Mülheim. . Die hölzerne Figur, die beim Trauergottesdienst für die Opfer des Germanwings-Absturzes verteilt wurde, hat Bildhauer Jochen Leyendecker entworfen.
Unfassbares war passiert am 24. März, als der Copilot des Germanwings-Flug 9525 die Maschine willentlich gegen einen Berg gesteuert hatte – 150 Menschen kamen dabei ums Leben, darunter auch drei Mülheimer. Ein kleiner Engel aus Holz, dessen Gestalt einst in Mülheim entworfen worden war, wurde schließlich zum Symbol für Trost und Halt in der unermesslichen Trauer um die Opfer. Bei dem Trauergottesdienst, der Mitte April im Kölner Dom stattfand, lag eben dieser Engel auf jedem Platz in den Kirchenbänken.
Jochen Leyendecker, der Mülheimer Bildhauer, der die Figur vor Jahren für die Initiative Pskow (siehe Info-Kasten) geschaffen hatte, erblickte den Engel beinahe zufällig: Zusammen mit seiner Frau sah er im Fernsehen die Übertragung der Trauerfeier, als ein Kameraschwenk solch ein kleines symbolisches Holzstück einfing. Das war doch sein Engel! Sein Entwurf für die Behindertenwerkstätten im russischen Pskow. Nach der Überraschung folgte Freude, wenn man davon in diesem Zusammenhang überhaupt sprechen mag. Jochen Leyendecker formuliert es so: „Der Engel erfüllt seinen Zweck, er spendet Trost und gibt Hoffnung.“
Das spürte auch der Künstler selbst. Jochen Leyendecker hatte Anfang des Jahres einen Schlaganfall erlitten, war halbseitig gelähmt und kämpfte sich in der Reha gerade zurück ins Leben, als er die Übertragung der Trauerfeier sah. Seine Frau Heidemarie Sinn-Leyendecker erinnert sich: „Zu sehen, dass etwas, was er gemacht hat, anderen in dieser schweren Zeit Trost gibt, hat meinem Mann Aufschwung gegeben.“ Bestätigung und Ansporn zugleich waren auch die zahlreichen Anfragen zu dem Engel, die nach der Trauerfeier bei Leyendeckers eingingen. „Es hat sich auch ein Lehrer aus Haltern gemeldet, der Engel für seine Schüler haben wollte“, erzählt Heidemarie Sinn-Leyendecker.
3000 Engel für den Gottesdienst
Doch nicht nur bei den Leyendeckers häuften sich die Fragen nach den hölzernen Trostspendern, nachdem sie im Kölner Dom verteilt worden waren. Auch bei der Initiative Pskow selbst, deren Geschäftsführerin die Mülheimerin Martha Vahrenkamp ist, gingen Bestellungen aus aller Welt ein. „Es haben sich sogar Leute aus New York, Barcelona und Singapur gemeldet, die den Engel haben wollten“, berichtet Martha Vahrenkamp. Also hieß es für die Beschäftigten der Behindertenwerkstatt im russischen Pskow ein weiteres Mal: sägen, feilen, schmirgeln unter Hochdruck.
Dabei hatten sie bereits vor der Trauerfeier im Kölner Dom alle Hände voll zu tun gehabt, nachdem die Anfrage nach 3000 Engeln für den Gottesdienst gekommen war. „Nur einen Tag vorher kam die Sekretärin aus Pskow mit zwei riesigen Koffern voller Engel nach Deutschland“, erinnert sich Martha Vahrenkamp. Welch große Resonanz ihre Arbeit in Deutschland hervorgerufen hat, konnte Martha Vahrenkamp ihren russischen Schützlingen bei der Weihnachtsfeier erzählen, die sie kürzlich in Pskow besuchte. Der Engel, der von Behinderten gefertigt wird und bewusst keine perfekte Form, sondern einen größeren und einen kleineren Flügel hat, ist zum berührenden Symbol geworden. Die Mülheimerin erzählt: „Die Beschäftigten der Behindertenwerkstätten sind stolz darauf. Sie sind zu perfekten Engeln geworden für diejenigen, die einen Menschen verloren haben.“