Mülheim. Amt erfährt kaum von Infektionen. Kitas und Schulen müssen sie melden, doch Patienten offenbaren sich fast nie. Ärzte wissen von hohen Zahlen.
Krätze ist ein sehr viel größeres Problem in Mülheim als bislang angenommen. Dem Gesundheitsamt wurden in den ersten Wochen des Jahres zwar nur elf Fälle gemeldet – doch allein in einer der hiesigen Hautarztpraxen wurden im selben Zeitraum bereits 91 Krätze-Patienten behandelt.
Kitas, Schulen und andere Gemeinschaftseinrichtungen müssen dem Amt laut Infektionsschutzgesetz jeden Fall mitteilen. Zumeist aber erfahren Erzieher oder Lehrer nichts davon. Sich zu offenbaren, fällt Betroffenen schwer. Die Scham ist groß. Dabei sei es essenziell, dass alle offen damit umgehen, heißt es von Ärzten. Nur so könne jeder einzelne Patient richtig aufgeklärt und behandelt werden, würden weitere Fälle vermieden. Nur so bekomme man die Krätze wieder in den Griff.
Unerträglicher Juckreiz
„Vor allem Kinder und Jugendliche sind betroffen“, erklärt Dr. Linda Oerter, Abteilungsleiterin im Gesundheitsamt. Sie nehmen sich gern in den Arm, begrüßen sich mit Küsschen, tauschen auch mal Kleidung. So gelangen winzige, mit dem bloßen Auge nicht zu erkennende Milben von einem Körper auf den nächsten – und verursachen nach vier bis sechs Wochen „kaum zu ertragenden Juckreiz“.
Die Tierchen graben sich an verschiedenen Stellen des Körpers kleine Gänge, fühlen sich besonders wohl zwischen Fingern oder an Handgelenken. Die Pein Infizierter sei oft derart groß, dass an Schlaf kaum noch zu denken ist, sagt Oerter. „Einige Kinder hören sogar auf zu essen und zu trinken.“
Krätze hat nichts mit mangelnder Sauberkeit zu tun
Entgegen manchem Vorurteil habe Krätze nichts mit mangelnder Reinlichkeit zu tun und sei auch „kein originäres Problem von Flüchtlingen“. Man finde sie überall in der Gesellschaft, in allen sozialen Schichten. Nicht nur über Körperkontakt ist die Infektion möglich. Auch Kleidung oder Kuscheltiere können mit Milben verseucht sein, Handtücher, Bettwäsche, Teppiche, Polster. Diese müssen nach dem Ausbruch der Krankheit ordentlich gereinigt oder für längere Zeit in Plastiksäcken isoliert werden.
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Auch wer die verordnete Salbe nicht richtig anwendet, wird die lästige Sache nicht mehr los. Hinzu kommt, dass manche Milben mittlerweile resistent sind gegen die Medikamente, berichtet eine Ärztin aus oben erwähnter Praxis, die nicht namentlich in der Zeitung stehen möchte. In den USA spreche man schon offen von diesem Phänomen, „für Deutschland ist es noch nicht offiziell bestätigt“. Viele Hautärzte – acht Kassenarzt-Sitze gibt es insgesamt in der Stadt – machten sich dennoch ernsthaft Sorgen, dass die Resistenzen zunehmen. „Denn dann hätten wir hier bald ein echtes Problem.“
Angehörige am besten gleich mitbehandeln
An vielen Tagen warteten schon vor Öffnung der Praxis Betroffene vor der Tür. Ganze Familien kämen in die Sprechstunde. Das sei auch sinnvoll, so die Medizinerin, „weil man die Angehörigen gleich mitbehandeln kann“. Ohne professionelle Hilfe und Offenheit im Umfeld, in der Familie, bei Freunden, in Kita und Schule, im Verein, könne die Krankheit immer wiederkommen und sich rasch weiter verbreiten.
„Da die Krätze wirklich überhand nimmt, haben wir uns jetzt entschieden, freiwillig – und nur nach Einverständnis des Patienten – dem Gesundheitsamt jede neue Infektion zu melden“, berichtet die Ärztin. Linda Oerter begrüßt diese Zusammenarbeit und hält eine entsprechende Anpassung des Infektionsschutzgesetzes für überfällig: „Es wäre sinnvoll, wenn Ärzte zum Melden verpflichtet wären.“
Sie bekommen – anders als Kitas oder Schulen – in jedem Fall Kenntnis von der Krankheit. Und das Amt könne wirklich helfen. Man arbeite mit dem Betroffenen einen Fragebogen durch, kläre beim Hausbesuch ab, mit wem der Patient Kontakt hatte, wie die Wohnung zu reinigen, was weiter zu tun ist.
Milben werden schon vor dem Ausbruch weitergegeben
Krätze wird medizinisch Skabies genannt. Schon ein, zwei Milben reichen für heftigsten Juckreiz aus. Sie graben sich durch die Haut, ohne dass der Patient zunächst etwas spürt. Das ändert sich nach einem Monat radikal: Gerade nachts, unter der Decke, wird das Kratzbedürfnis extrem.
Schon vorher können die Milben weitergegeben werden. Wer erkrankt ist, darf Kita oder Schule vorübergehend nicht besuchen.