Mülheim. . Die Hochschule Ruhr West nimmt am Dienstag ihren neuen Mülheimer Campus in Betrieb. Die 3400 Studenten arbeiteten bislang in Containern.
Mit tausenden Umzugskisten geht es aus den Containern auf den Campus: Nach sieben Jahren an zwei Behelfsstandorten beziehen die 3400 Studenten und 200 Mitarbeiter der Hochschule Ruhr West (HRW) in Mülheim ihre neuen Räume. Am Dienstag beginnt der Betrieb nahe dem Schloss Broich und der Ruhr, ein Semester später als geplant. Es ist das Ende eines Provisoriums – und ein Neustart im Neubau.
Studieren „in a box“
Als Marc Schnell im September 2014 zum ersten Mal das Containerdorf der Hochschule Ruhr West betritt, um Wirtschaftsingenieur zu werden, muss er sofort an seine alte Schule im sauerländischen Sundern denken: „Da sah es ähnlich schlimm aus. Das war schon ein kleiner Schock.“ Wände aus Blech, kalte Räume im Winter und lange Wege zwischen den Hörsälen: Das Studentenleben hatte sich der gelernte Parkettleger anders vorgestellt.
Drei Semester hat der 27-Jährige nun im Provisorium studiert. Aber Schnell hatte sich bewusst dafür entschieden: „Ich wollte die Gunst der ersten Stunde nutzen.“ Das Lernen in kleinen Gruppen sei angenehm, genau wie die enge Betreuung der Dozenten. Einer vermittelte ihm einen Praktikumsplatz bei einem renommierten Projektentwickler in Düsseldorf. „An großen Hochschulen wäre das sicher nicht so, da geht man eher unter.“ Dafür habe er die erschwerten Bedingungen in Kauf genommen. „Man war abgeschirmt, fast wie im Bunker.“ Wenn eine Vorlesung verlegt wurde, musste er oft 20 Minuten laufen. „Aber die Container waren geräumig, und es gab freies W-LAN für alle.“
Und nun? „Auf dem neuen Campus ist alles nah beieinander und man kann in den Freistunden in den Müga-Park oder in die Innenstadt laufen.“ Am Boden klebt noch Baustaub, hier und da hängen Kabel aus den Wänden, doch über die Flure eilen schon die Erstsemester und in den Räumen tippen Studenten auf Computern. Mit dem Umzug kommen auch bei Marc Schnell zum ersten Mal „Hochschulgefühle“ auf.
Die neuen Gebäude
Die acht neuen Gebäude sind in weichen Sandsteintönen gehalten, die Zugänge zwischen ihnen öffnen sich großzügig zur Straße. Ein offener, ein heller Campus. Neben dem Hörsaalzentrum befinden sich die Bibliothek, die Mensa, ein Parkhaus und natürlich die vier Gebäude für die Fachbereiche Wirtschaft, Informatik/Energie, Mess- und Sensortechnik/Naturwissenschaften sowie Maschinenbau/Bauingenieurwesen.
Den letzteren Bau wird in seinem vierten Semester auch Marc Schnell näher kennen lernen. Als angehender Bauingenieur hat er die Arbeiten am Campus genau verfolgt: „Die Mensa ist für mich das interessanteste Gebäude. Sie ist auf Kragarmen gebaut“ und bildet so eine überdachte Terrasse. Auch die gläsernen Hörsäle gefallen ihm gut. Aber: „In den Außenanlagen ist ein bisschen viel Beton verbaut, es fehlt an Grün.“
Eine technische Herausforderung war es übrigens, die Gebäude vor Schwingungen zu schützen. Die hochfeinen Messgeräte in den Laboren sind so anfällig, dass sie von den Erschütterungen der Straßenbahnen abgeschirmt werden müssen. Dafür errichtete man die Gebäude auf einer Art Luftkissen.
Der baulich etwa fünfmal kleinere Campus in Bottrop (für 1100 Studierende) wurde bereits vor eineinhalb Jahren fertiggestellt.
Warum eigentlich Container?
Es sollte schnell gehen. Und so startete der aus Dortmund abgeworbene Gründungsrektor Eberhard Menzel die Mülheimer Hochschule 2009, direkt nach der gewonnen Ausschreibung, in einem nur 50 Quadratmeter großen Keller. Die ersten Studenten kamen provisorisch im Siemens Technopark unter. Drei Jahre später – nach einer politisch aufgeladenen Standortsuche und aufwändigen Ausschreibungen – wurde schließlich mit dem Bau des 139 Millionen Euro teuren Campus auf einem ehemaligen Bahngelände begonnen. Und da mittlerweile schon 1500 Studenten unterzubringen waren, wurde fast zeitgleich eine Hochschullandschaft aus 800 Containern errichtet – offiziell: das „Pavillondorf“.
Die hochwertig ausgestatteten Container werden übrigens nicht abgebaut. Für die Unterbringung von Flüchtlingen gelten sie zwar als zu teuer, aber die Gelsenkirchener Fachhochschule für öffentliche Verwaltung will hier eine Filiale einrichten, um ab Juli 1000 Beamte auszubilden – sie werden auch für die Bewältigung der Flüchtlingskrise gebraucht.
Bedeutung für die Wirtschaft
Ein Aufschrei aus der Wirtschaft gab 2008 den Anstoß für die Gründung dreier Hochschulen im Land: „Uns fehlen dringend Ingenieure.“ In der Tat haben sich auch 113 Unternehmen aus der Region zu einem Förderverein zusammengetan. Seit 2008 ist darüber rund eine halbe Million Euro an die HRW geflossen, hinzu kommen eineinhalb Millionen für Stiftungsprofessuren. Manche Unternehmen lassen auch im Auftrag forschen: Rund 450 000 Euro an Drittmitteln gingen 2015 an die Hochschule.
14 der 17 Bachelor-Studiengänge bieten zudem ein duales Studium, also die Verzahnung von Lehre und Praxis, an. „Größere Akteure sind Siemens, die TÜV Nord Gruppe und bald auch die Thyssengas GmbH“, sagt Hochschulsprecherin Heike Lücking.
Mülheims Stadtplaner hoffen, dass die von Leerständen gebeutelte Innenstadt mit studentischem Leben gefüllt werde. Ob es so kommt, bleibt abzuwarten. Die City liegt auf der anderen Ruhrseite, im benachbarten Stadtteil Broich aber haben sich tatsächlich schon einige Kneipen und Restaurants angesiedelt – neulich auch ein „Campus-Döner“.