Mülheim. . Die HRW weiß jetzt mehr über ihre Studierenden. Welche Schlüsse sie aus der neuen Befragung zieht, erklärt Vizepräsidentin Prof. Susanne Staude.
Für die Initiative Ruhr-Futur werden seit zwei Jahren Studierende an sieben Hochschulen befragt, auch an der Hochschule Ruhr West. Welche Konsequenzen die HRW aus den neuesten Ergebnissen zieht, erläutert Vizepräsidentin Prof. Susanne Staude im Interview.
Hat die Befragung Erkenntnisse geliefert, die Sie überrascht haben?
Prof. Staude: Für mich war es eine positive Überraschung, wie viele Studierende wir erreichen, die nicht aus Akademikerfamilien stammen, mehr als zwei Drittel, oder einen Migrationshintergrund haben: 55 Prozent. Das ist großartig. Dafür ist die HRW gegründet worden: Die Gesellschaft soll sich in den Studierenden abbilden.
Ist der Einstieg in ein Studium schwieriger, wenn die Eltern keine Hochschulerfahrung haben?
Ja. Die Unsicherheit – bin ich hier richtig? – ist größer bei der „First Generation“ als bei Akademikerkindern, vor allem, wenn von zu Hause nur wenig Unterstützung kommt. Das gilt für viele Studienanfänger, obwohl es fachlich gar nicht so sein müsste.
Verzeichnen Sie eine höhere Abbrecherquote als andere Hochschulen?
Das bewegt sich auf normalem Niveau. Dennoch wollen wir in diesem Punkt noch besser werden.
Fast ein Drittel von einer berufsbildenden Schule
Die Umfrage ergab auch, dass nur gut 44 Prozent Ihrer Studierenden die Hochschulreife auf dem Gymnasium erlangt haben, aber fast ein Drittel auf einer berufsbildenden Schule. Im Vergleich zu anderen Hochschulen ist das relativ viel. Was bedeutet das in der Praxis?
Wenn wir so viele junge Leute von den Berufskollegs haben, müssen wir eng mit diesen zusammenarbeiten. Was müssen unsere Vorkurse leisten? Welche Arbeiten müssen schon vorher an den Schulen laufen? Hierzu gab es bereits erste Gesprächsrunden mit den örtlichen Berufskollegs. Durch Ruhr-Futur können wir in diesem Punkt auch von anderen FHs lernen, die schon länger bestehen.
Selbstorganisation für viele Jugendliche schwierig
Für den neuen Ruhr-Futur-Bericht wurden Studierende auch nach ihrer Selbsteinschätzung gefragt und verschiedenen Typen zugeordnet. Heraus kam: Zehn Prozent studieren nur „halbherzig“, zwölf Prozent bezeichnen sich als prüfungssensibel, 21 Prozent haben Probleme, ihr Studium zu organisieren...
Beim Thema Selbstorganisation tun sich Jugendliche besonders schwer. Wir haben das Gefühl, eigenständiges Arbeiten wird an den Gymnasien besser gelernt als an anderen weiterführenden Schulen. Aber diese Studierendentypen sind nicht in Stein gemeißelt. Sich selbst zu organisieren, kann man lernen. Gegen Prüfungsangst kann man etwas tun.
Was denn?
Unsere Studienberatung ist da sehr erfahren, kennt viele Tipps und Tricks. Wenn die Probleme schwerwiegender sind, verweisen wir auch an psychosoziale Beratung.
Wenn man auf die bisherigen Absolventen der HRW blickt, haben 58 Prozent nach eigenen Angaben innerhalb von drei Monaten eine Beschäftigung gefunden, weitere 23 Prozent im ersten halben Jahr. In welchen Fächern sind die Berufschancen besonders gut?
In den technischen Fächern findet man derzeit besonders leicht einen Job. Aber richtig schwer hat es niemand. Wir haben offenbar die richtigen Studiengänge.
Studieneingangsphase soll verbessert werden
Wo sehen Sie noch Baustellen? Was wollen Sie verbessern?
Die Studieneingangsphase. Wir müssen es schaffen, eine gute Willkommenskultur zu etablieren, gerade mit Blick auf die Herkunft unserer Studienanfänger. Der Übergang fängt an in Klasse 12 und hört auf im zweiten Semester. Die Jugendlichen sind heute unselbstständiger als früher. Die Zeiten haben sich geändert, und wir können nicht so tun, als wäre es nicht so.
15 Plätze von 60 im Frauenstudiengang belegt
Ein großes Thema bleibt der geringe Frauenanteil im MINT-Bereich. Wenn man das Studienangebot der HRW betrachtet, bilden Männer in Fächern wie Informatik, Elektrotechnik oder Maschinenbau immer noch die überwältigende Mehrheit. Wie wollen Sie das ändern?
Nicht umsonst haben wir zu diesem Semester einen reinen Frauenstudiengang Maschinenbau eingerichtet. Wir möchten damit ein Signal setzen.
Wie viele Studentinnen haben sich hier eingeschrieben?
Eine kleine Gruppe, etwa 15 Frauen. Theoretisch könnten wir 60 Plätze vergeben, aber für das erste Jahr sind wir ganz zufrieden. Es gibt aus anderen Fachbereichen durchaus beobachtende Blicke. Denn die Erfahrung anderer Unis hat gezeigt: Frauenstudiengänge strahlen aus und führen dazu, dass sich der Anteil der Studentinnen auch in anderen MINT-Fächern erhöht. Unser Ziel ist aber nicht, dass Frauen auf Dauer unter sich bleiben, sondern nur so lange, bis ihre Studienentscheidung gefestigt ist. Ab dem fünften Semester studieren sie gemeinsam mit Männern.
Unterstützungsangebote für Studierende
Die Hochschulen im Ruhrgebiet konkurrieren miteinander. Ist echte Kooperation überhaupt möglich?
Es stimmt, wir sind Konkurrenten, haben auch alle ein ähnliches Einzugsgebiet, aber die gemeinsamen Ziele überwiegen. Wofür wir beispielsweise noch keine Lösung gefunden haben: Es gibt so viele Unterstützungsangebote für Studierende – Tutorien, einen offenen Lernraum mit Ansprechpartnern vom Fach, Mentorenprogramme – aber die jungen Leute nutzen sie noch viel zu wenig. Um das zu ändern, arbeiten wir mit den anderen Hochschulen zusammen. Nur so können wir auch von den Erfahrungen der anderen profitieren.
>>> ZIEL: DAS HOCHSCHULANGEBOT VERBESSERN
Ruhr-Futur ist eine übergreifende Bildungsinitiative für das Ruhrgebiet. Die Befragung wurden an sieben (Fach-)Hochschulen durchgeführt und gemeinsam ausgewertet: HRW, Hochschule Bochum, Ruhr-Uni Bochum, FH Dortmund, Technische Universität Dortmund, Uni Duisburg-Essen, Westfälische Hochschule.
Zwei Berichte sind bisher erschienen: der erste im Frühjahr, der zweite im Oktober 2018. Download und ausführliche Infos auf www.ruhrfutur.de.
An der HRW sind zur Zeit rund 6500 junge Leute eingeschrieben, 5000 studieren am Standort Mülheim, 1500 in Bottrop.