Mülheim. Austritte und Zerwürfnisse sind beim Mülheimer Wählerbündnis nicht ungewöhnlich. Wieder scheiden sich die Geister am Vordenker Lothar Reinhard.
Lothar Reinhard erfuhr morgens aus der Zeitung, dass sein Mitstreiter Hans-Georg Hötger das Wählerbündnis MBI und damit die Fraktion verlassen hat. Nach 16 Jahren. Am Ende sprach man nicht mehr miteinander. „Der gemeinsame Zeichenvorrat war aufgebraucht“, sagt Hötger. Das sagt viel über den Zustand der MBI aus. Nach Norbert Striemann verlieren die Mülheimer Bürgerinitiativen seit der letzten Wahl 2014 ein weiteres Fraktionsmitglied. Sie schrumpfen sich selbst. Nun sitzen nur noch Annette Klövekorn, Heidelore Godbersen und Lothar Reinhard als Mini-Team im Rat.
Es ist ein jäher Absturz, den die MBI erleben, nachdem sie noch in der letzten Wahlperiode zur drittstärksten politischen Kraft aufgestiegen waren. Viele halten das Bündnis inzwischen für ein Ein-Mann-Unternehmen, Reinhard eben. Viele sahen in ihm stets den Kopf, eine Art Widerstandskämpfer gegen Bauprojekte, gegen Maßlosigkeit im Geldausgeben, gegen Filz und gegen fehlende Transparenz. Er stellt oft die Fragen, die die Verwaltung nicht hören will, legt Finger in Wunden. Im Rathaus hat ihm das Unbequem-Sein, die Hartnäckigkeit, aber auch zuweilen seine Rechthaberei viel Ablehnung eingebracht. Ihn störte es nie.
Neue Kraft aus Bürgerinitiativen gezogen
Ein leichter Mensch war Reinhard wohl auch nach innen selten. Austritte und Zerwürfnisse gab es bei den MBI daher immer schon. 1999, das Wählerbündnis war gerade frisch in den Stadtrat gekommen, verließ Hans-Georg Jacobs die Fraktion. Mobbing, hieß es damals. Wenig später warf der Vorsitzende Reinhard Hägemann hin. Schlagzeilen machte der Wechsel von Mounir Yassine. Auch Friedel Lemke, einst OB-Kandidat, ging, oder auch Detlef Habig, der Saarner Kämpfer für die Umwelt. Es sind etliche gegangen, die ursprünglich mit für den „frischen Wind“ in der Mülheimer Politik sorgen wollten. „Ich stand am Ende bei vielen Dingen nur noch alleine da“, sagt Hötger. Neue Impulse habe es nicht mehr gegeben.
Impulse, neue Kraft zogen die MBI stets aus Bürgerinitiativen, man suchte sich gegenseitig. Lange haben sie vom öffentlichen Widerstand gegen Ruhrbania gelebt, gegen die Verkehrsbehinderungen in der Innenstadt, gegen die ausufernde Verschuldung. Kämmerer Uwe Bonan betitelte Reinhard gern als Bonanopolis. Ja, er agiert populistisch, und er wusste, dass er damit bei den Mülheimern, die gerade die lange Dominanz der SPD in der Stadt satt hatten, gut ankam.
Lust auf Widerstand ist abgeflacht
Doch die Lust auf Widerstand ist in der Stadt etwas abgeflacht. Ruhrbania entwickelt sich zum Gewinn, an die Finanzkrise haben sich viele Mülheimer gewöhnt, das Jahrzehntproblem der Lärm- und Luftbelastung in Speldorf ist gelöst, die Kaufhof-Ruine verschwindet, und die Dominanz der SPD ist ruhrgebietsweit dahin. Neue Bündnisse sind entstanden, kurzfristig, wenn es um die Verhinderung von Vorhaben geht oder um eine andere Politik: Bündnis für Bürger, Bündnis für Bildung, Wir in Mülheim, die Alfa-Gruppe, zuletzt der Bürgeraufbruch Mülheim. Rund um die MBI besetzen inzwischen andere Polit-Gruppen Themen, die auch die ihren waren und sind.
Wie stark die MBI in Zukunft sein werden, wird davon abhängen, ob es einen „inneren Frieden“ und einen Teamgeist gibt. Ihre Kritiker sehen das Ende nahen. Manchen im Rathaus würde das freuen, eine Stimme für die Bürger indes würde fehlen.
„Wir haben einen klaren Auftrag bis 2020. Den erfüllen wir“, sagt Reinhard und betont zugleich, dass sich die Probleme in der Stadt trotz Politikvielfalt aufgetürmt haben. „ÖPNV-Chaos, Finanzdrama, VHS-Zukunft – wir bleiben dran.“