Mülheim. . Als einer der ältesten Chöre verschwindet der „MGV Liedertafel 1860“ aus der Musiklandschaft. Nachwuchs fehlt. Letztes Konzert am Sonntag.

Still und leise wollen die Sänger des MGV Liedertafel 1860 keinesfalls gehen, sondern „lieber erhobenen Hauptes auftreten und Abschied nehmen“, sagt Klaus Pfeiffer, Vorsitzender. Damit verschwindet einer der ältesten Chöre aus der Mülheimer Musiklandschaft. Am kommenden Sonntag, 3. Juli, gibt er um 16 Uhr sein letztes Konzert in der Kirche St. Theresia an der Kleist-/Max-Halbach-Straße, Heimaterde.

Unter den Männern, die im Vereinslokal „Sierra Nevada“, ehemals Krug zur Heimaterde, proben, schwingt eine traurige Melodie mit. Die Stimmung ist gedämpft. Das Chorsterben schreitet in letzter Zeit auch in Mülheim voran. „Es ist der vierte Chor in zwei Jahren, der aufhört“, weiß Manfred Baaken vom MGV Saarn 1869. In den 1980er Jahren hat er 28 Chöre in Mülheim erlebt, ohne die „Liedertafel“ werden es noch 14 sein. Der Grund für die Auflösung liegt auf der Hand: Überalterung und fehlender Nachwuchs. 17 Sänger zählt die „Liedertafel“, der jüngste 65, der älteste über 80 Jahre. Die einen können abends im Dunkeln nicht mehr Autofahren, andere sind erkrankt und manch einer muss einen Schicksalsschlag verarbeiten, weil die Frau verstorben ist.

Langsame Chorsterben im Ruhrgebiet

Da haben sich die Sänger schweren Herzens daran gemacht, den Schlussstrich unter eine traditionsreiche Chorgeschichte zu ziehen. Regelmäßig gaben sie Frühjahrskonzerte, ein offenes Singen im Herbst, gestalteten Gottesdienste auf der Heimaterde musikalisch. So wird das 41. Weihnachtskonzert dieses Jahr in der Kirche St. Theresia nicht mehr erklingen.

Mit rapide sinkenden Sängerzahlen ist das langsame Chorsterben im Ruhrgebiet mit den Stilllegungen von Zechen einhergegangen, weiß Klaus Pfeiffer: „Die Chöre rekrutierten sich damals auch aus Zechen wie Rosenblumendelle, Wiesche und Humboldt.“ Als er mit 18 Jahren 1960 als junger Tenor dazu kam, „da bestanden Chöre noch aus weit über 100 Mann“. Und als Verdienst seien die Chorleiter nach dem Krieg mit der Bezahlung in Naturalien zufrieden gewesen: Holz, Kohle und Schmalzstullen. „Heute sind die Honorare für Chorleiter keine Kleinigkeiten mehr“, weiß Manfred Baaken vom MGV Saarn: „Sie werden vom Chor extra bezahlt.“ So kommt es, dass ein Dirigent manchmal sogar bis zu zehn Chöre parallel leitet. „Denn sie müssen ja von dem Job leben.“ Da käme es schon mal vor, dass sie sich von einem trennen oder wechseln würden.

Dank an treue Zuhörer

Als Dirigent ist Walter Ignatowsky dem MGV Liedertafel seit nunmehr 17 Jahren treu. Da er auch in Gelsenkirchen musikalisch unterwegs ist, wirken die Frauen der Chorgemeinschaft Gelsenkirchen-Hessler beim Abschiedskonzert der Mülheimer Sänger am Sonntag mit. Als Gast konnte Sopranistin Sabine Laubach gewonnen werden.

Der Entwicklung entsprechend, sind manche Sängervereinigungen eine feste oder lockere Zusammenarbeit mit anderen Chören eingegangen. „Kooperationen sind immer sinnvoll“, sagt Manfred Baaken. Allerdings muss es passen – menschlich wie konzeptionell. Was nicht immer klappt. So trennte sich der MGV Saarn im vergangenen Jahr von einem Chor aus Duisburg. Ganz gegen den Trend konnten die Saarner jetzt einen „enormen Zuwachs verzeichnen“, freut sich Baaken. Mit sechs neuen Sängern ist der Verein jetzt 34 Mann stark. Auch die Zuhörer werden älter, obwohl die Konzerte in Saarn gut besucht seien. Besonders, wenn Chöre geballt auftreten, wie beim jährlichen Sängerfrühschoppen im Kloster Saarn. Auf die Fangemeinde setzt auch der MGV Liedertafel beim letzten Konzert am Sonntag. Eintritt frei, so Pfeiffer, „als Dank an unsere treuen Zuhörer“.