Mülheim. Journalisten standen am Stellwerk Schlange, um die Brandschäden zu dokumentieren. Wegen des schlechten Wetters gab es Interviews unter Regenschirmen.
Styrum steht seit knapp eineinhalb Wochen im Fokus des Landes. An der Siegfriedbrücke hat ein Feuer das Stellwerk beschädigt und außer Betrieb gesetzt. Folge: Nur noch vier Züge pro Stunde und Richtung. Die Bahn ist fast gelähmt, Fahrgäste warten geduldig im Regen. So auch rund 40 Journalisten. Sie alle wollen sehen, wie es oben im Bedienraum aussieht, in dem es gebrannt hat. „Alles schwarz, nur frustrierend“, kommt ein Kollege mit Atemschutz und Helm zurück in den Regen.
Gleichzeitig reißt ein Bagger mit Presslufthammer die Fahrbahn der Siegfriedstraße auf. „Die Anlage braucht neue Starkstromanschlüsse“, sagt ein Arbeiter im Regencape. Auf der Rückseite geben die Bahnmanager neben Röhrenzügen Interviews unter Regenschirmen. Der Himmel weint weiter. Parkplätze im Viertel sind Mangelware. Einige Nachbarn beobachten das Szenario von ihren Fenstern aus, blicken hinter den Gardinen hervor. Auch für den Wirt des nahen Gasthauses „Am Kamin“ ist so ein Presseauflauf neu. Der kleine Saal ist bei der Pressekonferenz gut voll, nach knapp einer Stunde dann wieder leer. Die Bahnleute haben alles gesagt, der Tross rollt zum Stellwerk. „Nehmen Sie bitte die Brötchen mit. Das ist alles geregelt“, ruft er den Kollegen nach. Einige greifen noch einmal zu – Journalistenfrühstück kurz vor zwölf.
"In der kurzen Zeit sehr anspruchsvoll"
Weil die meisten Relais, die Herzstücke des Stellwerks, nur von den Rückständen des Löschschaums befreit werden müssen und dann wieder funktionieren sollen, haben sich die Bahntechniker entschieden: Das Stellwerk wird in seiner alten Betriebsfunktion wieder aufgebaut. „Wir sparen damit viel Zeit, brauchen keine neuen Baugenehmigungen einzuholen und können in rund fünf Monaten wieder den gewohnten Zugbetrieb im Ruhrgebiet anbieten“, begründet Erwin Schick von der DB Netz AG.
Das ausgebrannte Stellwerk in Mülheim
Ob der neue Gleisbildtisch mit allen Stellknöpfen und Rückmeldelichtern wieder oben in der Kanzel eingebaut wird oder in einem Container nebenan, wollen die Bahnmanager erst in einigen Wochen entscheiden. Spezialkräfte sind seit einer Woche dabei, die vom Brand zerstörten Teile herauszureißen. Danach gilt es, 6000 Kabel, Tasten und Lämpchen mit den dazu gehörenden 45 Weichen und 100 Signalen zu verlöten. „Das ist Präzisionsarbeit und alles muss auf Sicherheit geprüft werden. In der kurzen Zeit ist das sehr anspruchsvoll“, sagt Schick.
Einen Tag lang ist Styrum in allen Fernseh- und Radiokanälen. Für Pendler soll erst ab dem Wochenende leichte Entspannung in noch immer vollen Zügen spürbar sein.
Eine Zentrale ersetzt viele kleine Ortsstellwerke
Seit knapp 50 Jahren steht das am 4. Oktober von einem Feuer stark beschädigte Stellwerk neben der Siegfriedbrücke in Styrum. Von einem Gleisbildtisch stellen jeweils zwei Bahnbedienstete pro Schicht alle Weichen und Signale auf der Strecke zwischen Duisburg-Kaiserberg und Essen-West. Der rund zehn Kilometer lange Abschnitt ist seit mehr als 150 Jahren Hauptader der Eisenbahn im Ruhrgebiet.
Das Styrumer Stellwerk entsteht mit dem Ausbau des S-Bahn-Netzes Rhein-Ruhr. Dafür wird die Strecke zwischen Duisburg und Essen auf vier Gleise erweitert – zwei für den Fernverkehr, zwei für S-Bahnen, die auch in Stadtteilen halten. Ein Dutzend kleine Ortsstellwerke fallen weg. Der Bahnhof Styrum wird seit 1967 vom Stellwerk Mülheim (Ruhr)-Styrum (Mf) gesteuert. Zu dessen Stellwerkbereich gehören ebenso der S-Bahn-Halt Mülheim (Ruhr)-West (vormals Hauptbahnhof), der Hauptbahnhof Mülheim (einst Bahnhof Eppinghofen) und die anschließenden freien Streckenteile bis an die Übergabepunkte des nächsten Stellwerkbereichs (seit 1971).
Ausweichgleise wurden abgebaut oder zu Radwegen
Das Stellwerk ist ein Relaisstellwerk der Bauart SpDrS59. Dazu gehört der Fernstellbereich Mülheim Hbf der Bauart SpDrS60 – eine Relaisgeneration weiter. Bis zum Ausbruch des Feuers steuern die Stellwerker von Styrum aus 45 Weichen und 100 Signale sowie einen Teil des Güterbahnhofs der Mannesmannröhren-Werke.
Die Eisenbahnstrecke mitten durch das Ruhrgebiet geht 1862 von Duisburg-Ruhrort über Styrum und Mülheim nach Essen in Betrieb, die Verbindungen von Oberhausen und Duisburg münden im Styrumer Westen ein. 1876 folgt die Strecke von Styrum über Broich, Saarn nach Kettwig. Die anliegenden Industriebetriebe erhalten alle Eisenbahnanschluss. Der Gütertransport ist über Jahrzehnte Haupteinnahmequelle der Bahngesellschaften.
Einige der Strecken sind längst aus dem Stadtplan gelöscht oder zu Radwegen umgebaut. Heute fehlen die wichtigen Ausweichgleise.