Geschäftsführer, jeder mit eigenem Dienstfahrzeug und Fahrer. Die MVG ist kein international agierendes Unternehmen mit unterschiedlichen Geschäftsbereichen, da reicht ein Geschäftsführer. Damit dieser auch weiß, was er macht, bekommt er/sie ein Firmenticket. Längere Strecken kann er/sie mit dem Privatfahrzeug erledigen.
  • 2. Die Presse hat über das neue Mülheimer Bildungsnetzwerk MH/0/25 berichtet. In dem Artikel steht, dass für das Logo eine Marketingagentur beauftragt wurde. Naja, kann man machen, aber kostet halt verdammt viel Geld. Kann man da nicht hingehen und sagen: „Liebe Oberstufenschüler in Mülheim, wir suchen ein Logo für das Projekt XY, lasst euch was einfallen, der beste Vorschlag bekommt 250 Euro für die Klassenkasse.“

Auch für den Flughafen, die VHS und das Theater haben viele Bürger viele sinnvolle und nachhaltige Vorschläge. Nehmt diese Vorschläge ernst. Die Bürger haben die Vertreter demokratisch gewählt, und somit Ihr Vertrauen in Rot, Schwarz, Grün, Gelb, Lila, Pink usw. gezeigt. Die Farben interessieren das Volk aber nicht mehr, das Volk will Vernunft im Umgang mit den Steuergeldern, Respekt für das entgegengebrachte Vertrauen und Ehrlichkeit was Fehlentscheidungen angeht.

Wenn ich dann in den sozialen Medien Kommentare von einem jüngeren Parteianhänger lese, dass doch alles OK ist, das Volk hat doch demokratisch gewählt und somit diese Entscheidung über die Erhöhung mit getroffen, zweifel ich schon ein wenig, ob mein Verständnis von Demokratie und Diktatur sich gerade vermischt. Daher hier meine Forderungen:

  1. Die sofortige Rücknahme der Erhöhung der Grundbesitzabgaben.
  2. Eine Möglichkeit für die Bürger, abgesehen von der Wahl alle 5 Jahre, Einfluss auf den Haushalt, insbesondere die Ausgaben, zu nehmen. Eine Art Bürger-Consulting mit Vetorecht. Ein unabhängiges Sparkommissariat nur aus Bürgern.
  3. Weniger Arroganz, mehr Ehrlichkeit und ein bisschen Demut gegenüber dem Bürger.

Viele Bürger sind gerne bereit, ihr Wissen, ihre Kreativität und ihre Zeit zur Verfügung zu stellen aber dafür muss die Bereitschaft da sein, Änderungen zuzulassen, die eventuell auch Sparmaßnahmen und Strukturveränderungen im Rathaus, den einzelnen Dezernaten und Ämtern zur Folge haben wird.

Einige in der Stadtführung werden sicherlich denken : „ach lass die doch demonstrieren und fordern, ist ja ganz niedlich, dieser Aufmarsch.“ Diesen Menschen möchte ich sagen, dass diese Demonstration nur der Anfang sein wird, sollte sich nichts ändern. Wie oben schon beschrieben werden die Folgen erst in den nächsten Monaten oder Jahren spürbar sein. Und dann werden wieder Bürger vor dem Rathaus stehen und es werden mehr werden und sie werden lauter sein. Ich bezweifle, dass es zu französischen Verhältnisse kommen wird, aber die Unzufriedenheit und die Wut wachsen stetig.

Um es abschließend mit den Worten von Konrad Adenauer zu sagen: „Wenn das Revier brennt, wird das Wasser im Rhein nicht ausreichen, um es zu löschen.“

Mit freundlichen Grüßen
Alexander Kocks"