Mülheim. Zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit stöbert das Frauen-Kollektiv „She She Pop“ im Mülheimer Ringlokschuppen in Schubladen der Vergangenheit.
Zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit stöbert das internationale Performance-Kollektiv „She She Pop“ in den Schubladen der Vergangenheit von Ost und West. Drei im Westen aufgewachsene Performerinnen begegnen drei ost-sozialisierten Expertinnen des Alltags, und gemeinsam betreiben sie experimentelle Feldforschung in Sachen Wiedervereinigung. Über die Produktion, zu sehen am 3. und 4. Oktober im Ringlokschuppen, spricht Ilia Papatheodorou, eine von sechs Künstlerinnen des Frauenkollektivs aus Berlin.
Was war die Idee?
Ilia Papatheodorou: Das Projekt war geplant als kollektive Autobiografie über 40 Jahre deutsch-deutsche Geschichte. Wir von She She Pop sind alle Jahrgang 1969 bis 1972, und wir haben uns Gäste gesucht, die ungefähr in unserer Altersgruppe sind. Diese haben die ersten 20 Jahre im geteilten Deutschland verbracht und die nächsten 20 Jahre im wiedervereinigten Deutschland. Wir haben gesagt: Lasst uns die Schubladen öffnen und nachschauen, was wir an Dokumenten, Literatur, Musik, Lehrbücher, etc. finden, die etwas darüber aussagen, wer wir sind und was wir geworden sind.
Selbst Erlebtes und Persönliches wird in Fragmenten erzählt?
Papatheodorou: Ja, das sind eigene Briefe, Tagebücher und Dokumente, die man von Freunden und Eltern bekam, die über den Zeitpunkt und den geschichtlichen, politischen, und gesellschaftlichen Hintergrund erzählen, in dem man sich befand.
Im weitesten Sinne ein experimentelles Forschungsprojekt?
Papatheodorou: Eine Erkenntnis, die man aus den Proben gezogen hat, musste wirklich sein: Das, was ich als meine Identität begreife, ist Teil von einem Denk-System, in dem ich aufgewachsen bin, aus dem ich schwer ausbrechen kann.
Also müssen wir noch am gegenseitigen Verständnis arbeiten?
Papatheodorou: Als Wessis haben wir in den Proben sehr viel lernen müssen, weil wir uns als Künstlerinnen für reflektiert halten und immer wieder mit einer Sensibilität konfrontiert waren, die nicht unsere ist. Wenn diese Sensibilität für gewisse Tabus und Themen nicht da gewesen wäre, dann wäre das Stück nicht das, was es heute ist.
Was meinen Sie mit Tabu?
Papatheodorou: Zum Beispiel das über ein unterschiedliches Frauenbild. Wie Frauen in den 70er Jahren aufgewachsen sind und alle voll arbeitende Mütter hatten, weil die sozialistische Gesellschaft sie gebraucht hat. Während die westdeutschen Mütter aus ihren Berufen raus gegangen sind, Kinder bekommen haben und zum Großteil nicht den Weg in den Beruf zurück gefunden haben. Oder dass ein ganz anderes Selbstverständnis bei westdeutschen und ostdeutschen Frauen da ist – immer noch. Weiterhin die Entsolidarisierung der Gesellschaft im Westen, wo im Osten ein viel größerer Gemeinschaftssinn und Kollektivgedanke verhaftet sind, was eine Gesellschaft zusammenhält.
Also gibt noch viel zu tun auf dem Weg der Weitervereinigung?
Papatheodorou: Da gibt’s noch viel zu konsolidieren, zu erfahren und zu wissen.
Die Berliner „taz“ hat von einem vergnüglichen Abend mit Langzeit- und Tiefenwirkung geschrieben. Was ist die humorige Seite?
Papatheodorou: Es ist deshalb lustig, weil bestimmte Tabus berührt werden. Weil es ein Umgang miteinander ist, den man im Alltag so eigentlich nicht machen kann. Insofern wird die Bühne genutzt für eine utopische Kommunikation. Wo man sich traut, Fragen zu stellen, die die Beziehung zwischen der Ost- und West-Frau unnatürlich erscheinen lassen, wo man selbst die gemeinsame Sprache hinterfragen muss. Dass in der Frage das Denken zum Leuchten kommt und sich die Unterschiede offenbaren, die im Detail liegen.
Aufführungen mit Gesprächen und Hintergründen
Die Performance „Schubladen“ läuft im Ringlokschuppen am Samstag, 3. Oktober, 20 Uhr (Einführung um 19.30 Uhr) sowie am Sonntag, 4. Oktober, 18 Uhr, mit Künstler-Gespräch im Anschluss.
Das Frauen-Kollektiv war 2007 beim Impulse-Festival mit der „Relevanz Show“ in der Stadthalle zu Gast. In diesem Jahr wurde sie mit dem Hauptpreis des „Georg Tabori Preis“ ausgezeichnet.
She She Pop ist ein Performance-Frauen-Kollektiv, das Ende der 90er Jahre von Absolventinnen des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft gegründet wurde.