Mülheim. . Weil 61-Jähriger beim Abbiegen nicht in den Weitwinkel-Spiegel geschaut hat, kollidierte er mit einer Radfahrerin (13). Sie starb Stunden später.
Der Fahrer des Betonmischers, der im Oktober 2017 in der Einfahrt zum Heißener Hof eine junge Radfahrerin überrollt hat, ist am Mittwoch wegen fahrlässiger Tötung vom Amtsgericht Mülheim zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Nach Überzeugung von Richter Andreas Kunze hätte der Essener (61) die Schülerin sehen können – hätte er nur sorgfältig in alle Außenspiegel geschaut.
Wie schon häufig zuvor, hatte der Lkw-Fahrer auch für den Morgen des 9. Oktober eine Frühstückspause auf dem Heißener Hof geplant. Im Berufsverkehr befuhr er den Frohnhauser Weg, bog gegen 7.50 Uhr rechts ab auf den Hof. Die Mädchen – die 13-Jährige war mit einer Freundin unterwegs – habe er nicht bewusst gesehen, sagte er vor Gericht. An der Ampel der Kruppstraße sei ihm zwar eine Gruppe Radfahrer aufgefallen; „ich habe aber nicht weiter auf sie geachtet“. Während des Abbiegens habe er kurz anhalten müssen. Weil sein Fahrzeug dadurch leicht schräg gestanden habe, hätte er die Schülerin im Außenspiegel nicht erkennen können. Verteidiger Walter Thimm sprach von einem „toten Winkel“.
Den Diagrammschreiber des Lkw ausgewertet
Nach den Ausführungen des Dekra-Sachverständigen Axel Meißner allerdings stand fest: Einen solchen gab es nicht. „Im Weitwinkel-Spiegel hätte man alles sehen können.“ Der Gutachter hatte nach dem Unfall Stellproben auf dem Hof gemacht und den Diagrammschreiber des Lkw ausgewertet, um herauszufinden, wann und wo dieser zum Stehen gekommen war. Anhand der Daten widerlegte er die Einlassung des Fahrers, er habe beim Abbiegen anhalten müssen.
Der Angeklagte räumte ein, dass er wohl nicht in den Weitwinkel-Spiegel geschaut habe. Ob er quasi blind und im Vertrauen darauf, dass alles gut gehen werden, abgebogen sei, fragte Anwalt Martin Böhlmann, der Vertreter der Eltern. „So kann man es auslegen“, kam es zögerlich von der Anklagebank. Mit dem Eingeständnis seiner Schuld tat sich der Essener schwer, ebenso mit Worten der Entschuldigung und mit Emotionen. Sein Mandant sei „ein echter Lastwagenfahrer“, so Verteidiger Thimm. Er lebe allein und kinderlos, sei nicht in der Lage, Gefühle nach außen zu tragen. „Doch wenn er heute seine Hand dafür geben könnte, es ungeschehen zu machen, würde er es tun.“
Lkw-Fahrer suchte Hilfe bei Psychologen
Der 61-Jährige war lang krankgeschrieben, hat erst im August wieder die Arbeit aufgenommen. Er habe „schwer kämpfen müssen“, psychologischer Hilfe bedurft. Die Berufsgenossenschaft hatte eine Handvoll Fahrstunden angeordnet, um ihn zu unterstützen. „Nun geht es wieder.“
Die Gefühle des bislang nie auffällig gewordenen Angeklagten waren ein Kapitel – die Trauer der Hinterbliebenen ein anderes, sehr bewegendes. Man könne „nicht in Worte fassen, wie die Eltern leiden“, so Böhlmann. „Es gelingt kaum, den Alltag zu bewältigen.“ Der Vater sei Feuerwehrmann und daher „oft mit Unfallsituationen konfrontiert“. Das mache die Sache nicht leichter.
„Der Angeklagte hat ein junges Leben ausgelöscht“
„Der Angeklagte hat ein junges Leben ausgelöscht“, so Oberamtsanwältin Gracia Dahmen, die eine Bewährungsstrafe von einem Jahr forderte. „Über die Familie ist unendliches Leid hereingebrochen.“ Er habe die Tat „kleinreden wollen“, nicht ein einziges Mal „uneingeschränkt erklärt: Ja, ich habe einen groben Fehler gemacht“. Anwalt Böhlmann forderte sogar zweieinhalb Jahre ohne Bewährung. Der Berufskraftfahrer habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt im groben Maße missachtet: „Er muss um die Gefährlichkeit des Abbiegevorgangs wissen.“ Der Verteidiger hoffte indes auf eine milde Strafe; „er ist schon für sein Leben gestraft“.
Die Justiz machten Fälle wie diese manchmal hilflos, so Richter Kunze im Urteil. Die Tat sei zwar fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig, die Tatfolge aber sei die denkbar schlimmste: „Das einzige Kind ist tot.“ Egal, welche Strafe man verhänge: „Es wird nie mehr so sein, dass man sagen kann, alles ist wieder gut.“ Über jedem Verkehrsteilnehmer schwebe ein Fallbeil, jeder mache Fehler. „In 99,9 Prozent der Fälle aber passiert zum Glück nichts.“ Dass der Angeklagte keine offenen Worte der Entschuldigung fand, machte Kunze ihm nicht zum Vorwurf: „Er ist vielleicht ein schlichter Mensch, aber kein kaltherziger. Es ist nicht leicht, die richtigen Worte zu finden.“
>> FAHRER MUSS MONATLICH 100 EURO AN ELTERN ZAHLEN
Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Auflage des Gerichts: Der Lkw-Fahrer hat währenddessen 3600 Euro an die Eltern zu zahlen, in Raten à 100 Euro. „Sie sollen immer wieder an den Vorfall erinnert werden“, so Richter Kunze. Das Zivilrechts-Verfahren mit der Versicherung läuft noch; dort geht es auch um Schmerzensgeld.