Mülheim. . Zwei HRW-Professoren erklären, was den Lehrbetrieb heutzutage ausmacht. Studenten müssten vor allem wissen, wie man an verlässliches Wissen gelangt.
Wie hat sich Studieren im Laufe der Jahrzehnte verändert? Mit welchen Herausforderungen müssen Lehrende und Lernende heutzutage zurechtkommen? Was hat sich gut, was weniger gut entwickelt? Und wie wird es weitergehen? Prof. Dr. Susanne Staude (45) und Prof. Dr. Andreas Sauer (49) von der Hochschule Ruhr West haben im Gespräch mit dieser Zeitung aufs Gestern und Heute geblickt.
„Was müssen die Studierenden können, wenn sie fertig sind?“ Das sei mittlerweile eine zentrale Frage für das Lehrpersonal, sagt Staude. Man kläre es in regelmäßigen Gesprächen mit Unternehmern und in ihrer Verantwortung als Vizepräsidentin für Studium und Lehre liege es dann, „für gute Studienbedingungen zu sorgen und für Studiengänge, die wirklich auf das Berufsleben in der Region vorbereiten“.
Reaktionen auf sich wandelnde Welt
In der Vergangenheit habe man sich vor allem Gedanken über Inhalte gemacht, „heute geht das weit darüber hinaus“. Die Welt verändere sich derart schnell, und mit ihr die Technologien und Geschäftsmodelle, dass Studenten vor allem lernen müssten, wie sie sich kontinuierlich weiterentwickeln können. „Sie müssen lebenslanges Lernen lernen.“
Vor 50 Jahren habe diese Qualifikation kaum eine Rolle gespielt, heute aber – in einer Zeit, in der das Wissen der Menschheit riesig geworden ist und immer rasanter zunimmt – sei es elementar, zu wissen, wie und woher man Wissen bekommt, um Aufgaben zu lösen. „Reines Faktenwissen hat einen geringeren Stellenwert als früher. Grundlagen sind zwar nach wie vor relevant, aber das Gewicht hat sich verschoben.“ Mit „drei Knopfdrücken auf dem Handy“ gelange man ja an nahezu alle Informationen; „man muss aber wissen, auf welche Quellen man sich verlassen kann“.
Computer übernehmen Aufgaben
Studenten müssten lernen, kritisch nachzufragen und manchmal gar, überhaupt einmal zu fragen. „Diese Qualifikation erlernt man nur im Dialog mit Menschen.“ Bei etlichen anderen Themen aber könnten heutzutage durchaus auch Computer Aufgaben übernehmen: E-Learning ist ein Begriff der Stunde, das Lernen mithilfe elektronischer Medien. Das mache Studieren unabhängiger von Ort und Zeit, ermögliche das Lernen auch parallel zu Job und Familie.
Man müsse die jungen Männern und Frauen von heute „zu mündigen Bürgern machen“, sagt Staude, „durch Bildung und nicht nur Ausbildung“. Wer eines Tages höhere Positionen einnehmen wolle, müsse gesellschaftliche Verantwortung übernehmen können. Ein singuläres Fach namens Staatsbürgerkunde reiche dazu nicht aus, man müsse die Studenten ans Handeln bringen. Das gelinge beispielsweise durch umfassende Projektarbeit.
Studium ist längst nicht mehr elitär
Für Staude und ihren Kollegen, Andreas Sauer, ist die heterogene Studentenschaft eine Herausforderung der Gegenwart und Zukunft. Anders als in früheren Jahren, wo Studieren oft Sache einer elitären, kleinen Gruppe gewesen sei, habe das Studium heute „eine gesellschaftliche Breite erreicht“, so Mathematik-Professor Sauer. „Es ist eine normalere Angelegenheit geworden, nicht mehr so eine große Sache.“ Das habe auch zu einem anderen Publikum geführt, „der Enthusiasmus, ein bestimmtes Fach unbedingt studieren zu wollen, ist dadurch zum Teil schwächer geworden“. Die akademische Bildung einer großen Bevölkerungsgruppe sei eine gute Sache, doch wirke sie sich natürlich auf die tägliche Arbeit aus: Man müsse die Vielfalt der Studentenschaft berücksichtigen und Bedingungen schaffen, die möglichst vielen zum Erfolg verhelfen.
Diesem Ziel dient unter anderem das geplante Lernzentrum, das alsbald in der vierten Etage des naturwissenschaftlichen Instituts an den Start gehen soll. Die Mitarbeiter wollen den Studenten dort auf vielfältige Weise zur Seite stehen, berichtet Sauer. „Auch diese Entwicklung ist ein großer Unterschied zu früher.“
Unterstützung gebe es von Beginn an: Durch Eingangstests stelle man fest, wer etwa in Mathematik oder Physik Hilfe braucht, „darüber hinaus machen wir Werbung für unseren Service auf allen Kanälen“. Apropos: Wissen wird an der HRW unter anderem via eines eigenen Youtube-Kanals vermittelt. Auch der sogenannte Online-Tutor, den Studenten am Rechner aufrufen können und der interaktive Übungsaufgaben bietet, sowie Vorkurse und Tutorien, in den durchaus auch mal Schulstoff nachgeholt wird, sollen helfen. Dazu gibt es Englischkurse oder auch das Mentoring-Programm, in dem sich ältere Semester um jüngere kümmern. „Die Studierenden sollen nie das Gefühl haben, sie sind allein“, so Sauer. „Es ist immer Hilfe da.“
Reichlich Erfahrung mit der Lehre
Bis auf eine kurze Episode von drei Jahren, in der er sich bei einer Lebensversicherung um die Datenverarbeitung gekümmert habe, hat Prof. Dr. Andreas Sauer sein komplettes Berufsleben an Hochschulen verbracht, also reichlich Erfahrung gesammelt.
2001, nach rund 15 Jahren, hatte er einst die Uni Duisburg als Privatdozent verlassen. Der Weg führte den gebürtigen Duisburger über die Versicherung zunächst an die Fachhochschule Ulm und später an die Fachhochschule Dortmund. Im Wintersemester 2011 ging es nach Mülheim, an die HRW. Seither hat der 49-Jährige den Lehrstuhl für Angewandte Mathematik inne. Er ist Leiter des Instituts Naturwissenschaften und Dekan des Fachbereichs 4, zu dem auch die Mess- und Sensortechnik gehört. Sauer lebt seit Jahren in Speldorf, ein schöner Zufall sei das, „denn man hat mir die Hochschule gewissermaßen vor die Füße gelegt“.
2010 an der Hochschule Ruhr West angefangen
Prof. Dr.-Ing. Susanne Staude ist gebürtige Bremerin. Zum Studium war sie einst nach London gegangen, auf Umweltingenieurwesen war die Wahl gefallen. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst in der Automobil-Industrie in der Motorenentwicklung, erzählt die 45-Jährige. Das aber habe ihr irgendwann nicht mehr zugesagt, „es passte ja auch gar nicht zur Ausrichtung meines Studiums“. Über die Fachhochschule Köln kam sie schließlich zur Uni Duisburg, wo die Promotion anstand.
2010 fing Staude an der Hochschule Ruhr West an, als Professorin für Thermodynamik. Noch immer ist sie als Hochschullehrerin im Einsatz, wenngleich ihre Aufgabe als Vizepräsidentin, die sie im Oktober 2015 übernommen hat, rund drei Viertel der Arbeitszeit in Anspruch nehme. Staude lebt in Düsseldorf.