Mülheim. . Grigorij Richters läuft von Paris nach Berlin, um auf die Not Geflohener hinzuweisen. In Mülheim klingelte er spätabends bei Helge Schneider.

Wenn Flüchtlinge dort ankommen, wo sie sich ein besseres Leben und vor allem Sicherheit erhoffen, haben sie meist einen strapaziösen Weg hinter sich. Oft haben sie ihn zu Fuß bewältigt. Ihr Schicksal nachempfinden und zugleich darauf aufmerksam machen, das will der Filmemacher Grigorij Richters. Deswegen läuft er in fünf Wochen eine Million Schritte quer durch Europa. Sein Weg führte ihn jetzt auch durch Mülheim. Eine Stippvisite, die er nicht vergessen wird: Zu nächtlicher Stunde traf er Helge Schneider.

Viele Jahre hat Richters in London gelebt, wo die Situation der Flüchtlinge im französischen Calais oft ein Thema war. Die Überzeugung, endlich etwas tun zu müssen, reifte in ihm nach den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz Ende August. Er mietete sich einen VW-Bus und machte sich auf den Weg nach Paris. Von da aus lief er los, der Bus im Schritttempo hinter ihm her.

Ankunft in Berlin ist für den 1. Dezember geplant

Passanten können auf dem Gefährt unterschreiben. Richters hat bereits 1200 Namen gesammelt.
Passanten können auf dem Gefährt unterschreiben. Richters hat bereits 1200 Namen gesammelt. © Fabian Strauch

Gestartet ist der 31-Jährige am 27. Oktober am Arc de Triomphe. Über Lille und Brüssel führte seine Route nach Aachen, Bonn, Köln und Düsseldorf, Duisburg und Mülheim. Von hier aus geht es weiter durch das Ruhrgebiet, über Münster und Bielefeld nach Wolfsburg, Hannover, Magdeburg und schlussendlich via Potsdam nach Berlin. Die Ankunft ist für den 1. Dezember geplant. „Da stelle ich mich mit dem Bulli vor das Brandenburger Tor.“

Mit der Aktion will er auf das Schicksal minderjähriger Flüchtlinge aufmerksam machen, die in griechischen Auffanglagern leben. „Das sind Kinder, die ohne Eltern gekommen sind. Mit vielen stehe ich in Kontakt, ihre Lebensbedingungen sind furchtbar“, berichtet er. „Kleine Mädchen im Alter von acht oder neun Jahren begehen Selbstmord, Jungs im gleichen Alter werden zum Oralverkehr gezwungen, bevor sie etwas zu Trinken bekommen.“

Die Resonanz ist fast immer positiv

In vielen Städten parkt er seinen Bulli in der Innenstadt und lässt Passanten darauf unterschreiben. Über 1200 Menschen haben das schon getan. „Das Fahrzeug ist viel auffälliger, als wenn ich nur Flyer verteilen würde.“ Die Resonanz sei fast immer positiv. „Nur in Belgien hat mir jemand die Bremsschläuche durchgeschnitten. Dadurch habe ich aber jemanden kennengelernt, der mir den Bus kostenlos repariert und alles durchgecheckt hat.“

Auf dem langen Marsch übernachtet er bei Fremden, die ihn zu sich nach Hause einladen. Dies klappt nicht immer, dann schläft er im VW-Bus. „Das ist zwar blöd, ist aber kein Vergleich zu dem, was die Flüchtlinge durchmachen müssen.“ Der Bus stellt ihn manchmal vor Probleme: Das über 40 Jahre alte Fahrzeug bleibt häufig liegen. Zudem fiel kurz vor Bonn seine Fahrerin aus, nun sucht Richters in jeder Stadt nach Freiwilligen, die ihn im Bus bis in die nächste Stadt begleiten. Der Aktivist weiß, dass seine Reise nur symbolischer Natur ist. Doch er hofft, dass sich einige Städte bereiterklären, 1000 Kinder aus den griechischen Lagern aufzunehmen. Durch eine Petition will er die Regierung dazu bewegen, die Reise der Kinder nach Deutschland zu organisieren.

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Schneider war „verwundert, aber sehr sympathisch“

Der Zwischenstopp am Donnerstagabend in Mülheim wird hängenbleiben. Von seiner aktuellen Busfahrerin hatte Richters erfahren, dass Helge Schneider Mülheimer ist und sich spontan entschlossen, ihn zu besuchen – auch wenn’s schon auf Mitternacht zuging. Eine Adresse, die er im Internet fand, stimmte nicht mehr. Eine Ex-Nachbarin aber zeigte ihm bei Google Maps, wo der Musiker mittlerweile wohnt. „Sie wusste es nicht genau, deshalb haben wir überall auf die Klingelschilder geschaut. Auf einem stand dann Schneider.“ In Puschen sei der Komiker nach 23 Uhr auf die Straße gekommen, „verwundert, aber von Anfang an sympathisch“. Man habe „endlos über den Bus gequatscht, weil er früher auch so einen hatte“. Richters Projekt fand Schneider „spannend“ – und so landete auch seine Unterschrift auf dem VW-Bus.