Für die Hochzeit seiner Tochter besuchte Justin Fonkeu erstmals seit seiner Flucht 1998 sein Heimatland. Dort erlebte er einen Staat in Anarchie
- Justin Fonkeu flüchtete 1998 aus Kamerun. Für die Hochzeit seiner Tochter reiste er erstmals wieder dorthin.
- Dort erwartete ihn ein Staat in Bürgerkrieg und politischer Lähmung.
- Der englischsprachige Südwesten kämpft für die Unabhängigkeit, Diktator Paul Biya reagiert mit Gewalt.
Wäre Justin Fonkeu Nkwadi (59) vor 20 Jahren in eine Kontrolle der kamerunischen Polizei geraten, hätte sein Herz gebebt. Als Oppositionspolitiker wurde er observiert und verfolgt, flüchtete 1998 schließlich aus seiner zentralafrikanischen Heimat. Nun ist der Mülheimer Ratsherr zum Jahreswechsel erstmals seit seiner Flucht zurückgekehrt, um seiner Tochter eine traditionell-kamerunische Hochzeit zu ermöglichen. Die Polizeikontrollen sind nicht weniger geworden – doch nun hatte Fonkeu mit seinem deutschen Ausweis „einen VIP-Pass“, wie er selbst sagt. Die Polizisten ließen ihn meist gewähren, im Gegensatz zu seinen einheimischen Mitmenschen.
„Terroristische Bedrohung“ im Westen?
„Es ist und bleibt für mich unverständlich, warum ein Ausländer dort so viel besser behandelt wird als die eigene Bevölkerung“, sagt der Grünen-Politiker und Vorsitzende der Afro-Mülheimers – und meint damit insbesondere die englischsprachigen Kameruner. Die Menschen in der anglophonen Region werden vom Regime des Diktators Paul Biya benachteiligt, der den Staat seit 36 Jahren mit harter Hand regiert und mit großer Sicherheit auch im Wahljahr 2018 wieder antreten wird.
Der Südwesten wünscht sich Gleichberechtigung – oder Unabhängigkeit. Da ersteres unter Biya nicht zu machen scheint, hat die Separatistenbewegung im Oktober 2017 den Weststaat „Ambazonien“ ausgerufen. Der Präsident reagierte mit Gewalt, für ihn geht vom Südwesten „eine terroristische Bedrohung“ aus. 75 Tote soll es inzwischen gegeben haben. Wie viele es wirklich sind, ist unklar.
Justin Fonkeu hoffte in ein Land heimzukehren, indem es friedlicher zugehe als vor 20 Jahren. Stattdessen erwartete ihn ein Bürgerkrieg.
Der Staat ist überall
„Es wird vermutlich noch blutiger werden, bevor es besser wird“, befürchtet Fonkeu. „Es herrscht teilweise Anarchie.“ Der Südwesten, aus dem Fonkeu ursprünglich herkommt und wo auch die Hochzeit seiner Tochter stattfand, ist derzeit vom restlichen Teil des Landes isoliert. Das Internet ist abgeschaltet, die Schulen und Gerichte sind geschlossen – und die staatliche Überwachung ist extremer denn je. „Man sollte sich mit politischen Äußerungen zurückhalten“, sagt Fonkeu. „Es kann sein, dass der Taxifahrer ein Spitzel ist und direkt zur Polizei fährt, wenn man den Präsidenten im Auto kritisiert.“
Jung gegen Alt
Dabei gebe es genug zu beanstanden, auch außerhalb des benachteiligten Südwestens: Insbesondere die Perspektive der jungen Menschen sei so schlecht, dass ein Hochschulabsolvent nicht selten als Motorradtaxifahrer über die Runde kommen müsse, berichtet Fonkeu.
„Die Leute kämpfen hart für ihre individuelle Entwicklung, aber der Staat legt ihnen Steine in den Weg.“ Der durchschnittliche Parlamentarier in Kamerun ist 65 Jahre alt, dabei ist die Bevölkerung im Durchschnitt 22. „Den Jungen wird gesagt, in der Politik hätten sie nichts zu suchen.“ Und das Gift scheinen sie zu schlucken.
Denn das Gefühl etwas verändern zu können, sei bei den wenigsten ausgeprägt, meint Fonkeu. „Es ist einfach nicht möglich, den Ämtern Vorschläge zu machen, ihnen zu sagen, was falsch läuft.“ So erlebte es Fonkeu selbst im Gespräch mit einem Bürgermeister, der jegliche Kritik nur mit Verweis auf die Bürokratie abtat. „Viele interessieren sich nur für die Macht, nicht für die Bevölkerung“
Dennoch hat Fonkeu Hoffnung. „Die Lebensumstände haben sich im Vergleich zu früher verbessert, die Leute haben mehr Bewusstsein für Hygiene und Bildung. Ich sehe die Zukunft positiv.“ Denn obwohl Biya versucht einen Keil zwischen Westen und Osten zu schieben, hat Fonkeu kaum Feindseligkeiten zwischen den Bevölkerungsgruppen erlebt. Nur koche jeder sein eigenes Süppchen. „Es fehlt ein Sinn für Gemeinschaft.“ Paradoxerweise scheint gerade Biyas aggressive Reaktion auf die Proteste für mehr Einigkeit zu sorgen. Schießt sich der Ewig-Herrscher am Ende selbst ins Bein?
Hintergrund: der Ursprung des Sprachenstreits
Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Rebellen in Südwest-Kamerun haben Wurzeln, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen. Kamerun war von 1884 bis 1919 eine deutsche Kolonie, wurde nach dem Ersten Weltkrieg jedoch unter Großbritannien und Frankreich aufgeteilt, wobei die Franzosen Vier Fünftel des Landes erhielten.
Nachdem Französisch-Kamerun bis zum Zweiten Weltkrieg vor allem wirtschaftlich ausgebeutet wurde, wuchs schließlich die Auflehnung gegen die französische Vorherrschaft. Nachdem zahlreiche Aufstände blutig niedergeschlagen wurden, bekam Französisch-Kamerun in den Fünfzigern eine eigene Verfassung, 1960 wurde der unabhängige Staat Ost-Kamerun ausgerufen.
Im britischen Mandatsgebiet entschied sich die Bevölkerung 1961 teils für und teils gegen die Angliederung an das unabhängige Kamerun: Während sich der Norden an das benachbarte Nigeria anschloss, stimmte der Süden dafür, sich Ost-Kamerun anzugliedern und bekam dabei Autonomierechte zugesprochen. Seitdem sind mit Französisch und Englisch zwei Amtssprachen in Kamerun anerkannt.
Die Autonomierechte wurden jedoch zunehmend abgeschafft, die englischsprachige Bevölkerung fühlte sich immer mehr diskriminiert, beispielsweise weil man ihr Französisch als Unterrichtssprache in den Schulen vordiktierte.
Auch der amtierende Präsident Paul Biya zementierte die Ungleichheit weiter. „Fast alle wichtigen Ämter im Land sind nur von Frankophonen besetzt“, sagt Justin Fonkeu. „Die Rechte der Anglophonen werden kaum berücksichtigt.“ Als Beispiel nennt Fonkeu das staatliche Fernsehen, in dem keine englischsprachige Sparte angeboten wird. „Die Marginalisierung trifft jeden Gesellschaftsbereich.“