Mülheim. . Sollte die Fläche an der Röntgenstraße zu Bauland werden, halten das manche für pietätlos. Noch ist nichts entschieden, heißt es von der Stadt.

„Ich frage mich, warum die Bevölkerung nicht aufschreit“, sagt Wolfgang Peek und tut genau das jetzt stellvertretend gemeinsam mit einigen weiteren besorgten Holthausenern. Denn sie fürchten um den alten Friedhof zwischen Röntgen- und Virchowstraße. Nach dem neuen Friedhofskonzept der Stadt soll diese Fläche aufgegeben werden. Sie ist Bestandteil des Kataloges mit 23 Arealen, die stadtweit als Wohnbau- und Gewerbeflächen ausgeschrieben werden könnten.

„Wie können wir es wagen, die letzte Ruhestätte unserer Ahnen auszuschachten und zu bebauen?“, fragt Wolfgang Peek. Der Friedhof Holthausen besteht seit 1823, im Jahr 1957 wurden nach Auskunft der Stadt die Beisetzungen eingestellt. Begraben liegen dort auch die Vorfahren von Dagmar Peek, bis hin zu den Ururgroßeltern. „Hier liegt auch mein Prost-Opa, mein Urgroßvater, der hat zu meiner Mutter gesagt, als sie klein war: Kipp später ein Gläschen Schnaps auf mein Grab, wenn du einen Wunsch hast.“ Dagmar Peeks Urgroßvater war Ruhr- und Rheinschiffer, hatte – so lauten die Erzählungen ihrer inzwischen 95-jährigen Mutter – einen unverkennbaren Ring im Ohr. „Auch ich bin etwa vor einer Englischarbeit noch zum Grab von Uropa Herrmann gegangen und hab ihm einen Schnaps rübergekippt“, erinnert sich Dagmar Peek.

Selbst die Ururgroßeltern liegen dort

Und auch ihre eigenen Kinder haben lebendige Erinnerungen an den Friedhof. „Für uns war das die Verlängerung des Gartens, wir haben dort gespielt. Außerdem ist das ein Stück Mülheimer Geschichte, das kriegt man nie wieder“, sagt Tochter Annika ter Schüren, die heute bereits mit ihren eigenen kleinen Söhnen Lars und Kalle über den Friedhof spaziert– die nächste Generation kommt also schon bei Prost-Opa Hermann vorbei, wenn auch ohne Schnäpschen.

Dass das Areal, auf dem ihre Vorfahren bestattet sind, aufgegeben wird – für Dagmar Peek undenkbar. Erst recht, falls das Gelände bebaut werden sollte. „Man muss sich nur mal vorstellen, dass hier eine Baugrube ausgehoben wird. Dann kommen doch die Knochen zum Vorschein“, sagt die 64-Jährige.

Ein Areal des Friedens aus dem Friedhof machen

Ihr Mann spricht von Pietätlosigkeit und sagt: „Wenn die Stadt aus ihrer Finanzmisere dieses Stück als Bauland vermarktet, ist das eine Bankrott-Erklärung.“ Wolfgang Peek hat aber auch direkt einen Gegenvorschlag: „Aus einer solchen Stätte kann man ein Areal des Friedens machen, etwa einen Park , aber nicht eine Reihe von Einfamilienhäusern oder gar einen Block mit Eigentumswohnungen darauf bauen.“ Eine andere Anwohnerin ist ähnlicher Meinung: „Man kann doch nicht die Gebeine zum Fundament für Häuser machen.“

Auch die
Auch die © Bauer

Nicht nur um die Menschen, die hier bestattet liegen, fürchten die Holthausener, auch um ihre Naherholungsfläche. Dagmar Peek hat beobachtet: „Der Witthausbusch ist für Familien mit Kindern, hier aber gehen viele ältere Leute spazieren.“ Und tatsächlich hat die Fläche zwischen Röntgen- und Virchowstraße auf den ersten Blick nicht die Anmutung eines Friedhofes, sondern eher die eines Parks. Die meisten Gräber sind zugewuchert, Büsche breiten sich aus, das Gras steht hoch. Einige wenige Gräber würden noch gepflegt, haben die Anwohner beobachtet, der Rest verwildert. Eher ein ursprüngliches Naturidyll, als eine Gedenkstätte. Die Anwohner stört das nicht, im Gegenteil. Eine 85-jährige Nachbarin, die namentlich nicht genannt werden möchte, berichtet begeistert: „Hier gibt es in diesem Jahr besonders viele Jungvögel und im Frühjahr blüht der Enzian in Mengen.“

„Bei baulicher Nutzung würden Gebeine umgebettet“

Ganz auszuschließen ist die Umwidmung hin zu einem Park nicht, lässt die Stadt durchblicken. „Es könnte eine öffentliche Grünfläche werden“, bestätigt Stadtpressesprecher Volker Wiebels und ordnet ein: „Wie etwa auch die Fläche am Mahnmal am Hagdorn. Das war auch einmal ein regulärer Friedhof.“ Eine abschließende Entscheidung zur Nachnutzung der Fläche des Friedhofs Holthausen habe die Politik noch nicht beschlossen. Klar sei aber, so Wiebels: „Bei einer baulichen Nutzung würden die Gebeine umgebettet.“ Aber nur dann.