Mülheim. . Was so einfach klingt, ist für Betroffene ein großer Schritt. Oft braucht es mehrere Anläufe in ein neues Leben, wissen die Beraterinnen von „Hilfe für Frauen“
Für Außenstehende ist die Sache ganz einfach: „Die Frauen müssen da raus. Sagt denen, die müssen ihre Männer verlassen.“ Solche Ansagen hören die Beraterinnen des Vereins Hilfe für Frauen, der auch Träger des Mülheimer Frauenhauses ist, oft – und schütteln darüber nur den Kopf. Denn gerade das können sie nicht: Frauen, die von ihren Männern ständig gesagt bekommen, was sie zu tun und zu lassen haben, sagen, was sie tun sollen. Das eigene Leben umzukrempeln, mit Bekanntem und Bekannten zu brechen, ist ein Schritt, den die Frauen selbst wählen und auch gehen müssen. Entscheidungsfreiheit geben und Eigenverantwortung zu vermitteln, sind daher auch wichtige Ziele des Frauenhauses. Doch den Weg in die Eigenständigkeit gehen nur die wenigsten gleich im ersten Anlauf bis zum Ziel.
Gewalt gegen Frauen geschieht meist nicht in der Öffentlichkeit, sondern in den eigenen vier Wänden. Körperliche, sexuelle, psychische Gewalt – meist sind es die Partner und Ex-Partner, die sie ausüben. Am Anfang, weiß Nora Thurow vom Verein Hilfe für Frauen, steht meist Kontrolle, und die übernimmt der Mann oft auf „ganz subtile Art und Weise“. „Ich will doch nur dein Bestes“ hieße es dann oder „Musst du dich mit deinen Freundinnen treffen? Reiche ich dir nicht?“ Das Ziel sei, sagt Thurow, „die Frauen zu isolieren und auf den Mann zu fixieren“, unmündig zu machen oder zu halten.
Seltsame Idealbilder
Schleichend laufe das und quer durch alle Bildungs- und sozialen Schichten, Kulturen, Religionen, Generationen. Übergreifend sei auch ein „seltsames Idealbild von Familie, von Mutter, Vater, Kind“, dass die Frauen bei ihren Partnern hielte, sagt Andrea Gehl, Vorsitzende des Vereins. Gerade bei Müttern mit kleinen Kindern sei das ein Faktor: „Egal, was passiere, das Kind darf nicht ohne Vater aufwachsen“, ergänzt Nora Thurow.
Werden die Kinder älter, richtet sich die Gewalt gar gegen sie, denken viele Mütter um. Dann kommen die Frauen in die Beratungsstelle am Hans-Böckler-Platz und entsprechen gar nicht dem Klischee. „Oft sind das selbstbewusste Frauen, die es schaffen, in anderen Lebensfeldern taff zu sein und das, sobald sie zu Hause sind, ablegen.“
Jolanthe-Aktion läuft noch
In diesem Jahr läuft die WAZ-Aktion Jolanthe zugunsten des Mülheimer Frauenhauses. Zwar erhält der Trägerverein des Frauenhauses Zuschüsse von der Stadt sowie einen Lohnkostenanteil für die vier Mitarbeiterinnen vom Landschaftsverband, doch das deckt längst nicht alle Ausgaben. Für die Unterbringungskosten komme, sofern die Frauen es nicht selbst können, das Sozialamt auf, so Andrea Gehl. Der Tagessatz liegt bei 10,50 € für jede Frau und jedes Kind. „Für den Rest leben wir von Spenden.“
Noch läuft die Jolanthe-Aktion: Spenden können auf das Konto mit der IBAN DE 05 3625 0000 0175 032477 unter dem Hinweis „Jolanthe“ eingezahlt werden.
Der Weg in die Beratung, ins Frauenhaus erfordert Mut, darüber sind sich die Beraterinnen einig. „Eine Gewohnheit gibt Halt“, sagt Andrea Gehl und spricht von „ritualisiertem Leiden“, das die Frauen oft über Jahre erdulden, erlernt haben. „Ein Einsperren auf psychischer Ebene“ sei es, sagt Nora Thurow und weiß, dass für viele der psychische Druck das Schlimmste ist; „blaue Flecken gehen wieder weg.“ Hinzu kommt oft mangelnde Unterstützung aus dem Umfeld, aus der Familie. Häufig, berichtet Nora Thurow, fällt dann ein Satz, so schlicht wie folgenschwer: „Du weißt doch wie der ist!“ Damit, sagt Andrea Gehl, wird nicht nur das Verhalten des Mannes gerechtfertigt, sondern den Frauen auch noch eine Teilschuld gegeben. „Das Weggucken“, sagt die Vereinsvorsitzende, „da gibt es keine kulturellen Unterschiede.“
All das sind Gründe, warum die meisten Frauen mehrere Anläufe brauchen, um sich von ihren Männern zu trennen und den Berg anzugehen, der sich zunächst vor ihnen auftürmt. Das Leben zu ändern, kostet Kraft, die oft schlicht fehlt. „Wenn der Leidensdruck nicht groß genug ist, dann können wir nichts tun“, sagt Andrea Gehl. „Die Frauen müssen es wollen.“ Es ist ihre Entscheidung.