MBI-Chef Lothar Reinhard ist seit jeher Kritiker und Mahner. Er fordert neue Schwerpunkte unter anderem in der Schul-, Haushalts- und Wohnpolitik.
Mülheim Herr Reinhard, Sie gelten seit vielen Jahren als einer der größten politischen Kritiker in der Stadt. Was ist denn aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren in Mülheim gut oder besser geworden?
Reinhard: Die Belebung der Freilichtbühne ist ein echtes Highlight. Auch dass die Alte Dreherei über Jahre mit so viel Einsatz zum Haus der Vereine umgebaut wird. Oder dass die Altstadt sich so gut entwickelt hat. Das sind aber auch alles Projekte, bei denen sich Bürger in einem hohen Maß engagiert haben und es weiterhin tun.
Wird das Potenzial in der Bürgerschaft von der Stadt ausreichend genutzt?
Es wird zu wenig genutzt, leider. Es gibt dort viel Wissen, es großes Know-how, eine große Bereitschaft, sich für die Stadt einzusetzen. Das sieht man ja auch an den zahlreichen Bürgerbegehren, die stattgefunden haben und stattfinden. Es ist vielen nicht egal, was in ihrer Stadt passiert.
Mischen mit, bis sich vieles zum Besseren wendet
Ihr Bündnis, die MBI, ist ja auch aus der Bürgerschaft heraus entstanden. Wo sehen sie die Mülheimer Bürgerinitiativen nach nunmehr 19 Jahren?
Irgendwo zwischen allen Fronten. Wir haben damals gesagt, wir mischen so lange mit, bis sich in Mülheim vieles zum Besseren wendet.
Sehen Sie dafür Anzeichen?
Im Gegenteil. Es werden von vielen in Verwaltung und Politik die sich verändernden Realitäten nicht zur Kenntnis genommen. Die Schwerpunkte sind nicht richtig gesetzt. Es muss heute viel stärker darum gehen, wie wir die sich verändernde Stadtgesellschaft so in den Griff bekommen, dass sich keine Parallelgesellschaften entwickeln. Dabei geht es um Zuwanderung und darum, wie uns eine gute Integration gelingen kann.
Um Integration bemühen sich doch sehr viele Menschen in Mülheim.
Aber wie? Nehmen wir doch nur mal den aktuellen Kampf um die VHS. Das ist weit mehr als ein Kampf um ein städtisches Denkmal. Die VHS hat über Jahre sehr gute Integrationsarbeit geleistet, sie hat zwischen Kulturen vermittelt, sie hat unsere Werte transportiert. Diese VHS an diesem Standort aufzugeben, ist auch ein Schlag gegen die Integrationsbemühungen. Für mich ein großer Fehler. Sehen Sie, die Denkmalwürdigkeit dieses Baus bezieht sich ja auch auf die Funktionalität, die an dieser Stelle wirklich gut gelungen ist.
OB-Affäre ist ein Ablenkungsmanöver
Nun gibt es einen Ersatz. VHS findet in den nächsten Jahren zunächst mal an der Aktienstraße statt. Warum soll dort die gute Arbeit nicht fortgesetzt werden können, bis die Politik sich für eine künftige Dauerlösung entschieden hat?
Das Gebäude dort ist zu klein. Das Umfeld ist ein völlig anderes. Dieser Standort bietet auch nicht diese Qualitäten für eine gute Kommunikation, wie es in dem Gebäude in der Müga möglich war und ist.
Bei der Spesenaffäre des Oberbürgermeisters, die die letzten Monate geprägt hat, haben Sie sich sehr zurückgehalten. Das hat viele gewundert.
Für mich ist diese Affäre ein Ablenkungsmanöver der SPD von den viel größeren Problemen, die wir in der Stadt haben. Sie lähmt seit Wochen fast alles. Das Problem mit den Bewirtungsbelegen des OB hätte man längst intern klären und regeln können. Statt dessen befasst sich der Rat über Stunden mit sich selbst und greift die wahren Probleme nicht auf.
Mehr kommunale Kooperation, weniger Steuern
Als großes Problem steht jetzt der Haushalt 2019 auf dem Plan, und damit drohen weitere Einsparungen oder Verteuerungen. Wieder fehlen zehn Millionen Euro. Hätten Sie eine Lösung für die Krise?
Seit zehn Jahren erzähle ich, dass es so nicht weitergeht. Unsere Vorschläge laden dann oft im Papierkorb.
Konkret, was würden Sie ändern wollen?
Brauchen wir eine städtische Gesellschaft wie die Stadtmarketing und Tourismus GMBH, die jährlich Defizite macht. Oder: Wir sollten im Ruhrgebiet dringend mehr Kooperationen eingehen. Auch weitere beim ÖPNV. Wir bräuchten eine Gesamtverkehrsgesellschaft für die Region, einen einheitlichen Nahverkehrsplan. Das hieße Kompetenzen und Posten abgeben, brächte aber mehr Qualität und würde helfen, unser riesiges ÖPNV-Defizit zu verringern. Die Vorschläge des Kämmerers, den Haushalt über noch höhere Grundsteuern und noch höhere Kita-Gebühren zu sanieren, halte ich für perspektivlos. Das ist alles kontraproduktiv. Wir haben schon in Mülheim sehr hohe Steuern.
Wenn Sie sagen, es werden falsche politische Schwerpunkte in Mülheim gesetzt, welche möchten Sie jenseits des Haushaltes setzen?
Zunächst in der Wohnungspolitik. Es muss in der Stadt dringend mehr preiswerter Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Wir sollten nicht jedem Immobilienhai hinterherlaufen, der am liebsten jede Grünfläche mit hochpreisigen Häusern zubauen möchte. Und ich würde einen Schwerpunkt in der Schulpolitik setzen. Der Schulentwicklungsplan muss neu aufgelegt werden. Wir haben es seit 2010 mit viel mehr Kindern, mehr Seiteneinsteigern und mit noch größeren Schulklassen zu tun. Konzeptionell, räumlich und personell reicht das, was wir anbieten, nicht mehr aus.
Da stecken aber auch viele Landesaufgaben drin.
Wir sollten vor Ort gute Konzepte entwickeln, diese dem Land vorlegen und Unterstützung einfordern.
Ruhrbania holt Stadt nicht an den Fluss
Einer Ihrer Hauptkritikpunkte war stets die Innenstadt mit Ruhrbania. Jetzt erleben wir gerade im Sommer eine gut belebte Ruhrpromenade, wo die Menschen ihre Abende genießen. Haben Sie sich geirrt?
Nein. Es ist doch überhaupt nicht gelungen, die Innenstadt an den Fluss zu holen. Erst recht nicht durch das neue Schloßstraßen-Quartier. Die Verkehrsführung ist eher noch schlechter geworden. Bei dem letzten Stück zwischen Eisenbahn- und Nordbrücke kann ich nur sagen: Lasst die Finger davon weg. Lasst ein letztes Stücken Grün. Auch ein Hochhaus Richtung Nordbrücke bringt doch nichts.
Wie stellen Sie sich das Flughafen-Gelände in 20 Jahren vor? Man sollte die Freifläche mit dem hohen Grünanteil dort belassen. An den Flugverkehr haben sich die meisten Anwohner doch längst gewöhnt.
Was bereitet Ihnen die größten Sorgen im Sommer 2018?
Dass die Demokratie Stück für Stück zugrunde gehen könnte, dass sich Politik und Verwaltung immer weiter vom Bürger entfernen, dass die Gesellschaft weiter auseinander driftet. Chemnitz ist auch hier möglich.
>>>Gespräche mit den Chefs der Ratsfraktionen
-In den Sommerwochen führen wir Gespräche mit den Vorsitzenden der Ratsfraktionen. Zwei Drittel der Wahlperiode sind inzwischen um.
- Nach Dieter Spliethoff (SPD), Christina Küsters (CDU), Jochen Hartmann (BAMH) und Franziska Krumwiede-Steiner/Tim Giesbert (Grüne) setzen wir heute die Reihe mit Lothar Reinhard fort. Die MBI-Fraktion verfügt im Stadtrat nur noch über drei Sitze. Zwei Mitglieder wechselten zu anderen Fraktionen.