Mülheim.. . Vor 50 Jahren, am 4. Mai 1968, legt die Stadt die Strecke über Kassenberg still. Seither halten sich Debatten um einen neuen Anschluss des Dorfes.

„Letzte Straßenbahn nach Saarn“ steht in schwarzen Lettern auf den Seitenwänden des alten Triebwagens. Als er am 4. Mai 1968 auf den Klostermarkt einbiegt, sind die Menschen traurig und glücklich zugleich. An diesem Samstagabend quietscht die Straßenbahn ein letztes Mal über die Düsseldorfer Straße. Viele trauern ihr nach.

Heute können sich viele nicht vorstellen, dass bis vor 50 Jahren eine Straßenbahn über die Saarner Einkaufsmeile fuhr, Kunden zu den Geschäften brachte. Seit Sonntag, 5. Mai 1968, fahren Busse, die andere als modernes Transportmittel begrüßten, durchs Dorf. Auch diese sind dort nicht mehr erwünscht, weil sie Falschparker verdrängen. Für eine neue Straßenbahnstrecke nach Saarn hat sich bisher keine politische Mehrheit gefunden. Zukunftsorientierter und bequemer Nahverkehr ist im konservativen Dorf (noch) nicht gewollt.

Saarn schrieb Mülheimer Straßenbahngeschichte

Mit der Linie 1 von Saarn über Stadtmitte, Styrum Bahnhof nach Oberhausen bis zum Holtener Bahnhof. Mit der 11 über Aktienstraße und Essen Hbf nach Essen-Rellinghausen oder etwas kürzer zum Stadtwaldplatz. Mit der 15 über Dümpten bis Oberhausen Lipperheidenbaum. Mit der 16 bis Oberhausen Hauptbahnhof oder mit der 14 von Alte Straße bis Sültenfuß in Styrum. Der Klostermarkt war immer Ausgangspunkt für Städte verbindende Straßenbahnlinien. Saarn – das Tor zum Ruhrgebiet.

Vom 1. Juni 1911 bis zum 4. Mai 1968 schaukelte die Elektrische durchs Dorf – Saarn schrieb nur ein kurzes Kapitel der Mülheimer Straßenbahngeschichte.

Das erste Stück der Tour, durch das Saarner Zentrum, gehörte zu den schönsten Streckenteilen der Stadt. Heute erinnern sich nur noch die „aulen Ssaansche“ an ihre Elektrische und die Fahrer aus der Nachbarschaft. Junge und neue Saarner glauben es kaum, dass früher die Straßenbahn über die Einkaufsmeile fuhr – eingleisig bei Zwei-Richtungs-Verkehr.

Vor der Eisdiele stoppten die Bahnen

Start der Touren war am Klostermarkt, wo sich jetzt die Bushaltestelle vor dem Autohaus Wolff befindet. Nach der Umsetzweiche am Kellermannshof schmiegte sich das Gleis auf der rechten Straßenseite an den schmalen Gehweg. Die gegenüberliegende Häuserzeile in diesem Flaschenhals hatte gar keinen Bordstein, nur Kopfsteinpflaster mit Gosse bis vor die Haustüren. Auf der Nordseite der „Düsseldorfer“ fuhren die Wagen in beide Richtungen. Entgegenkommende Autos mussten ausweichen. Vor der Dorfbäckerei – einst Schweidtmann – lag die erste Haltestelle im Dorf. Vor der Eisdiele stoppten die Bahnen Richtung Klostermarkt. Immer hieß dieser Halt „Kahlenbergstraße“.

Zweigleisig war die Strecke von dort bis zur Lehnerstraße, danach wieder eingleisig bis zur Kreuzung Straßburger Allee/Düsseldorfer/ Alte Straße. Wo heute Fußweg und Parkplätze sind, hielt die Bahn früher vor dem großen Baum. „Alte Straße“ rief der Schaffner. Dabei lag die Betonung oft auf „Alte“. Dort endete die 14. Zweigleisig folgte die Strecke der Düsseldorfer Straße – auf einem separaten Mittelstreifen bis „Lindgens“. Die Haltestellennamen leben bis heute als Busansagen weiter.

Die Bahnen rollten bis zum Schulhoftor

Später rollten die Triebwagen auf die Landsberger Straße bis zur Schmiede Esser. Mit dem Bau der Reichsstraße 1 bogen die Bahnen ab 1932 von der „Düsseldorfer“ zur Klostermarktschule ab. Für Einrichtungswagen entstand 1954 auf der Wiese neben der Schule ein Gleisdreieck. Die Bundesstraße 1 wuchs auf vier Spuren. Die Bahnen rollten bis zum Schulhoftor. Heute befindet sich dort ein Fußweg. Die Fahrertoilette war in der Turnhalle.

„Jedoch hatte die als Verkehrshindernis wahrgenommene Straßenbahn gegen die zunehmende Motorisierung auf Dauer keine Zukunft mehr“, resümiert Annett Fercho in einem Rückblick des Stadtarchivs. „So sahen es die Verkehrsplaner im 1967 erstellten Generalverkehrsplan, der die Einstellung der Strecke vorschlug, dem die Stadtverordneten folgten.“

Schaffner bewirteten Fahrgäste mit Schnaps

Ab 16 Uhr durften die Fahrgäste am 4. Mai 1968, bis zur letzten Straßenbahn in der Nacht, kostenlos einsteigen und wurden von den Schaffnern mit Schnaps und Likör bewirtet. Geburtstagskinder erhielten eine Tafel Schokolade, erinnert sich der Schreiber dieser Zeilen. Die Wagen trugen Trauerkränze.

Am Abend öffnete Petrus – passend zum Straßenbahnabschied – seine Schleusen. Bei strömenden Regen spielte die Kapelle der Betriebe der Stadt am Klostermarkt. Gegen 22 Uhr entgleiste im Wendedreieck hinter der Grundschule eine Bahn. Kinder hatten Steine auf die Schienen gelegt. Erst um viertel vor Eins konnte die letzte voll besetzte Straßenbahn mit singenden und schunkelnden Fahrgästen von Saarn zur Stadtmitte abfahren. Erst 1995 wurden die letzten Schienen im Dorf ausgebaut.

Dorf war mit Straßenbahn noch gemütlicher

Diejenigen, die sich eine Straßenbahn nach Saarn zurückwünschten, wurden beruhigt: Der neue Generalverkehrsplan enthielt eine neue Gleisverbindung zum Dorf. Die Strecke sollte vom Waldschlösschen in die Diedenhofer Straße, auf einer Brücke über das Bühlsbachtal zur Saarner Kuppe führen. Weiter am Schulzentrum vorbei über die Straßburger Allee bis zum Parkplatz an der Quellenstraße war die Trasse skizziert. Dieser Plan wurde nie verwirklicht, obwohl immer wieder Vorschläge für eine Straßenbahn nach Saarn diskutiert werden. Auf der Kuppe ist die Trasse heute noch als Grünstreifen erhalten.

Bis vor 50 Jahren war das Leben im Dorf mit der Straßenbahn noch gemütlicher. Da wartete der Fahrer am frühen Morgen auch mal, bis der fehlende Fahrgast mit wehendem Hemd zum Einsteigen eilte, oder die Metzgersgattin ein Stück Blutwurst für das Personal auf die Plattform reichte