Mülheim. . Besuch in der städtischen Notschlafstelle für Frauen. 24 Wohnungslose haben hier im vergangenen Jahr übernachtet. Manche bleiben monatelang.
Eine Notschlafstelle ist nicht die beste Adresse, doch manche Frauen in Mülheim haben schlicht keine andere Wahl. Zu ihnen gehört Jutta D., eine von sechs Wohnungslosen, die zurzeit an der Augusta-straße ein äußerst einfaches Obdach gefunden haben. Acht Plätze gibt es dort insgesamt.
Die genaue Adresse soll auf Wunsch derjenigen, die sich kümmern, nicht veröffentlicht werden. „Hier kommen auch Leute unter, die im Frauenhaus keinen Platz gefunden haben“, erklärt Andrea Krause, Leiterin der Ambulanten Gefährdetenhilfe bei der Diakonie. Die Tür zur Parterrewohnung öffnet sich per Zahlencode. Im Flur hängt die Hausordnung, mehrsprachig. Tierhaltung ist untersagt, Rauchen nicht.
Zwei Schlafräume mit Stockbetten aus Metall
Im karg eingerichteten Gemeinschaftsraum, der auch über eine Küchenzeile verfügt, sitzen Jutta D. und eine andere Bewohnerin, ziehen an Zigaretten. Zwei Schlafräume gibt es hier, mit Stockbetten aus Metall und grauen Spinden, die früher einmal abschließbar waren. Nebenan führt eine Frau Selbstgespräche, so laut, als telefoniere sie mit einem Schwerhörigen. Eine Nasszelle gibt es für alle, eine Waschmaschine steht im Keller.
Jutta D. sagt allerdings, sie wasche hier nicht, koche niemals und lege keine Lebensmittel offen in den Kühlschrank. „Ich bin schon häufiger bestohlen worden“, berichtet die Sechzigjährige mit kohlschwarz coloriertem Haar. Sie habe nur eine Handtasche dabei mit dem Nötigsten, obwohl sie hier zu den Dauergästen gehört. Etwas Kleidung, wenige Möbelstücke seien bei Bekannten gelagert. Eine eigene Wohnung habe sie seit fast neun Jahren nicht mehr, seit ihr Mann gestorben ist.
Altersschnitt knapp 48 Jahre
Die Frauen, die die Notschlafstelle in Styrum aufsuchen, sind im Durchschnitt knapp 48 Jahre alt. Sie haben vielfältige Schicksale zu tragen, oft schwere psychische Erkrankungen, auch Jutta D. Wiederholt war sie für längere Zeit in stationärer Behandlung, „teilweise habe ich auch im Hotel gewohnt, weil ich es hier nicht mehr ausgehalten habe“.
Die Unterkunft ist, anders als die für Männer an der Kanalstraße, durchgehend geöffnet. Jutta D. sieht zu, dass sie täglich vor die Tür kommt. Sie bezieht eine kleine Hinterbliebenenrente, die sie anfangs noch durch Jobs aufbessern konnte. Ihre erwachsene Tochter, bei der sie gelegentlich die Wochenenden verbrachte, habe sie seit 2010 nicht mehr gesehen.
Das Zusammenraufen in der Schicksalsgemeinschaft klappe mal besser, mal schlechter. „Kein Wunder“, erklärt auch Abteilungsleiterin Andrea Krause, „wenn so viele Frauen mit massiven Schwierigkeiten zusammenkommen.“ Sozialarbeiter Harald Leuning betreut beide Notschlafstellen. „Bei den Frauen“, sagt er, „gibt es sogar mehr Trouble als bei den Männern.“ Ab und an muss die Polizei einschreiten, „obwohl sie eigentlich auch nichts ausrichten kann". Auf dem Flur gibt es ein Notruftelefon, mit dem man die 110 oder 112 wählen kann.
Nicht als Dauerlösung gedacht
Die Zahl der Frauen, die an dieser ärmlichen Adresse einchecken, ist in letzter Zeit stark gestiegen. „Bis vor wenigen Jahren hatten wir gelegentlich zwei, drei Nutzerinnen“, berichtet Leuning, „zeitweise hätte man die Notschlafstelle fast dicht machen können.“ Im Vorjahr wurden 24 Frauen aufgenommen, 2016 waren es 19. Manche bleiben monate- oder sogar jahrelang. „Eigentlich soll diese Einrichtung nicht zu einer Sonderwohnform werden“, sagt der Sozialarbeiter. „Aber in der Realität ist es so.“
Jutta D. möchte zur Bilanz ihres bisherigen Lebens auch hinzufügen: „Ich war 30 Jahre verheiratet, ich bin keine Straftäterin, hatte nie Mietschulden.“ Sie wünscht sich ein eigenes Zuhause, sie traut sich zu, alleine zu leben. „Der Wohnungsmarkt hat angezogen“, sagt Andrea Krause, „aber wir arbeiten mit vielen Stellen in Mülheim zusammen, und wenn die Betroffenen bereit sind, mit uns zu kooperieren, können wir etwas tun.“ Die Frage sei allerdings auch, ob jemand in der Lage ist, eine eigene Wohnung zu halten oder nicht.
Dreien gelang der Wechsel in eine eigene Wohnung
Entsprechend unterschiedlich nehmen die Wege der Frauen, die hier landen, ihren weiteren Verlauf. 2017 gelang dreien der Wechsel in eine eigene Wohnung, vier wurden in einer psychiatrischen Klinik oder in einem Heim untergebracht, elf Frauen verließen die Notschlafstelle mit unbekanntem Ziel. Gut möglich, dass sie bald wieder vor der Tür stehen.