Mülheim. . In einer Projektarbeit lassen angehende Heilerziehungspflegerinnen drei Menschen mit Behinderung in einem Video erzählen, was sie im Alltag stört.

Lena Hense hat sich eine schwierige Aufgabe gestellt. Die 23-jährige Winkhausenerin setzt sich für behinderte Menschen ein und kämpft dafür, dass deren Probleme wahrgenommen werden. Am LVR-Berufskolleg in Düsseldorf macht sie eine duale Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin, ihre Praxiserfahrung sammelt sie bei der Mülheimer Lebenshilfe. Als für die junge Frau und ihre Klassenkameradinnen Esra Piamonte und Katharina van Tetterode eine gemeinsame Projektarbeit anstand, war den Auszubildenden schnell klar, dass sie etwas Besonderes werden sollte. „Wir wollten kein übliches Theaterprojekt, sondern den Menschen mit Behinderung eine eigene Stimme geben“, sagt Hense. „Die Betroffenen sollten selber sagen, was sie stört.“ Das hat sie mit einem Video umgesetzt, das nun im Internet veröffentlicht ist.

Kein Platz in den Bussen

Mitwirkende zu finden, war für das Azubi-Trio jedoch nicht einfach. „Ich musste mir das lange überlegen, war nervös und wusste erst gar nicht, was ich in dem Video sagen sollte“, sagt Heidi Issel, eine der drei Darsteller. Sie alle werden von Hense bei der Lebenshilfe betreut, sie geht mit ihnen einkaufen, hilft beim Wäsche waschen, bringt ihnen Kochen bei und unterstützt die Freizeitplanung.

Was Issel am meisten stört, ist der Nahverkehr. Sie arbeitet bei den Fliedner-Werkstätten an der Lahnstraße und fährt mit der Buslinie 135 dorthin. Wenn Sie nachmittags nach Feierabend zum Hauptbahnhof möchte, war der Bus aber bereits an der Weseler Straße und am Siemens Technopark, wo Arbeiter weiterer Behindertenwerkstätten und sonstige Pendler eingestiegen sind. „Dann haben wir keinen Platz mehr, dann ist es immer zu eng.“ Deshalb wünscht sie sich, dass die MVG auf der Strecke nachmittags einen größeren Bus einsetzt.

Mit kleinen Schritten

Lena Hense geht es vor allem um Verständnis für Behinderte. „Ich habe die Hoffnung, dass die Zuschauer des Videos ihr Bewusstsein dafür schärfen, dass es Barrieren gibt. Dass sie aufmerksamer werden.“ Ihr Ziel, den Betroffenen eine Stimme zu geben, hat sie erreicht. „Die Situation hat sich verbessert, mit ganz kleinen Schritten“, resümiert sie. Der fünfminütige Film soll ein Umdenken bewirken, Zuschauer sollen im Idealfall erkennen, dass vermeintlich Unproblematisches im Alltag für andere eine Hürde ist.

„Es ist ein sehr gutes Projekt, weil es Menschen mit Behinderung einbezieht“, sagt Ausbilderin Jana von Samson. „Inklusion ist jetzt ein Riesenthema.“ Dass aber Kleinigkeiten wie unebene Straßen für Gehbehinderte zu großen Problemen werden können, sei vielen gar nicht bewusst.

Projekt setzt bei mangelndem Verständnis an

Dabei braucht es nicht viel, um Verständnis für Behinderte aufzubringen. Genau dort setzt das Projekt an. In überfüllten Bussen zu stehen ist für einige Menschen durchaus ein Hindernis, und Rollstühle passen dann ebenso wenig hinein wie Kinderwagen. Deshalb prangert das Video unter anderem an, dass Gehbehinderten keine Sitzplätze freigemacht werden. Zudem erklärt es, dass bereits Fahrpläne zu Barrieren werden können, weil längst nicht jeder damit zurecht kommt. Doch wer um Hilfe bittet, stoße oft auf Unverständnis.

Das hat auch Ursula Rührup erlebt. Sie mag längst nicht immer um Hilfe fragen, wenn sie mit ihrem Rollator in einem U-Bahnhof unterwegs ist und der Fahrstuhl ausfällt. Treppen steigen kann sie mit dem Gerät nicht. Trotzdem: Nur wenn sie es eilig hat, spricht sie andere Fußgänger an oder drückt die Notrufsäule. Meist zeigen sich andere hilfsbereit, aber eben nicht immer. Dass sie wegen ihrer Trisomie 21 (Down-Syndrom) von anderen oft nur schlecht verstanden wird, erschwert ihre Situation.

Fehlende Ablagen beim Einkaufen

Bevor sie auf Unterstützung wartet, die vielleicht aus der nächsten U-Bahn aussteigt, fährt sie lieber eine Haltestelle weiter, zu einem funktionierendem Fahrstuhl, und läuft von dort den zusätzlichen Weg. Selbst Fahrstühle, die funktionieren, können aber zu Hindernissen werden. So wie der am Halt Stadtmitte. Rührup berichtet, dass dort leere Schnapsfläschchen herumkullern und zur Stolperfalle werden und die Fahrstühle oft nach Urin riechen.

Auf einen weiteren Aspekt des Miteinanders zwischen Menschen mit und ohne Behinderung möchte Lena Hense ebenfalls aufmerksam machen: Gerade Körperbehinderte würden generell als zu langsam wahrgenommen. Dass ein Einhändiger im Supermarkt länger braucht, um seine Waren an der Kasse vom Laufband in die Tüten zu packen oder sein Geld aus dem Portemonnaie zu holen, leuchtet jedem ein. Trotzdem werde darauf kaum Rücksicht genommen, beklagt der dritte Darsteller Michael Urry. So fehlt bei Discountern hinterm Kassenlaufband eine Ablage für die Waren. Von Kunden wird erwartet, dass sie möglichst schnell ihre Produkte in den Einkaufswagen legen oder in Tüten einpacken.

Urry engagiert sich seit Jahren für Inklusion. Leider, so sagt er, reden gerade Experten in der Verwaltung und Politik über die Betroffenen statt mit ihnen oder zumindest an ihnen vorbei, weil sie die Fachausdrücke nicht kennen. Immerhin hat Lena Hense einen wichtigen Schritt getan und Kunden der Lebenshilfe selbst erzählen lassen, wo für sie Barrieren bestehen.

Das Video zum Projekt