In Mülheim soll manches einfacher werden: Verkehrsführung, Ampelschaltungen, ÖPNV. Kritik ist ausdrücklich erwünscht. Ein Gespräch mit dem Verkehrsplaner Franz P. Linder.
Mit dem Projekt „Simply City” will die Stadt ihren Verkehrsraum modern gestalten, unsinniges Mobiliar entrümpeln, Ampelschaltungen ebenso wie die Verkehrsführungen verbessern. Das Modellprojekt wird geleitet vom Kölner Planerbüro Südstadt. Mit dessen Inhaber Franz P. Linder (59), einem diplomierten Verkehrsplaner, sprach WAZ-Redakteur Mirco Stodollick über die „einfache Stadt”.
Der Anfang ist gemacht: In drei Modellgebieten wurden 350 Verkehrszeichen und Wegweiser verhüllt. Sind die alle überflüssig?
Linder: Aus Sicht der Kommission, die die Schilder ausgewählt hat, sind sie alle entbehrlich.
Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass der Schilderwald so einen Wildwuchs entwickelt hat? Hat die Stadt ihre Aufgaben als „Försterin” vernachlässigt?
Mülheim steht nicht alleine da. Es ist ein Thema jeder Stadt. Der Schilderwald ist seit Jahrzehnten gewachsen, weil bei Problemen, die eigentlich baulich oder anderweitig zu lösen wären, erst mal Schilder aufgestellt wurden. Die alte Gläubigkeit, dass man mit Schildern alles regeln kann, hat sich in den Köpfen vieler Entscheidungsträger gehalten. Oft ist es aber ein Alibi-Handeln: Es beschwert sich eine Bürgergruppe, dass an einer bestimmten Stelle zu schnell gefahren wird, die Sache kommt in einen politischen Ausschuss, dort will man den Bürgern entgegenkommen und Aktivität zeigen . . .
Das Projekt läuft bis Ende 2010. Wie geht es nach der Schilder-Aktion weiter?
Wir arbeiten mit Workshops, zu denen wir Vertreter aller relevanten Gruppen einladen werden. Da werden wir beispielsweise für den Bereich Heißen-Mitte genau schauen, welche bürgerschaftlichen Gruppen anzusprechen sind. Wir wollen einen demografischen Querschnitt vertreten wissen, werden Jugendliche, Familien, Senioren einbinden. Denn sie alle haben ihre eigene Perspektive.
Laut Projektskizze wollen Sie gar so weit gehen, das System des ÖPNV kritisch zu beleuchten: wenn Sie etwa fragen, welche Bezahlregelungen bei Bussen und Bahnen zu kompliziert oder unangemessen sind? Glauben Sie tatsächlich, dass hier etwas zu bewegen ist?
Die Frage muss erlaubt sein, was als kompliziert oder ungerecht empfunden wird. Mit den Ergebnissen werden wir mit den Entscheidungsträgern in den Dialog treten. Das ist unser Anspruch: Wie können wir auch den Nahverkehr effizienter, einfacher machen? Es geht auch um einen modernen Nahverkehr, etwa ein elektronisches Bezahlsystem.
Sie rufen Bürger ausdrücklich auf, alles zu melden, was sie als Behinderung in ihrer Mobilität empfinden. Welche Plattformen werden Sie den Bürgern bieten?
Im Prinzip zwei. Einmal unter www.simply-city.de das Internet als Dialogplattform. Daneben wollen wir klassisch kommunizieren. Wir werden eine Broschüre oder einen Flyer entwerfen – mit abtrennbarer Postkarte, die Platz lässt für Anregungen und Kritik. Mit ihnen werden wir an hoch frequentierten Punkten präsent sein, wo man die Karten direkt ausfüllen und einwerfen kann. Daneben gibt es Bürgerforen und -versammlungen.
Mit welcher Beteiligung rechnen Sie?
Ich bin kein Hellseher. Aber je mehr sich beteiligen, desto größer ist die Chance, dass es ein erfolgreiches Projekt wird. Wer sollte es besser wissen als die Mülheimer selbst, was überflüssig, was schwierig ist?
Wie wollen Sie die zu erwartende Flut an Kritik und Anregungen bewältigen?
Indem wir es ernst nehmen, was die Bürger uns schicken, es sammeln und auswerten. Noch mal: Ich freue mich, wenn eine rege Beteiligung entsteht. Unser Ansinnen reicht über die Modellgebiete hinaus. Es sollen sich auch Bürger aus anderen Stadtteilen beteiligen, damit die Projektergebnisse möglichst auf das ganze Stadtgebiet ausgedehnt werden können.
Mülheim nach Projektende – wie stellen Sie es sich vor?
Ich stelle mir für die Modellgebiete eine überzeugende, konsensnahe Lösung vor, für die es auch eine finanzielle Ausgestaltung gibt. Am Ende soll ein ganz deutlicher Unterschied in der Mobilität messbar sein, der sich auf andere Stadtteile übertragen lässt. Wir brauchen eine kreative Diskussion über moderne Mobilität – vor dem Hintergrund der Altersgesellschaft, die andere Ansprüche stellt, vor dem Hintergrund der Klimadiskussion und der knapper werdenden kommunalen Finanzen. Und wir wollen Kinder in das Blickfeld aufnehmen, weil sie allgemein in der Verkehrsplanung benachteiligt werden.
Vieles wird Geld kosten, etwa das Versetzen, Umrüsten einer Ampel, die Demontage von Schildern, die Vereinheitlichung des Wegeleitsystems. Mülheim steht kurz vor dem Nothaushalt. Wie soll das gehen?
Ich kann nur hoffen, dass das Land und die Stadt Geld zur Verfügung stellen, Mülheim ist schließlich als Modellgebiet ausgewählt. Für die ersten Umsetzungsmaßnahmen hat das Land ja auch schon 150 000 Euro in Aussicht gestellt.