Mülheim. Baudezernent Peter Vermeulen spricht im Interview über Barrierefreiheit, Mobilität, Hilfe für sozial schwächere Stadtteile und zukünftige Bauten.

  • Unter den Großstädten in NRW hat Mülheim mit 46,1 Jahren den höchsten Altersschnitt
  • Baudezernent Peter Vermeulen spricht über die Herausforderung bezahlbaren barrierefreien Wohnraum zu schaffen
  • Vermeulen könnte sich in Zukunft klimatisierte Wartehäuschen und einen überdachten Marktplatz vorstellen

Unter den Großstädten in NRW hat Mülheim mit 46,1 Jahren den höchsten Altersschnitt. Der demografische Wandel stellt die Stadt an der Ruhr auch baulich vor neue Herausforderungen. Im Interview erklärt Baudezernent Peter Vermeulen, wie auf die Bedürfnisse der wachsenden Rentnerzahl und der in Zukunft noch weiter steigenden Altersarmut reagiert werden kann.

Barrierefreiheit wird ein immer wichtigerer Faktor. Wie kann man sie steigern?

Peter Vermeulen: Die neueste Änderung im Baugesetzbuch sieht vor, dass bei Gebäuden, die mehr als drei Geschosse haben, ein Aufzug verpflichtend ist. Im öffentlichen Nahverkehr haben wir zudem das ehrgeizige Ziel, bis 2022 alle Haltestellen barrierefrei auszubauen. Das heißt also, der Gesetzgeber reagiert mit entsprechenden Vorgaben.

Wie bezahlbar ist barrierefreier Wohnraum?

Wer in seiner Wohnung alt wird, verfügt in der Regel über niedrige Mieten. Bei Häusern, die in den 1960er, 70er Jahren gebaut worden sind, war Barrierefreiheit noch kein Thema. Dementsprechend haben wir. Bezahlbarer Wohnraum und barrierefreier Wohnraum schließen sich fast aus, weil alle Neubauten heute technische Anforderungen erfüllen müssen, die kostentreibend sind. Aber die Nachfrage steigt exorbitant durch die demografische Entwicklung – und damit schießen die Preise ebenfalls in die Höhe.

Wohnungsbaugesellschaften haben allerdings schon früh auf die Anforderungen alternder Mieter reagiert und bieten zunehmend barrierefreie Wohnungen.

Wie erhöht man die Mobilität?

Wir glauben, dass wir die Nahmobilität innerhalb der Stadt stärker fördern müssen. Das heißt, wir müssen Anreize bieten, Strecken zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu bewältigen, oder Anreize, weniger mit dem eigenen Auto zu fahren und stattdessen die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Wir müssen Angst und Schrecken reduzieren, die durch Autos verbreitet werden können. Das bedeutet, dass wir beruhigte Nebenstraßen schaffen und Durchgangsverkehre reduzieren.

Wir haben zu lange eine Gesellschaft und auch eine Stadt gebaut, die auf schnelle Mobilität ausgerichtet war. Immer schneller, immer besser, immer direkter.

Wie kann man baulich die Situation in sozialschwächeren Stadtteilen – etwa im Norden – verbessern?

Der nördliche Raum ist hochverdichtet, da ist man nah an der Industrie, da finden sich hohe Geräuschemissionen, da ist die Luftqualität nicht immer gut. Wenn wir städtebaulich etwas bewirken wollen, geschieht das immer, indem wir Gegenmaßnahmen ergreifen. Beispielsweise indem man die Lebensqualität vor Ort erhöht. Das heißt: Grünräume schaffen und Wohngrundstücke, die attraktiv sind. Ein durchmischtes Quartier, Arm und Reich, Jung und Alt nebeneinander, ist sozial gesünder als jede Homogenisierung.

Welche städtebaulichen Maßnahmen können gegen Vereinsamung alter Menschen helfen?

Wir müssen Quartiere schaffen, in denen soziale Kontrolle möglich und üblich ist. Wir wissen: Je mehr Wohneinheiten ein Haus, eine Nachbarschaft hat, desto anonymer leben die Menschen miteinander. Das heißt konkret: Nicht zu große Gebäude bauen, nicht zu viele Wohneinheiten konzipieren, Freiraumqualitäten aufwerten, Grünwege und Verbindungen schaffen. Das heißt aber auch, die baurechtliche Situation so zu gestalten, dass zum Beispiel die Errichtung von Geschäften für den Einzelhandel, für die Nahversorgung, zulässig ist.

Was man fördern kann sind auch Stadtteil- und Straßenfeste. Im Baudezernat zeigen wir auf, wie man Auflagen erfüllt. Wenn Menschen aktiv werden wollen, müssen wir den Rahmen niederschwellig halten.

Auf welche baulichen Änderungen muss sich eine alternde Stadt künftig einstellen?

Wir bauen viel öffentliche Infrastruktur für unseren Nachwuchs: Spielplätze, Kindergärten, Schulen, Skate-Anlagen. Wir bauen aber wenig Infrastruktur speziell für Alte. Deswegen sind die Forderungen richtig, Mehrgenerationenspielplätze zu entwickeln oder auch mehr Schwimmbäder zu bauen.

Welche weiteren Bauten in der Stadt kämen in Frage?

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Denkbar wäre zum Beispiel ein überdachter Marktplatz, wo man sich bei Regen hinsetzen kann. Oder Wartehäuschen, die klimatisiert sind im Sommer, weil die Menschen dort auf den Bus warten müssen. Das Wunschkonzert ist unendlich groß. Zum Teil sind es Dinge, über die wir jetzt noch gar nicht nachdenken – und meistens auch deshalb, weil wir sie gar nicht finanzieren könnten.

Ich stelle fest, dass wir für die Betreuung und Bildung von Kindern mehr Geld ausgeben als für die Betreuung und Beschäftigung von alten Menschen, die noch nicht pflegebedürftig sind. Vielleicht überlassen wir alten Menschen zu viel ihrem Schicksal. Die sind ja „alt genug“, um sich selbst zu kümmern . . . Doch ich bin mir sicher, hier werden wir in Zukunft weiter umdenken.