Mülheim. Respektlosigkeit gestiegen, Hemmschwelle gesunken: Übergriffe von Bürgern auf städtische Mitarbeiter haben “in erschreckendem Maße“ zugenommen.

Im Kundencenter des Essener Sozialamtes sollen bald Panzerglasscheiben und eine abschließbare Tür die Mitarbeiter vor aggressiven Besuchern schützen. Ein offenbar psychisch kranker Mann hatte dort kürzlich randaliert. An vergleichbare Maßnahmen denkt in Mülheim derzeit niemand, aber auch hier geht es in einigen Ämtern offenbar mehr und mehr ruppig zu.

Personalrat Dirk Neubner sieht eine klare Tendenz, er sagt: „Die Übergriffe gegenüber städtischen Mitarbeitern haben in erschreckendem Maße zugenommen.“ Der Ton werde zunehmend rauer. „Verbale Ausfälle bis hin zu Beleidigungen gehören inzwischen fast zum Arbeitsalltag.“ Dies gelte vor allem in publikumsintensiven Bereichen, „im Schwimmbad und auf dem Sportplatz genauso wie im Bürger- oder Ausländeramt“, sagt Neubner.

Stadtsprecher Volker Wiebels teilt diese Einschätzung: Gestiegen sei die Respektlosigkeit gegenüber den Mitarbeitern, „gesunken ist die Hemmschwelle, böse Wörter zu sagen“. Diese stehen überall dort schnell im Raum, wo die Stadt als Ordnungsbehörde auftritt, die gegen den Willen der Bürger gesetzlich tätig wird, etwa im Bürgeramt. „Ein Führerscheinentzug ist nicht angenehm“, so Wiebels. Seit verbale Attacken häufiger vorkommen, habe man die Mitarbeiter ermutigt, Anzeige bei der Polizei zu erstatten, wenn sie sich beleidigt oder bedroht fühlen. „Und das ist in der Praxis schon mehrmals vorgekommen.“

Speziell im Bürgeramt, erläutert der Stadtsprecher, sei auch eine relativ hohe soziale Kontrolle gewährleistet, weil es als Großraumbüro konzipiert ist. „In Ämtern, wo Gefahr lauern könnte, gibt es Sicherheitsmechanismen, die wir aber nicht öffentlich machen.“ Die bisherigen Vorkehrungen hätten ausgereicht", so Wiebels, „toi, toi, toi...“

Im Finanzamt werden notfalls Kollegen alarmiert

Als spannungsgeladener Ort wird vielfach das Sozialamt betrachtet, doch dessen Leiter in Mülheim, Klaus Konietzka, hat keineswegs den Eindruck, dass sich Besucher verstärkt daneben benehmen. „Dass Übergriffe gehäuft vorkommen, kann ich überhaupt nicht bestätigen, vor allem nicht im Leistungsbereich der Sozialagentur.“

Zu bedrohlichen Situationen, so Konietzka, sei es noch „in keinster Weise“ gekommen, auch die Polizei musste noch nie eingreifen. „Einen Sicherheitsdienst hatten wir noch nie und brauchen wir auch nicht“, so der Sozialamtsleiter. Der Zugang ist allerdings schon geregelt: durch den Empfang, stets mit zwei Mitarbeitern besetzt, wo sich jeder Besucher anmelden muss.

Um Konflikten zwischen Behörden und Bürgern zu begegnen, hat die Stadt Mülheim schon vor Jahren ein Deeskalationsprogramm aufgelegt, das Mitarbeiterseminare umfasst. Der Personalrat war daran beteiligt. „Wir haben auch einzelne Arbeitsplätze in Augenschein genommen“, berichtet Dirk Neubner, „und beraten mit Blick auf gefährliche Gegenstände, die auf Schreibtischen liegen, oder Fluchtwege für den Ernstfall.“ Wichtig sei, ein Gefühl für konfliktbeladene Situationen zu bekommen. Das könne man lernen, „und das hilft durchaus“.

Auch, wenn steuerrechtliche Dinge zu klären sind, bergen Begegnungen von Bürgern und Beamten oft Konfliktpotenzial. „Bislang hat es bei uns aber noch keine dramatischen oder gefährlichen Zwischenfälle gegeben“, erklärt Michael Alsentzer, Leiter des Finanzamtes Mülheim. „Von verbalen Entgleisungen einmal abgesehen.“ In anderen Häusern sei es wohl deutlich kritischer.

Verbale Entgleisungen

Rund 240 Mitarbeiter sind im Gebäude an der Wilhelmstraße für die Steuerpflichtigen und Unternehmen in der Stadt zuständig. Je nachdem, in welchem Bereich sie arbeiten, sind Aggressionen und Reibereien mehr oder weniger wahrscheinlich.

Um stets Herr der Lage zu bleiben, setzt man in der Landesbehörde vorwiegend auf Fortbildungen. Wie Alsentzer erläutert, werden besondere Schulungen durchgeführt für Kolleginnen und Kollegen, die im Alltag vermehrtem Publikumsverkehr ausgesetzt sind und in Bereichen arbeiten, „wo es ein erhöhtes Streitpotenzial gibt“. Als Beispiel nennt der Finanzamtsleiter die Erhebungsstelle, wo auch Zwangsvollstreckungen zu vollziehen sind.

Darüber hinaus gebe es im Ernstfall Alarmmöglichkeiten, die am Arbeitsplatz aktiviert werden können und zur Folge haben, dass dem mit der momentanen Situation überforderten Beamten eine Gruppe von Kollegen beispringt, „die versucht, zur Entspannung der Lage beizutragen“. Diese Leute seien speziell geschult in Sachen Konfliktmanagement, so der Amtsleiter. „Immer drei von ihnen sollten zur Verfügung stehen.“