Mülheim. Ein Besuch beim Gesprächskreis für pflegende Angehörige, der seit zehn Jahren in Mülheim besteht. Die Gruppe soll die Teilnehmer ermutigen, mehr für sich selber zu tun.

Heute sind sie nur eine kleine Runde: zu dritt. Bei Spekulatius und duftendem Tee trifft sich der Gesprächskreis für pflegende Angehörige. Ein Mann und zwei Frauen sind erschienen, die allesamt ihre hilfsbedürftigen Ehepartner betreuen. Sie verraten ihr Lebensalter, 63, 76 und 82 Jahre, behalten ihre Namen aber lieber für sich.

Schließlich kommen hier privateste Angelegenheiten auf den Tisch: „Wir schütten in diesem Raum einfach unseren Kummer aus“, sagt die jüngste Teilnehmerin. „Das können wir zu Hause so schlecht.“ Wenn es besonders ungünstig läuft, versäumen sie den monatlichen Termin dieser offenen Gruppe. „Es waren auch schon zehn Personen da“, berichtet Pflegeberaterin Kirsten Wennemers, die den vor zehn Jahren gegründeten Gesprächskreis moderiert. „Je nachdem, wie man sich bei den Angehörigen frei machen kann.“

Widerstände der Kranken

Die Zeitfenster sind oft eng, die Widerstände der teils demenzkranken Partner erheblich. „Bei mir geht es noch, dass mein Mann stundenweise alleine ist“, sagt eine Frau. „Unter Protest...“, den sie aber aushält, und genau dazu soll die Gruppe auch ermutigen: etwas für sich selber zu tun. In vielen Fällen kann die gelegentliche Unterbringung in einer Tagespflegeeinrichtung Zeit zum Durchatmen schaffen.

Nicht selten sind auch hier Widerstände der Kranken zu überwinden, die sich abgeschoben fühlen: „Wenn mein Mann in der Tagespflege war“, sagt eine Ehefrau, „Ist alles wunderbar. Nur das Weggehen fällt immer sehr schwer.“

Beratungsbesuche sind Pflicht

Wer Pflegegeld erhält, ist gesetzlich verpflichtet, regelmäßig Beratungsbesuche im eigenen Haushalt zu empfangen: Mitarbeiter von Pflegediensten oder Beratungsstellen kommen dann ins Haus, um pflegende Angehörige fachlich und praktisch zu unterstützen.

Bei Pflegestufe I und II müssen diese Besuche einmal im halben Jahr erfolgen, bei Pflegestufe III vierteljährlich. Falls Pflegebedürftige diese Beratung nicht abrufen, kann das Pflegegeld gekürzt, im Wiederholungsfall sogar gestrichen werden.

Ein Teilnehmer, selber schon 82, dessen Frau an Parkinson leidet, kaum noch laufen kann, beschreibt im kleinen Kreis seinen anstrengenden Alltag, der sich ganz um die Krankheit dreht: „Diese ganzen Kleinigkeiten, Tabletten nehmen, Einkäufe, Arzttermine... Als Angehöriger hat man nie Feierabend. Das ist wirklich ein Fulltime-Job, hundertprozentig.“ Schwierig sei es, das richtige Maß an Unterstützung zu finden, und dieses Thema bewegt viele im Gesprächskreis: „Man will die Leute nicht bevormunden“, erklärt Kirsten Wennemers, „sie sollen Dinge selber entscheiden dürfen und fordern es ein.“

Gruppentreffen dienen auch der fachlichen Information

Schwer zu ertragen ist auch, dass man nicht auf Besserung hoffen darf, ganz im Gegenteil. „Eine Zeitlang war Demenz hier ein ganz großes Thema“, berichtet Wennemers. Die Gruppentreffen, immer von ihr als Pflegeberaterin geleitet, dienen nicht zuletzt der fachlichen Information: über Pflegestufen, ambulante Hilfen oder Möglichkeiten der Kurzzeitpflege.

Schließlich ist auch die stationäre Unterbringung in einem Heim für die Gruppe kein Tabu. Eine Teilnehmerin meint: „Wenn die Demenz bei meinem Mann so fortschreitet, dass ich ihn nicht mehr alleine lassen kann, würde ich das nicht ausschließen.“ Die Pflegeberaterin ergänzt: „Wenn ich sehe, die Angehörigen sind vollkommen überlastet, würde ich sie auch dazu ermutigen.“ Bislang sei dieser Fall in der Gruppe aber noch nicht vorgekommen.

Familiale Pflege: Beide Krankenhäuser helfen

Beratung und Unterstützung finden pflegende Angehörige an verschiedenen Stellen in Mülheim, so beispielsweise in den beiden Krankenhäusern. Unter der Überschrift „Familiale Pflege“ läuft ein kostenloses Angebot sowohl im St. Marien-Hospital als auch im Evangelischen Krankenhaus, das den Übergang in einen veränderten Alltag erleichtern soll. Es richtet sich an Angehörige, die Patientinnen und Patienten mit einer Pflegestufe künftig betreuen, und kann bis zu sechs Wochen nach der Entlassung in Anspruch genommen werden.

Fachkräfte schulen die Angehörigen bereits am Krankenbett auf der Station und bieten anschließend bei Bedarf Pflegetrainings zu Hause. Am Ev. Krankenhaus gehört auch das monatliche „Café & mehr...“ zum Projekt, bei dem sich Angehörige austauschen können. Ansprechpartnerin für die Familiale Pflege ist hier Iris Hotzel, 309-4644. Im Mülheimer St. Marien-Hospital betreut Nadja Wiedekamp, 305-42879, diesen Bereich.

An beiden Krankenhäusern gibt es zudem kostenlose Pflegekurse für Angehörige, die allen Interessierten offen stehen. Sie finden an drei Vormittagen oder Nachmittagen statt. Im Ev. Krankenhaus stehen die Termine für 2016 bereits fest. Der nächste „Initial-Pflegekurs“ läuft am 23. bis 25. Februar, jeweils von 9.30 bis 13 Uhr, der nächste Demenz-Pflegekurs am 26. bis 28. Januar, ebenfalls von 9.30 bis 13 Uhr.

Wenn Angehörige mit einer Demenzerkrankung konfrontiert sind, bietet sich als Ansprechpartner mit diversen Betreuungs- und Beratungsangeboten auch die Alzheimer Gesellschaft Mülheim an, erreichbar unter 99107670.