Mülheim. . Am 21. August 1945 starb Wilhelm Grefrath mit 37 Jahren an den Folgen des Zweiten Weltkriegs. Sein Sohn wusste nie, wo der Vater begraben liegt.
Das letzte Bild, das Manfred Grefrath von seinem Vater im Kopf hat: Wie er mit seinen wenigen Habseligkeiten das Haus verlässt und in Richtung Bahnhof läuft – die Taschen beinah leer, das Herz wohl voller Sorge. Denn der damals 37-jährige Wilhelm Grefrath wird noch drei Monate vor Kriegsende eingezogen, um an der Front zu kämpfen. Genau vor 70 Jahren, am 21. August 1945, starb Wilhelm Grefrath an den Folgen des Krieges in einem russischen Lazarett nahe Hoyerswerda. All die Jahre wusste Sohn Manfred nicht, wo sein Vater begraben liegt. Erst im August dieses Jahres finden seine Kinder das verlorene Grab ihres Großvaters.
1936: Als Manfred Grefrath zwei Jahre alt ist, ziehen seine Eltern mit ihm von Mülheim nach Oranienburg bei Berlin. „Mein Vater arbeitete dort in der Rüstungsindustrie als Flugzeug-Monteur bei den Heinkel-Werken.“ Er erinnert sich an die ausgemergelten Zwangsarbeiter des benachbarten KZ Sachsenhausen, die für die Werke schuften müssen. „Mein Vater steckte ihnen immer heimlich Butterbrote zu.“ Der Nachbar, „ein Nazi durch und durch“, muss die Eltern angeschwärzt haben. „Jedenfalls wurde mein Vater plötzlich eingezogen“, sagt der Styrumer.
Manfred ist gerade zehn Jahre alt, als er seinen Vater zum Abschied noch einmal drückt. Sie wissen nicht, wie lange der Krieg sie trennen würde. „Papa kommt bald wieder“, versucht die Mutter dem Sohn Hoffnung zu geben. Nur drei Monate nach Vaters Abschied, im April 1945, marschiert die Rote Armee in Berlin ein, Hitler erschießt sich im Bunker, die Alliierten befreien Deutschland von den Nazis — doch Wilhelm Grefrath bleibt verschollen. Anstelle des Vaters kommt die Karte eines Kriegskameraden zurück. „Darauf stand in Sütterlin geschrieben, dass Vater verstorben sei“, erinnert er sich.
Traumatisch ist das für den Jungen, der plötzlich mit seiner Mutter alleine in den Trümmern des zerrütteten Nachkriegs-Berlin steht. „Wir waren ausgebombt, hatten kaum etwas zu essen.“ Der Junge hackt Holz für die russischen Besatzer, sammelt Buntmetall aus den Trümmern des Flugzeug-Werks und verhökert es in West-Berlin. „So schlugen wir uns durch die Nachkriegszeit.“ Mit 15 Jahren steckt ihn die Stasi für anderthalb Jahre in ein DDR-Gefängnis – wegen angeblichen Landesverrats. „Eine schwere Zeit“, sagt Grefrath. Aber er bleibt in Ost-Berlin, studiert Ingenieurswesen und kehrt nach der Wende in die Heimat seiner Eltern nach Mülheim zurück.
Der Verlust des Vaters berührt den heute 80-Jährigen immer noch tief. Wo liegt er begraben? Wie ist er gestorben? Viele Fragen bleiben offen. „Meine Mutter hat sich um Aufklärung seines Todes bemüht, doch in der DDR legte keiner Wert darauf.“ 70 Jahre später gehen seine erwachsenen Kinder im Internet auf die Suche nach dem Grab des Großvaters – und finden es auf dem Kriegsfriedhof in Elsterheide bei Hoyerswerda. Mit seiner Frau fährt er schließlich Anfang August nach Sachsen, um das Grab zu besuchen. „Meine Frau legte ein Herz aus Eicheln davor – ich kniete nieder und weinte.“ Auch wenn die genauen Umstände des Todes nicht geklärt werden konnten, habe er zumindest einen Ort zum Trauern gefunden, sagt Grefrath. „Dieser Schritt war wichtig, um einen Abschluss finden zu können.“