Mülheim. . Als die Fraktion noch ihre Position für den Hauptausschuss berät, platzt eine Erklärung des Parteivorstandes herein, die den OB zunächst stützt.

Die SPD geht tief zerstritten und ohne abgestimmte Strategie in die Sitzung des Hauptausschusses am Donnerstag, wenn der Prüfbericht der Märkischen Revision zu mutmaßlichen Pflichtverstößen des Oberbürgermeisters bei seinen Spesenabrechnungen zur Debatte steht. Nicht mehr ausgeschlossen ist, dass sich Teile der SPD-Fraktion schon zur übernächsten Ratssitzung einer möglichen Initiative anderer Fraktionen zur Abwahl des OB anschließen würden.

Am Dienstagabend kam es bei einer Sondersitzung der SPD-Fraktion zum Eklat. Die Fraktion wollte ihren Umgang mit dem Prüfbericht abstimmen, geladen waren neben OB Scholten auch dessen verwaltungsinterne Gegenspieler Frank Mendack (Kämmerer) und Ulrich Ernst (Sozialdezernent), die als SPD-Dezernenten regelmäßig beratend an den Fraktionssitzungen teilnehmen.

OB Scholten nahm vor Fraktion Stellung zum Gutachten

Zunächst nahm der Abend seinen geplanten Verlauf. In rund einer Dreiviertelstunde bekam zunächst Scholten die Möglichkeit, sich zum Prüfbericht zu äußern und Fragen der Fraktion zu beantworten. „Das Treffen war ruhig und geordnet wie immer“, bilanzierte er seinen Auftritt am Mittwochnachmittag gegenüber dieser Zeitung.

Bei der folgenden Debatte allerdings war Scholten nicht mehr zugegen, wegen anderer Termine, wie er sagte. Schon da taten sich die Gräben innerhalb der SPD-Fraktion auf, die schon Anfang des Monats nur mit allerlei Mühe notdürftig mit einer Erklärung der Partei zugedeckt worden waren, sich in der Causa Scholten zunächst der Unschuldsvermutung zu verpflichten.

Teile der Fraktion wollen Konsequenzen ziehen

Für diese Verabredung sieht ein unbestimmter Teil um den Fraktionsvorsitzenden Dieter Spliethoff und Fraktionsgeschäftsführer Claus Schindler nun das Haltbarkeitsdatum überschritten, nachdem die Prüfer der Märkischen Revision Scholten einen ordnungsgemäßen Umgang mit seiner Spesenabrechnung absprechen. Es gelte sich zum Prüfergebnis zu positionieren und Konsequenzen zu ziehen, sagen Scholtens Gegenspieler in der Fraktion.

Andere Fraktionsmitglieder, insbesondere diejenigen wie Rodion Bakum, Jan Vogelsang, Johannes Terkatz und André KIasberger, vertreten derweil die Meinung, dass erst einmal abzuwarten sei, wie Staatsanwaltschaft und Dienstaufsicht den Fall bewerten. Beide Behörden ließen auf Anfrage dieser Tage wissen, dass sie noch mit der Prüfung der Angelegenheit beschäftigt seien. Der Bericht der Märkischen Revision sei „Grundlage für die Prüfung, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten bestehen“, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Sollte ein Anfangsverdacht der Untreue festgestellt werden, würde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Mail des Parteivorstandes sorgt für Eklat in der Fraktion

Das kann dauern, sagen Scholten-Widersacher. Der Schaden für die Partei sei schon groß genug, dass man nicht noch eine strafrechtliche Würdigung abwarten könne. Der Bericht der Wirtschaftsprüfer sei aussagekräftig genug. Noch rang die Fraktion am Dienstagabend um ihre Positionierung für die Hauptausschuss-Sitzung, da sorgte eine Mail des Parteivorstandes an alle Mitglieder für den Eklat. Darin legten sich die stellvertretenden Vorsitzenden Silvia Richter und Cem Aydemir fest: „Im Sinne der Unschuldsvermutung und Fairness gegenüber Ulrich wartet die Mülheimer SPD das Ergebnis der Prüfung des Anfangsverdachts durch die Staatsanwaltschaft ab.“

Ein Alleingang des Parteivorstandes, der Fraktionschef Spliethoff, eigentlich nicht durch aufbrausenden Charakter bekannt, in Rage versetzte, wie zu hören ist. Spliethoff soll regelrecht getobt haben. Am Mittwoch gab er eine kurze, aber vielsagende Presseerklärung der Fraktion heraus. Mit der Stellungnahme des Parteivorstands „wurde die Meinungsbildung unterbrochen und konnte nicht zu einem abschließenden Ergebnis gebracht werden“. Die Position des Parteivorstandes sei eben nicht von allen getragen. „Es gab auch ganz dezidiert die entgegengesetzte Position, die im Kern davon ausgeht, dass der Oberbürgermeister sich nicht korrekt verhalten hat und politisch nicht mehr haltbar ist.“

In der SPD gibt es Gedanken an ein Abwahlverfahren

Lieber ein Schrecken mit Ende als ein Schrecken ohne Ende? Teile der Fraktion liebäugeln bereits damit, dem OB möglichst schnell den Garaus zu machen. Sollte eine andere Fraktion die Initiative ergreifen, ein Abwahlverfahren zu beantragen (siehe Textende), heißt es, könnte man vom Fraktionszwang abweichen und bei einer dann nötigen Abstimmung im Rat die Entscheidung freigeben. „Eine solche Entscheidung muss man dem Gewissen jedes Einzelnen überlassen“, so ein Fraktionsmitglied.

Vor der Sitzung des Hauptausschusses herrscht reichlich Unruhe und reges Treiben hinter den Kulissen – unter anderem ist noch am Donnerstagmorgen von Stadtdirektor Dr. Frank Steinfort in Absprache mit dem Rats- und Rechtsamt abzuklären, ob kurzfristig gestellte Anträge verschiedener Fraktionen auf die Agenda gelangen.

Anträge liegen von den MBI, der BAMH, der CDU und der FDP vor. Die CDU hatte zuletzt einen eigenen Tagesordnungspunkt zur OB-Affäre und die Anwesenheit eines Vertreters der Märkischen Revision gefordert. Der BAMH will durchsetzen, dass Scholtens Dienstkalender das Licht der Öffentlichkeit erreicht, um seine Bewirtungen auf dienstliche Zwecke hin zu prüfen.

Scholten geht ohne seinen Anwalt in die Sitzung

„Aufhören mit dem Schmierentheater“, hatte MBI-Fraktionssprecher Lothar Reinhard vor Wochenfrist gefordert. Er spricht von einer „aufgebauschten Affäre“ und will in der Sitzung erläutert sehen, warum es überhaupt eines externen Gutachtens bedurfte. Laut Reinhard hätte das städtische Rechnungsprüfungsamt sich der Sache annehmen können.

Oberbürgermeister Scholten wird die Hauptausschusssitzung nach eigener Auskunft übrigens ohne seinen Anwalt bestreiten. Er setze nach wie vor „auf eine sachliche Aufarbeitung in meiner Partei und der Fraktion“, sagte er – und mit Blick auf ein denkbares Abwahlverfahren: „An einer Verschärfung oder einer aggressiven Diskussion würde und werde ich mich nicht beteiligen.“

>>> ABWAHLVERFAHREN LAUT GEMEINDEORDNUNG

In der NRW-Gemeindeordnung ist geregelt, dass aus dem Stadtrat heraus ein Abwahlverfahren für den Oberbürgermeister eingeleitet werden kann.

Hierfür ist es notwendig, dass mindestens die Hälfte aller Ratsmitglieder den Antrag dazu gegenzeichnet. Der Antrag muss zwei Wochen vor einer Ratssitzung gestellt sein.

Damit der Antrag Erfolg hat, bedarf es eines Ratsbeschlusses, der von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder getragen wird.

Infolge des Ratsbeschlusses müsste ein Votum der Bürger eingeholt werden. Wenn die Wahlbeteiligung mindestens 25 Prozent beträgt, kann der Oberbürgermeister mit einfacher Mehrheit abgewählt werden.

Sobald der Wahlausschuss die Abwahl feststellt, scheidet der OB aus dem Amt aus.