Mülheim. . Zum Tod von Erivan Haub: Erinnerungen an einen Mann, der lange als Genie unter deutschen Kaufleuten galt. Engagement zuletzt für die Hochschule.
Er hat in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren Einzelhandelsgeschichte geschrieben. Jetzt ist der Patriarch und langjährige Chef des Mülheimer Familienunternehmens Tengelmann, Erivan Haub, im Alter von 85 Jahren auf seiner Ranch in Wyoming (USA) gestorben.
Erivan Haub suchte nicht das Scheinwerferlicht. Er war, wie sich Mülheims Alt-Oberbürgermeister Hans-Georg Specht am Montag erinnerte, „ein gestandener Unternehmer von altem Schrot und Korn“. Da machte man nicht viel Aufheben um sein Tun. Macht Geld glücklich?, lautete 2008 eine Interviewfrage des WAZ-Redaktionsleiters an Erivan Haub. Seine Antwort: „Nein. Es erleichtert einem viel. Zufriedenheit macht glücklich, Harmonie und Fortschritt.“
Als Genie gefeiert, dem alles zu gelingen schien
Jahrzehntelang galt die Tengelmann-Geschichte als die Erfolgsstory deutscher Kaufleute schlechthin. Erivan Haub, der den Konzern nach oben brachte, wurde als Genie gefeiert, dem alles zu gelingen schien.
Der scharfe Wind des geradezu ruinösen Wettbewerbs im Lebensmittelhandel brachte das Denkmal doch ins Wanken. Zu spät hatte der Tengelmann-Chef eingesehen, dass sein Riesen-Unternehmen mit Hausmittelchen allein nicht überleben konnte. Es fehlte der Pfiff.
Haub räumte 1999 erstmals eigene Fehler ein
Im Sommer 1999 gab der Patriarch ein fast revolutionäres Interview im Manager-Magazin. Haub räumte erstmals eigene Fehler ein. Als er sich im Jahr 2000 aus dem Konzern zurückzog, steckte sein Imperium in der Krise. Die Haub-Söhne versuchten mit erfahrenen Managern von außen zu retten, was zu retten war. Die Süßwarenfabrik Wissoll war das erste, aber nicht das letzte Opfer. Eine Erfahrung, die Haub schmerzte. Daraus machte er nie einen Hehl.
Entspannter war dagegen mittlerweile wieder sein Verhältnis zur Heimatstadt. Mit Haubs Hilfe setzte 1999 die Scholl’sche Fähre wieder über die Ruhr. Er unterstützte die Renovierung der Jugendherberge am Kahlenberg. Auch mehr als eine Geste: Haub stiftete der Stadt, die ihm in den Jahren zuvor für Erweiterungspläne Steine in den Weg gelegt hatte, ein neues Goldenes Buch. Gebunden mit mölmschem Leder und in Grün gehalten, trägt es auf jeder Seite das goldene Stadtwappen.
Lange Zeit angespanntes Verhältnis zur Stadt
Alt-OB Specht hatte sich bemüht, das zerschnittene Tischtuch zur Familie Haub wieder zusammenzufügen. „Das Verhältnis hat sich entkrampft, aber es hat viele Jahre gedauert“, sagt er. Der Alt-OB hält Haub als „stets eloquent, souverän, in der Sache fest – vom Wissen vom Standpunkt her“, in Erinnerung. Standortge- und -verbunden sei Haub gewesen, eine große Unternehmerpersönlichkeit, die immer das Ganze im Blick gehabt habe, sowohl die Umwelt wie auch besonders die eigenen Mitarbeiter.
Nach langem Werben erklärte sich Haub 2008 bereit, aus den Händen der damaligen Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld den Ehrenring der Stadt in Empfang zu nehmen. In ihrer Laudatio nannte Mühlenfeld den Tengelmann-Granden auch mit Blick auf die acht Millionen Mark, die Haub 1985 nach den damaligen Gewinnen bei der US-Tochter „A+P“ seinen Mitarbeitern geschenkt hatte, „Deutschlands nettesten Firmenchef“.
„Die Verkörperung einer vorbildlichen Unternehmerpersönlichkeit“
Für sie sei Haub „die Verkörperung einer vorbildlichen Unternehmerpersönlichkeit“ gewesen, sagte Mühlenfeld am Montag. „Sein bürgerschaftliches und umweltpolitisches Engagement zeugen ebenso von ausgeprägter sozialer Verantwortung wie vor allem die Förderung der Jugend, die ihm immer ein besonderes Anliegen war.“ Mühlenfeld lobte „das dauerhafte Bekenntnis der Firmengruppe zum Standort Mülheim“. Haub habe sich sehr um Mülheim verdient gemacht.
„Er war ein Mann, der zu seinem Wort stand und er war ein Vorbild als Unternehmer“, sagt Heinz Lison vom Unternehmerverband. Er habe für Mülheim viel getan und der Stadt die Treue gehalten. Haub habe viel im Hintergrund gewirkt. „Er hat vielen Menschen Arbeit gegeben, die es sonst nicht in einen Beruf geschafft hätten“, so Lison. Sie hätten in seinen Firmen bis zum Renteneintritt gearbeitet. Haub sei in Verhandlungen sicher hart gewesen, aber „er war sehr menschlich im Umgang und hatte interessante persönliche Züge.“
Pralinen noch aus der eigenen Confiserie
Bei Gesprächen in seinem Büro bot Haub stets handgemachte Pralinen an. „Wer diese schätzte“, so Lison, „durfte zweimal zugreifen. Er ließ diese feinen Pralinen noch in der eigenen Confiserie in der Firmenzentrale herstellen, als Wissoll (die firmeneigene Schokoladenfabrik) schon längst geschlossen war.“
Erivan Haub habe sich stets selbst ein Bild von Situationen gemacht, danach sein Vorgehen festgelegt. „Hatte er sich entschieden, stand er dazu, kippte nicht um.“ Lison: „Wie haben ihn andere Lebensmittelhändler ausgelacht, als er Schildkrötensuppe aus seinem Sortiment strich.“ Haub sei oft anderen voraus gewesen. „Und als es darum ging, die Hochschule nach Mülheim zu holen, gab er mir eine Stiftungsprofessur von 500 000 Euro, um dieses Pfund für die Stadt einzusetzen.“
„Er war der beste Chef, den es gab“
Aus dem Kreis seiner langjährigen und engsten Mitarbeiter war am Montag Bestürzung über den plötzlichen Tod zu vernehmen. „Er war der beste Chef, den es gab“, erinnerte sich eine Mitarbeiterin. „Er war nicht nur Kaufmann, der nach den Zahlen geschaut hat. Er hatte immer auch die Menschen im Blick.“ Vor Augen hat die ehemals enge Vertraute noch den letzten Auftritt Haubs bei einer firmeninternen Weihnachtsfeier. „Es ist ein riesiger Applaus aufgebrandet, die Leute wollten nicht aufhören zu klatschen. Da standen auch ihm bald die Tränen in den Augen.“
Zur Vita von Erivan Haub
Erivan Karl M. Haub wurde am 29. September 1932 als einziges Kind von Erich und Elisabeth Haub, geb. Schmitz-Scholl, in Wiesbaden geboren. Seine Mutter stammte aus der Mülheimer Unternehmerfamilie Schmitz-Scholl, der auch die Einzelhandelskette Tengelmann gehörte. Er ist mit Helga Haub, geb. Otto, verheiratet. Das Ehepaar hat drei Söhne.
Nach dem Abitur und einer Ausbildung zum Großhandelskaufmann lernte Haub bei zwei renommierten Lebensmittelfilialbetrieben in den USA sowie in einer Im- und Exportfirma auf Kuba. Danach studierte er Volkswirtschaft beim späteren „Superminister“ Prof. Karl Schiller.
Unternehmen in vierter Generation übernommen
Nach Abstechern zu der Commerzbank und einer Immobilienfirma trat Haub 1963 in das Familienunternehmen Schmitz-Scholl/Tengelmann ein. Nach dem Tod seines Onkels Karl Schmitz-Scholl übernahm Haub im März 1969 in vierter Generation die alleinige Geschäftsführung – damals mit rund 13 000 Mitarbeitern, 427 Lebensmittelfilialen sowie der Schokoladenfabrik Wissoll. Zum Geschäftsjahresende, Stichtag 30. Juni 1969, betrug der Gesamtumsatz 600 Millionen Euro (1,2 Mrd. DM).
Ab 1971 beginnt Erivan Haub mit Firmenzukäufen im In- und Ausland und gezielter Expansion, seine Vision einer international tätigen Unternehmensgruppe zu verwirklichen. Dadurch wird Tengelmann in den 1970er Jahren zum größten Lebensmittelfilialisten in Deutschland.
Größten Konkurrenten aufgekauft
Mit der Übernahme des größten Konkurrenten, Kaiser’s Kaffee in Viersen, vollzog er 1971 eine der erfolgreichsten Unternehmensübernahmen der Nachkriegszeit. 1972 kam der Discounter Plus auf den Markt. 1979 beteiligte sich Erivan Haub an der ältesten amerikanischen Supermarktkette The Great Atlantic and Pacific Tea Company.
Mit der Mehrheitsbeteiligung an den Obi Bau- und Heimwerkermärkten beginnt Haub 1985 mit der strategischen Ausweitung der Tengelmann-Gruppe. 1990 steigt er in den Textilhandel (Takko-Filialen) ein. Gleichzeitig öffnen Lebensmittelfilialen (Plus, Kaiser’s, Tengelmann) in Ostdeutschland. Das Logistikzentrum in Ottendorf-Okrilla bei Dresden folgt. Am 100. Firmengeburtstag gehört Tengelmann zu den größten Lebensmittelfilialbetrieben der Welt.
Umweltschutz und Ausbildungshilfe
Neben den wirtschaftlichen Zielen engagierte sich Erivan Haub für die Umwelt. Frosch und Schildkröte stehen als Umweltzeichen in allen Regalen. Für zum Teil bahnbrechende Aktivitäten der Unternehmensgruppe zum Schutz der Umwelt erhielt Haub zahlreiche Auszeichnungen.
Er stärkte die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit in der Bildung, gründete 1988 das „Erivan Karl Haub Executive Conference Center“ und 1997 die „Haub School of Business“ an der St. Joseph’s University in Philadelphia, USA. 1992 verlieh die Hochschule ihm den Ehrendoktor. Die York University in Toronto, Kanada, hat den „Erivan Karl Haub Chair in Business and Environment“.