Mülheim. . Zwölf Teams aus Therapeuten und Betroffenen möchten Neuntklässler für Krankheiten wie Depression sensibilisieren. Es scheint zu gelingen.
- Das Projekt „verrückt, na und“ soll das Bewusstein stärken und psychische Erkrankungen aus der Tabuzone holen
- 17 Prozent der Krankschreibungen und 40 Prozent der Frühverrentungen sind auf Depressionen zurückzuführen
- Laut Aussage der Caritas zahlt sich die Arbeit mit den Neuntklässlern bereits aus. Rückmeldungen gebe es bereits
Psychisch krank. Das will keiner sein und damit will auch niemand etwas zu tun haben. Und doch, folgt man den Untersuchungen der Deutschen Psychotherapeutenkammer, wird jeder dritte von uns mindestens einmal in seinem Leben psychisch krank.
„Wir müssen das Thema offen ansprechen, um Vorurteile und Ängste abzubauen“, erklärt Berna Abegg von der Psychologischen Beratungsstelle der Caritas, warum der katholische Sozialverband das Projekt „Verrückt, na und“ ins Leben gerufen hat. „Wir gehen mit psychologisch geschulten Profis und mit betroffenen Lebensexperten in neunte Klassen, um mit Schülern und Lehrern über das immer noch tabuisierte Thema der seelischen Gesundheit zu sprechen und damit in der schwierigen Lebensphase der Pubertät psychischen Erkrankungen vorzubeugen oder bei Bedarf Hilfe anzubieten“, erklärt Caritas-Vorstandsmitglied Martina Pattberg die Idee hinter dem Projekt.
Zahl der psychisch Erkrankten hat sich verdreifacht
Dass die Caritas inzwischen zwölf Trainerteams in weiterführende Schulen schickt, um die fatale Schweigespirale in Sachen seelischer Gesundheit zu durchbrechen, ist akutem Handlungsdruck geschuldet. Erst 2016 hat die Deutsche Angestellten Krankenkasse in ihrem Gesundheitsreport darauf hingewiesen, dass sich die Zahl der psychisch Erkrankten in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht hat. Psychische Erkrankungen, wie etwa die Depression, sind inzwischen für 17 Prozent aller Krankschreibungen und für 40 Prozent aller Frühverrentungen verantwortlich. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation leiden derzeit weltweit 350 Millionen Menschen an Depressionen. Und das statistische Landesamt hat herausgefunden, dass allein in NRW jährlich rund 100 000 Menschen wegen psychischer Störungen stationär behandelt werden müssen.
Vorurteile und Ängste verlieren
„Wenn wir mit den Schülern in Gesprächsrunden, mit Rollenspielen oder in Form von Gruppenarbeit reflektieren, woran man psychische Erkrankungen erkennen, wie man ihnen vorbeugen oder wie man sie behandeln kann, spüren wir immer, wie die Jugendlichen sich für das Thema sensibilisieren und ihre Vorurteile und Ängste verlieren“,berichtet Abegg. Sie würden erkennen, dass es auch sie betreffe oder betreffen könne.
„Das hätte ich nicht gedacht, dass auch Sie betroffen sind“, hört die fünffache Mutter und pensionierte Leiterin einer Kindertagesstätte, Corinna Eickmann, wenn sie über ihren Leidensweg durch eine, in ihrem Fall genetisch bedingte, Depression spricht. „Ich spüre, dass ich ihnen viel geben kann, wenn ich den Jugendlichen meine Lebensgeschichte erzähle“, erklärt Eickmann, warum sie sich für das Projekt engagiert und sich als Betroffene bewusst outet. „Ich will ihnen klar machen, dass es jeden treffen, dass man aber auch aus einer Depression herauskommen kann, wenn man sich helfen lässt.“
Fürsorgliche Freunde, Musik und viel Bewegung
Eickmann haben zum Beispiel Psychotherapie und Medikamente, aber auch Gespräche mit fürsorglichen Freunden, Musik und viel Bewegung aus der Krise herausgeholfen. Und wenn man sie heute sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass es in ihrem Leben krankheitsbedingt Zeiten gab, in denen sie das Haus nicht verlassen konnte, um den Müll herunterzubringen oder einzukaufen.
„Nach den Projekttagen bekomme ich von vielen Lehrern die Rückmeldung: ‚Unser Klassenklima ist besser geworden, und wir gehen jetzt viel achtsamer miteinander um“, freut sich die zuständige Projektleiterin der Caritas, Nicole Meyer über die nachhaltige Wirkung der vorbeugenden Aufklärungsarbeit in den Schulen.