Die Wirtschaftskrise macht jungen Menschen den Berufsstart schwer. Die duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule ist mit in den Abwärtssog geraten, es gibt weniger Ausbildungsplätze. Wieder mehr Jugendliche geraten auf dem Weg ins Berufsleben in die Warteschleife.

Berufskolleg-Leiter Uwe Metscher traut vielen seiner Schüler zu, ihre Warteschleifen nutzen zu können. Foto: Roy Glisson
Berufskolleg-Leiter Uwe Metscher traut vielen seiner Schüler zu, ihre Warteschleifen nutzen zu können. Foto: Roy Glisson © Waz FotoPool

Die Wirtschaftskrise macht jungen Menschen den Berufsstart schwer. Die duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule ist mit in den Abwärtssog geraten, es gibt weniger Ausbildungsplätze. Wieder mehr Jugendliche geraten auf dem Weg ins Berufsleben in die Warteschleife, sehen ihre Alternative in der vollschulischen Weiterqualifizierung. Das Schulministerium sieht sich schon gezwungen, den Berufskollegs und gymnasialen Oberstufen fürs nächste Jahr 250 neue Lehrerstellen in Aussicht zu stellen.

„Das freut mich sehr. Ich hätte nicht gedacht, dass das Ministerium so schnell reagiert”, sagt Jörg Brodka, Leiter des Berufskollegs Stadtmitte. Er hatte für dieses Schuljahr 8 bis 9 % mehr Anmeldungen für vollzeitschulische Bildungsgänge, am Ende hat sein Kolleg 5 % mehr Schüler angenommen als noch im Vorjahr. Zwar bestätigt Brodka, dass im gleichen Zug die Zahl der Berufsschüler, also der Jugendlichen in dualer Ausbildung, um 10 % zurückgegangen ist. Doch seine Rechnung, warum mit der Krisenentwicklung mehr Lehrerpersonal gebunden sei, ist eine einfache: Während Berufsschüler neben ihrer Zeit im Betrieb nur acht bis zwölf Stunden zu beschulen sind, kommen Schüler in Vollzeit auf 28 bis 32 Wochenstunden. Zwar sei die Stellensituation nicht beklagenswert, doch eine neue Lehrerstelle nehme man gerne.

Brodkas Kollege vom kaufmännisch ausgerichteten Berufskolleg Lehnerstraße, Uwe Metscher, bestätigt den Trend: Auch an seiner Bildungseinrichtung seien in diesem Jahr weniger Berufsschüler angekommen, hingegen habe es bedeutend mehr Anmeldungen für die rein schulischen Bildungsgänge gegeben. 350 Anmeldungen seien es im Februar gewesen, man habe bei 275 Schülern einen Schnitt gemacht, um die Gesamtzahl an Vollzeitschülern bei 550 zu deckeln. Anders sei es mit gegebenem Lehrerstamm nicht zu händeln, so Metscher. Dringend benötige sein Kolleg je eine neue Lehrkraft für Spanisch und Mathe, um die Pflichtfächer der Höheren Handelsschule abzudecken.

Lehrstellen-Minus in IHK-Berufen: 7,5 %

Allein die IHK musste Ende September, zum offiziellen Ende des Ausbildungsjahres, in Mülheim ein Lehrstellen-Minus von 7,5 % im Vergleich zum Vorjahr feststellen. Zwar hatte sie im gewerblichen Bereich einen Zuwachs von 226 auf 246 eingetragene Ausbildungsverhältnisse erfasst, doch bei den kaufmännischen Berufen ging es tief bergab: Der Rückgang von 520 auf 444 eingetragene Lehrverträge bedeutet ein Minus von 14,6 %.

„Sie stecken den Kopf zu früh in den Sand”

Die Wirtschaftskrise sei aber nur ein Grund dafür, dass immer mehr Jugendliche in die „Warteschleife” der vollzeitschulischen Angebote an Berufskollegs drängten, so IHK-Ausbildungsexperte Heinz-Jürgen Guß. Grund sei auch, dass viele junge Menschen sich nach ihrem ersten Schulabschluss nicht als ausbildungsreif verstünden, viele es auch nicht seien. Andere „stecken den Kopf nach einigen wenigen erfolglosen Bewerbungen viel zu früh in den Sand und melden sich an den Berufskollegs an”.

Trotz Krise, glaubt Guß, hätten Betriebe durchaus mehr Auszubildende eingestellt, wenn bei ihnen mehr geeignete Bewerber vorstellig geworden wären. „Viele hätten es nicht nötig”, das Berufskolleg draufzusatteln. Und jeder Dritte, das zeigten Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung, würde seine Chancen mit dem zwar höheren, aber mit schlechteren Noten gemachten Abschluss am Berufskolleg gar verschlechtern.

Berufskolleg-Leiter Uwe Metscher widerspricht IHK-Kritik

Berufskolleg-Leiter Uwe Metscher widerspricht der IHK-Kritik: Die schulische Warteschleife bringe junge Menschen weiter, wenn bei ihnen die Erkenntnis reife, dass ihnen die Wunschausbildung nicht auf dem Silbertablett gereicht werde. Zwei Beispiele:

Nissan Nagarajah (20) hat während seiner zehn Jahre in der Gesamtschule Saarn „gar keine Lust verspürt”, hat die Zeit abgesessen und keinen sonderlich guten Hauptschulabschluss gemacht. Er wollte Bürokaufmann werden, seine Bewerbungen kamen alle zurück. Am Berufskolleg holte er erst die Fachoberschulreife nach, jetzt ist er im vierten Jahr dort, 2010 wird er das Fachabi machen. „Ich habe gemerkt, dass es ernst wird”, sagt er. Er hat gepaukt, zählt nun zu Metschers Musterschülern. Nissan will BWL studieren.

Umut Akpolat (18) hat nach dem Realschulabschluss ohne Quali ein Berufsfachschuljahr absolviert, jetzt strickt er am Fachabi. Auch seine Chancen stehen nicht schlecht. Er hat sich schon für ein duales Studium für den gehobenen Polizeidienst beworben.