Mülheim. Die Polizei geht aufgrund deutlich gestiegener Einbruchszahlen offensiver gegen die Täter vor. Konzept sieht Schwerpunkteinsätze und Observationen vor.

Sommerpause machen Einbrecher schon lange nicht mehr. Das belegen die Einbruchszahlen der Polizei Essen/Mülheim für das erste Halbjahr 2015. Demnach sind die Einbrüche um 400 Fälle auf insgesamt 4080 gestiegen, darunter sind 1949 Wohnungseinbrüche. Allein in Mülheim sind die Einbrüche von 589 in 2014 auf 765 in 2015 gestiegen. Vor allem die Wohnungseinbrüche nehmen deutlich zu.Angesichts dessen will die Polizei ihre „Schwerpunkteinsätze und einen flächendeckenden Kontrolldruck erhöhen“, wie Martina Thon, Leiterin der Kriminaldirektion, am Donnerstag erklärte.

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„Wir hatten in der dunklen Jahreszeit massiv Kräfte unterwegs. Das werden wir auch jetzt durchziehen“, kündigt sie an. Denn der Eindruck von Bürgern, die Polizei sei zu wenig vor Ort, stimme nicht. Offensiver will man nun öffentlich ankündigen, wo Einbruchs-„Hotspots“ sind. „Wir gehen in die Orte, sprechen mit den Bürgern, Opfern und deren Nachbarn“, erklärt Martina Thon das Konzept, „das nicht neu erfunden worden ist. Aber wir machen es mit einem Riesenaufwand und nicht mehr im Verborgenen.“ Die Polizei hat einige Serien- und Motivtäter, sprich mobile Täter, verstärkt im Fokus ihrer verdeckten Ermittlungen. Dabei ist auch der Verkehrsdienst mit im Boot. Werden beispielsweise bei Streifenfahrten verdächtige Autos gesehen oder gar Serientäter erkannt, wird die Verfolgung aufgenommen – auch über Autobahnen und Landesgrenzen hinweg. Hinter vielen Taten vermutet man Täter, die für kurze Zeit ins Land kommen und nach den Taten wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Mietwohnungen werden immer öfter Ziel von Einbrechern

Täglich werden aktuellen Einbruchs-Brennpunkte erfasst. „Das ist wichtig für die Einsatzkräfte und Hundertschaft. Die Lage verändert sich ständig. Wir haben heute mobile Täter“, erklärt Bodo Buschhausen, Leiter des Einbruchskommissariats. Man könne nicht mehr sagen, dass wohlhabende Gegenden oder Einfamilienhäuser von den Tätern ausgesucht werden. Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern sind genauso das Ziel.

Die meisten Einbrüche passieren morgens gegen 9 Uhr oder nachmittags. Bevorzugtes Diebesgut, wie Handys, I-Phone oder Bargeld, sei auch dort zu finden. In eine ungesicherte Mietwohnung einzusteigen sei mitunter einfacher, als in ein alarmgesichertes Einfamilienhaus. Das werde aber von vielen Bürgern noch nicht wahrgenommen. „Und viele sind auch falsch informiert, was Einbruchsschutz kostet“, sagt Jürgen Dahles vom Kommissariat Vorbeugung. Der Hauptkommissar geht mit seinem Team verstärkt auf Märkte in Schwerpunktgebieten, um aufzuklären – auch darüber, dass Einbruchsschutz schon damit anfängt, keine Fenster auf Kipp zu lassen und die Balkontür nicht zum Lüften offen zu lassen, wenn man „mal kurz“ raus ist.

Ein Einbruchsradar im Internet, wie es in Bochum erprobt wird, sieht Martina Thon skeptisch. „Wir warten die Ergebnisse dort ab“, sagt sie. Denn so ein Radar könne contraproduktiv sein, weil „es eine trügerische Sicherheit vermittelt“.

„Die Kerle sind immer noch da“ – ein Erfahrungsbericht 

Wer seine Wohnung nicht mehr erkennt, weil Einbrecher sie durchwühlt und auf den Kopf gestellt haben, der kämpft noch Jahre danach mit Ängsten, die belasten und das Leben verändern. Rainer B. (Name geändert) aus Saarn hat nicht nur ideelle und materielle Werte verloren. Jahre lang hatte er kein Zuhause mehr, in dem er sich sicher- und wohlfühlte. Seine Erfahrungen.

„Das schlimme Szenario kann ich kaum vergessen. Lese ich von Einbrüchen in der Zeitung, springen mir die Bilder wieder vor Augen, Frust, Ohnmacht und Wut überrollen mich. Alles ist wie eben: Wieso sind alle Schubladen aus der Kommode gezogen? Warum steht die Garderobe offen. Schließe ich die Haustür auf, sieht meine Wohnung nicht so aus. Habe ich heute Morgen etwas gesucht und musste schnell zum Bus?

Sind die Einbrecher noch im Haus?

In der Küche bullert der Kühlschrank, weil die Tür ausgebrochen ist. Ich tapse in eine Wasserlache, sehe zerschlagene Teller. Ein Messer steckt im Arbeitsbrett. Total geschockt stehe ich da, muss mich auf den Esstisch stützen. Der zweite Schock: Einbrecher waren da. Gleich darauf befällt mich große Angst: Sind sie noch im Haus?

Gleichzeitig werde ich wütend: Was habe ich diesen Leuten getan. Warum wollen die mir mein Hab und Gut wegnehmen. Ich habe dafür gearbeitet und die klauen es? Ich balle die Fäuste, gehe langsam zum Wohnzimmer. Ich schaue vorsichtig um den Türrahmen: Alle Schranktüren offen, alle Schubladen liegen ausgeleert auf dem Teppich. Im Schlafzimmer muss ich mich ekeln. Die komplette Wäsche ist aus den Schränken gerissen, im Raum verstreut. Die Einbrecher haben ihre dreckigen Schuhe darauf abgetreten, die Matratzen aufgeschnitten.

Im Arbeitszimmer sind alle Regale ausgeräumt. Bücher, Zeitungen, Familienfotos, persönliche Dokumente, Kontoauszüge und der Schmuckkasten meiner Frau lagen sinnlos verstreut. Im Keller sind die Vorratsregale umgekippt. Modelle der Eisenbahn liegen zertreten am Boden. Ich bin ohnmächtig, kann nicht mal weinen.

Beruhigtes schlafen geht kaum noch

Es dauert eine Stunde, bis ich fähig bin, die Polizei zu rufen. Weil keine Einbrecher mehr im Haus sind, erscheinen die Beamten erst nach ihrem Schichtwechsel gegen 22.30 Uhr. Die Spurensicherer sind freundlich, erklären: Die Einbrecher haben nur Schmuck und Bargeld gesucht. Sie hatten viel Zeit. Das kleine Fenster der Gästetoilette haben sie aufgehebelt. Durch die Terrassentür sind sie abgehauen, sagt der Polizeibeamte. Sie trugen Wildlederhandschuhe, darum haben wir keine Fingerabdrücke.

Ob ich eine Inventarliste hätte mit allen Gegenständen der Wohnungseinrichtung. Auch eine Liste mit Schmuckstücken wäre hilfreich – am besten mit Ansichtsfotos, sagen die Beamten. Fehlanzeige. Wer dokumentiert seine Sachen? Ich brauche keinen Anwalt, sondern menschliche Hilfe. Am Morgen, gegen 3 Uhr, sitze ich einsam auf einem Stuhl in der Küche mit meinem Einbruchschaos. Danach haben wir wochenlang Wäsche gewaschen, neue Matratzen gekauft, die Liste der fehlenden und zerstörten Gegenstände erarbeitet und immer wieder weinend aufgeräumt. Erst nach sechs Monaten gelingt der Versuch, im Schlafzimmer zu übernachten. Wir schrecken immer noch hoch, wenn draußen etwas klappert oder im Haus der Holzboden knackt.

Beruhigtes schlafen geht kaum noch. Die Kerle verfolgen uns immer noch. Und die silberne Taschenuhr meines Großvaters? Möge sie nur noch die Stunde zeigen, in der sie bei uns geklaut wurde.

Mülheimer Nachbarn passen aufeinander auf 

In einigen Stadtteilen scheinen Einbrecher besonders gerne zuzuschlagen – in Selbeck beispielsweise. Dort finden mobile Einbrecher-Banden „beste Voraussetzungen“ für einen lohnenden Bruch. „Wir sind ein deutliches Zielgebiet“, weiß Rolf Gentges, Vorsitzender des Bürgervereins. „Eine gut situierte Nachbarschaft und viele Fluchtmöglichkeiten.“

Zweimal wurde bei ihm schon eingebrochen, von Nachbarn kennt er ähnliche Geschichten. Daher hatte der Bürgerverein zur Jahreshauptversammlung die Polizei eingeladen. „Wir wollten wissen, wie man sich vernünftig schützen kann.“ Der wohl beste Schutz, weiß Gentges, ist der aufmerksame Nachbar. „Selbeck ist kein anonymes Hochhaus – wir passen aufeinander auf.“ Seit einiger Zeit fahre die Polizei intensiver Streife durch die Siedlungen. Und: „Viele von uns haben Aufkleber mit der Aufschrift ‘wachsamer Nachbar’ in den Fenstern.“

Die Sorge bleibt

Diese abschreckenden Hinweise haben auch Bernd Lüllau und seine Nachbarn in Dümpten aufgehängt. „In unserer Nachbarschaft wurde erst vor einigen Monaten eingebrochen“, sagt der Bürgervereinsvorsitzende. Wegen der Nähe zur A40 sei Dümpten ebenfalls Ziel für Banden. „Aber die Polizei sieht man nun häufiger durch die Straßen fahren.“ Üblich sei es unter den Nachbarn, aufeinander Acht zu geben. „Wenn einer von uns im Urlaub ist, kümmern sich die anderen darum, dass die Mülltonne rausgestellt wird, die Rollos hoch und runter gelassen werden und Licht an und aus gemacht wird“, berichtet Lüllau. Viele hätten bereits aufgerüstet, Türen und Fenster doppelt verriegelt oder Lichtschächte gesichert. „Die Sorge, dass es einen selbst treffen könnte aber bleibt.“