Brexit-Votum: Die zehn wichtigsten Fragen und Antworten
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London. Kaum ein Thema bestimmt die Nachrichten wie der mögliche Brexit. Warum ist das Votum tatsächlich historisch und so wichtig? Die Fakten.
Briten stimmen ab: Wollen sie Teil der EU bleiben oder die Union verlassen?
Brexit ist ein Kunstwort aus Britain (Großbritannien) und Exit (Austritt)
Wir beantworten die zehn wichtigsten Fragen zur Abstimmung
Großbritannien, Europa und die Welt diskutieren leidenschaftlich, ob Großbritannien in der EU bleiben oder den Club der 28 verlassen wird. Wenn die Briten am Donnerstag über den Verbleib ihres Landes in der EU abstimmen, hat das Bedeutung für Europa – und für den einzelnen Bürger. Im hitzigen Brexit-Wahlkampf geht unter, worum es im Kern bei der Entscheidung geht. Wir treten deshalb noch einmal einen Schritt zurück: Zehn einfache Fragen und zehn Antworten. Was passiert das eigentlich und weshalb hat es solche Bedeutung?
1. Warum stimmen die Briten über die EU-Mitgliedschaft ab?
Das Referendum ist eng mit dem Namen David Cameron verbunden. Der Tory-Premier löst damit ein Versprechen aus dem Jahr 2013 ein, das zu einem Gutteil innenpolitisch motiviert war. Forderungen danach kamen nicht zuletzt aus den Reihen seiner eigenen konservativen Partei. Aber auch das Erstarken der euroskeptischen Ukip auf der Insel spielte eine Rolle. Zuletzt stimmten die Briten 1975 über eine Mitgliedschaft in der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ab. Seitdem habe sich die Gemeinschaft stark verändert, so die Begründung für das Referendum.
2. Wie läuft die Abstimmung genau ab?
Die Wahllokale sind am Donnerstag von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr britischer Zeit geöffnet – also von 8 bis 23 Uhr MESZ. In Gibraltar schließen die Wahllokale wegen der Zeitverschiebung eine Stunde früher. Danach beginnt die Auszählung. Nach bisherigem Stand wird es unmittelbar nach Schließung der Wahllokale weder Prognosen noch Hochrechnungen geben. Experten begründen dies mit dem Fehlen entsprechender Vergleichsdaten. Im Laufe der Nacht werden aber die Ergebnisse aus den einzelnen Wahlbezirken nach und nach bekannt gegeben. Die meisten Resultate dürften zwischen 3 und 5 Uhr MESZ vorliegen. Sie sollen auf der Webseite der Wahlkommission veröffentlicht werden. Ein Endergebnis wird am Freitag um die Frühstückszeit erwartet – wenn es nicht wegen Pannen zu Verzögerungen kommt.
3. Woher kommt eigentlich der Begriff Brexit?
Brexit ist ein Kunstwort aus Britain und Exit. Es bezeichnet einen Austritt Großbritanniens aus der EU und ist nach dem Vorbild eines Grexit geprägt. Dieser Begriff für ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone entstand auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise und wird dem Citigroup-Ökonomen Ebrahim Rahbari zugeschrieben. Der griffige Ausdruck Brexit ist wie geschaffen für soziale Medien. Das Wort „Bremain“, das einen Verbleib Großbritanniens in der EU bezeichnet, konnte sich dagegen nicht durchsetzen.
4. Was steht auf dem Brexit-Stimmzettel?
Soll das Vereinigte Königreich ein Mitglied der Europäischen Union bleiben oder die Europäische Union verlassen?“ – im Original: „Should the United Kingdom remain a member of the European Union or leave the European Union?“ Die so formulierte Frage nach dem Brexit ist nicht mit ja oder nein zu beantworten, und das ist Absicht. Ursprünglich sollte auf den weißen Zetteln stehen: „Soll das Vereinigte Königreich ein Mitglied der Europäischen Union bleiben?“ Antworten: „yes“ oder „no“. Das passte aber den EU-Gegnern nicht. Sie fühlten sich durch diese Fragestellung benachteiligt, weil sie auf der Nein-Seite gewesen wären. Im vergangenen September empfahl die Wahlkommission daher, die Frage zu ändern, was auch geschah.
5. Was sind die Argumente der Brexit-Befürworter, was die der Gegner?
PRO: Brexit-Befürworter wie der ehemalige Bürgermeister Londons Boris Johnson argumentieren, dass Großbritannien als drittgrößter Nettozahler in der Union ein Verlustgeschäft mache. Ein weiteres Argument ist die Kontrolle über die Grenzen. Unionsbürger haben das Recht, sich im Königreich niederzulassen. Derzeit leben und arbeiten dort mehr als zwei Millionen Menschen aus anderen EU-Ländern. Sie belasten angeblich die sozialen Sicherungssysteme – Studien widerlegen dies jedoch. Die in den Augen vieler Briten ausufernde Regulierung durch Brüssel sorgt zudem für Unmut. Brexit-Befürworter halten die EU außerdem für nicht ausreichend demokratisch legitimiert und fordern die Rückbesinnung auf nationale Souveränität.
KONTRA: Die Gegner eines Austritts warnen in erster Linie vor wirtschaftlichen Konsequenzen. Einem Gutachten des britischen Finanzministeriums zufolge würde ein Brexit jeden Haushalt in Großbritannien 4300 Pfund pro Jahr kosten. Der Grund: Das Land müsste neue Freihandelsabkommen abschließen, Investitionen aus Drittstaaten könnten zurückgehen und Banken könnten nach Kontinentaleuropa abwandern. Die Folge wäre eine Rezession.
6. Wie wichtig ist UK für Deutschland als Handelspartner?
Großbritannien ist Deutschlands drittgrößter Exportmarkt. Im vergangenen Jahr verkauften deutsche Unternehmen Waren im Wert von 90 Milliarden Euro in das Königreich. Trotzdem hält der Geschäftsführer der deutsch-britischen Außenhandelskammer (AHK), Ulrich Hoppe, die Gefahr für überschaubar. Dass es bei einem Brexit zu Zöllen oder Einfuhrbeschränkungen kommt, glaubt er nicht. Mehr Auswirkungen könnten langfristig andere Handelshemmnisse haben, beispielsweise unterschiedliche Standards in der Produktsicherheit. Doch auch hier habe Großbritannien mehr Schaden zu befürchten als Deutschland.
7. Wird ein Austritt Großbritanniens einen Dominoeffekt bewirken?
Das ist die große Befürchtung in Brüssel. Ob es dazu kommt, ist offen. Tatsache ist: In vielen Ländern haben antieuropäische Strömungen zuletzt viel Zulauf bekommen. Die Bewegung der Nationalistin Marie Le Pen etwa in Frankreich oder die AfD in Deutschland. In der europäischen Bevölkerung ist die Skepsis gegenüber Brüssel nach Umfragen groß. Auch wenn es nicht gleich zu Austritten kommt: Die Forderungen vieler Länder an Brüssel könnten mit der Androhung von Austritten viel mehr Nachdruck erhalten. Eine Umfrage des Instituts Ipsos in neun großen EU-Ländern hat ergeben, dass die Ansteckungsgefahr eines Brexits allgemein als hoch angesehen wird.
8. Was könnten Folgen für die Sicherheit sein?
Auch die nationale Sicherheit sehen die Brexit-Gegner in Gefahr. Polizei- und Geheimdienstinformationen könnten nicht mehr so leicht ausgetauscht werden wie bisher. Dies könnte angesichts der starken Dienste in Großbritannien auch Informationsverluste für Europa – etwa im Kampf gegen den Terror – bedeuten. Auch der Europäische Haftbefehl, der die Übergabe von mutmaßlichen Tätern regelt, die in ein anderes EU-Land geflohen sind, würde womöglich außer Kraft gesetzt. Militärische Folgen sind dagegen kaum zu befürchten. Als Atommacht und enger Verbündeter der USA lehnt Großbritannien eine militärische Zusammenarbeit auf EU-Ebene ohnehin weitgehend ab. Kommentatoren sehen aber für solche Abschottungsbestrebungen auch Grenzen: „Großbritannien ist historisch und geografisch eng mit dem Kontinent verknüpft“, sagt etwa Nick Witney, früher Chef der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA).
9. Brauchen Europäer künftig ein Visum, wenn sie nach London wollen?
Das ist für die meisten EU-Länder nahezu auszuschließen. Dennoch: Es müssten Einzelfallregelungen mit jedem Land zur Visumfreiheit geschlossen werden. Betroffen könnten auch Regelungen sein, die die EU mit Drittländern, aktuell gerade mit der Türkei, schließt. Sie würden dann möglicherweise nicht mehr für Großbritannien gelten. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Briten Übergangsfristen gelten lassen würden. Großbritannien hatte 2004 bewusst mehr Osteuropäer ins Land gelassen als viele andere EU-Länder, weil Arbeiter benötigt wurden. Harte Regelungen nach einem Brexit würde ganze Branchen, etwa in der Hotellerie oder auf dem Bau, ausbluten lassen. Daran hat Großbritannien, das einen riesigen Investitionsstau im Hoch- und Tiefbau hat, kein Interesse. Allerdings warnt Dominic Raab, eine der führenden Pro-Brexit-Figuren: „Briten könnten künftig für Reisen nach Europa ein Visum benötigen.“
10. Was ist für Großbritannien die Alternative zur EU?
Die Briten glauben, sie können sich künftig stärker an außereuropäische Länder binden. Die besondere Verbindung zu den USA spielt dabei eine Rolle, aber auch die Erinnerung an vergangene Großmacht-Zeiten als Kopf des British Empire. Dessen Überbleibsel ist der Commonwealth of Nations, mit vielen kleinen, unbedeutenden Mitgliedern, aber auch aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie Indien. Gerade bei den Millionen von indischen Zuwanderern und ihren inzwischen britischen Nachfahren ist die Lust am EU-Ausstieg groß. „Der Brexit hat seine Wurzeln im britischen Empire“, schreibt etwa der „New Statesman“. (dpa/les)
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