Mülheim. . Förderschüler in Mülheim werden von Gymnasiasten in Betriebe begleitet: So wird der erste Einblick in den Arbeitsmarkt möglich.

Moschjach (13) berichtet strahlend von seinen Erfahrungen in der Backstube. „Ich backe gern, und hier durfte ich helfen, Torten und Pralinen zu machen,“ erzählt der Schüler stolz. Für ihn ist klar: Konditor wäre sein Traumberuf. Sein viertägiges Praktikum in der Konditorei Sander ist zu Ende gegangen, und Sander-Chef Friedhelm Großenbeck und seine Mitarbeiter sind ganz angetan von der Freundlichkeit und der Begeisterung des Jungen. „Er wollte immer gern etwas länger bei uns bleiben“, schmunzelt Großenbeck.

Das Praktikum ist etwas Besonderes: Moschjach ist ein Förderschüler, der die integrative Klasse 7c der Realschule Stadtmitte besucht. Begleitet wurde er von Luisa (16) vom Gymnasium Broich. Dieses so genannte Tandem-Praktikum ist eine Möglichkeit, Förderschülern ein Praktikum auf dem ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Begleitet von Gymnasiasten aus den Pädagogikkursen der Stufe 10, damit die Betriebe in der Betreuung entlastet werden.

Fortbildung mit dem Verein Integro

Luisa hat sich freiwillig gemeldet und mit anderen Gymnasiasten eine eintägige Fortbildung des Vereins Integro absolviert, die sie auf die Rolle der Assistentin vorbereitet hat. Die Gymnasiasten lernen, wie sie unterstützen können, dabei aber dem Tandempartner nicht die Arbeit aus der Hand nehmen. Der Umgang mit Konflikten und Problemlösungen haben sie auch besprochen. „Wir sind alle möglichen Szenerien durchgegangen“, erzählt Luisa.

Mit Moschjach, den sie erst zum Praktikumsbeginn kennengelernt hat, hat sie sich sofort gut verstanden. Friedhelm Großenbeck der häufig Schüler-Praktikanten der 9. Klassen beschäftigt, war zunächst ein wenig skeptisch bei der Aussicht, zwei Praktikanten gleichzeitig bei laufendem Betrieb in der Backstube zu haben.

30 Tandem-Teams in ganz Mülheim

Doch es war dann doch meist nur einer: „Das Praktikum soll zu mehr Selbstständigkeit bei den Förderschülern führen“, fasst Luisa ihre Aufgabe zusammen. Bei Moschjach hat das schon gut geklappt: Er kam fast die ganze Zeit ohne Luisas Assistenz aus. Und seine sichtliche Freude an der Arbeit kam bei allen gut an. Luisa betreute in der Praktikumswoche parallel eine andere Förderschülerin beim Praktikum im Wohnstift Raadt.

Moschjachs Förderschullehrer Lars Metelmann begleitet das Tandem-Praktikum im integrativen Bereich seit nun drei Jahren. Insgesamt 30 Tandem-Teams sind in diesem Jahr zusammengekommen, zuvor waren es kaum die Hälfte.

Bildungsbüro unterstützt Projekt

„Ein Quantensprung“, sagt Metelmann, der hofft, dass sich das Mülheimer Projekt auch auf Landesebene etabliert. Beteiligt waren Schülerinnen und Schüler der Otto-Pankok-Schule, der Realschule Stadtmitte, der Realschule Broich, des Karl-Ziegler-Gymnasiums, der Rembergschule, der Gesamtschule Saarn und vom Gymnasium Broich. Das Bildungsbüro Mülheim unterstützt das Projekt.

Luisa ist stolz auf das, was Moschjach geschafft hat. Das Tandem-Praktikum hat auch ihr Perspektiven eröffnet: „Mir ist klar geworden, dass ich gerne Leuten helfe“, bilanziert die Schülerin. Die sich vorstellen kann, später einen Beruf zu wählen, bei dem sie es vor allem mit Menschen zu tun hat.

>> Landschaftsverband interessiert an Mülheimer Modell

Förderschullehrer Lars Metelmann initiierte das Tandem-Projekt schon vor 14 Jahren an der Rembergschule, damals in Kooperation mit der Luisenschule.

Durch die Teilnahme vieler Schulen können mehr Praktikumsplätze akquiriert werden. Betriebe sind offener für Praktika für Förderschüler, so seine Erfahrung, wenn eine Begleitung für die Praktikanten gewährleistet ist und nicht personell vom Betrieb übernommen werden muss.

Lars Metelmann hat das Tandem-Projekt gerade dem Landschaftsverband Rheinland vorgestellt. Der Plan ist, dieses Angebot für Förderschüler auf Landesebene zu etablieren. Das Mülheimer Modell, das es laut Metelmann so anderswo nicht gibt, soll dann als „best practise“ (Erfolgsmodell) vorgestellt werden.