Mülheim. . Mülheims Kämmerer Uwe Bonan mahnt erneut Sparrunden im öffentlichen Nahverkehr an. Die Grenze der finanziellen Belastbarkeit sei überschritten.
Seit 2008 ist das jährliche Minus der MVG (Mülheimer Verkehrsgesellschaft) um zehn Millionen Euro gewachsen. Muss der Kämmerer jetzt die Notbremse ziehen? Die WAZ sprach darüber mit Uwe Bonan.
Nils Hoffmann, Sprecher von MVG und Via, sagt: Bekäme der Verkehrsbetrieb nicht mehr Geld, gingen die Leistungen – also für Kunden – weiter runter. Kann die Stadt dafür noch mehr ausgeben oder wird dort schon Geld verbrannt?
Uwe Bonan: Unsere finanzielle Belastbarkeit beim ÖPNV ist bereits überschritten. Wir zahlen in 2015 für den laufenden Betrieb einen Zuschuss an die MVG von rund 34,9 Millionen Euro. Die Verschuldung der MVG steigt kontinuierlich – bald 233 Millionen Euro. In den nächsten Jahren stehen mindestens Gesamtinvestitionen von rund 150 Millionen Euro an. Davon gehen etwa 66 Millionen Euro in die Schienenwege, wie Fahrleitung, Gleise, Signaltechnik/Streckenausrüstung. Es ist eine grundlegende Neuausrichtung des Mülheimer ÖPNV erforderlich, da hohe und ständig steigende Zuschüsse sowie gigantische Investitionen nicht finanzierbar sind. Aber Nahverkehr ist Teil der Daseinsvorsorge, so dass es dabei nicht um die Einstellung oder Einschränkung des ÖPNV geht. Ich gehe davon aus, dass das von der Politik in Auftrag gegebene Gutachten zur mittel- bis langfristigen Investitionsstrategie im schienengebundenen ÖPNV entsprechende Handlungsempfehlungen unterbreitet. Dazu gehört auch, dass sich Bund und Land nachhaltig an Erneuerungs- und Ersatzinvestitionen beteiligen. Bisher wurden neue Anlagen stark gefördert (z.B. U-Bahnen mit Infrastruktur in der Regel mit 90 Prozent); mit den Folgekosten stehen jetzt die Kommunen allein da.
Ist die MVG, gemessen an vergleichbaren Unternehmen, zu teuer?
Bonan: Ich habe mehrfach als Orientierung auf Zahlen anderer Verkehrsunternehmen hingewiesen – zuletzt in meiner Haushaltsrede am 25. September 2014. Demnach ist die MVG in den Kosten pro Kilometer und pro Einwohner in der Spitzenklasse; leider im negativen Sinne.
Wäre es nicht günstiger, die Reparatur von Straßenbahnen an eine Nachbarwerkstatt zu vergeben?
Bonan: Im Via-Verbund bestehen einheitliche Verrechnungspreise, Kosten wären identisch. Die U-Bahn-Fahrzeuge werden schon in Essen und Bahnen der Linie 901 in Duisburg repariert. Oberhausen hat keine Straßenbahnwerkstatt. Im Via-Verbund ist ein Werkstattkonzept vorgesehen, das unter anderem zu Kostenreduzierungen führen soll.
Wie hoch sind die Folgekosten für U-Bahn-Tunnel. Gibt es Vergleiche mit anderen Betriebsgesellschaften?
Bonan: Allein der Unterhaltungsaufwand für die U-Bahnhöfe ist drei Mal so hoch wie das von Mülheim zu finanzierende Flughafendefizit. Für Reinigungs- und Unterhaltungsaufwand für Aufzüge und Fahrtreppen fallen rund 850, 000 Euro im Jahr an.
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Wo muss die MVG sparen: bei Fahrern, Reparateuren und Putzkolonnen oder eher in Büroabteilungen (Einkauf, Fahrtplanern, Zwischenführungsebenen usw.)?
Bonan: Im Hinblick auf eine grundlegende mittel- bis langfristige Neuausrichtung müssen alle Systeme und Prozesse sowie die Infrastruktur betrachtet und bewertet werden. Dabei darf es keine Tabus geben. Das gilt für die Beförderungsgefäße, die Verwaltung, die Werkstätten, die Parallelverkehre zum Schienennetz, die Haltepunktdichte, Taktfrequenzen u.s.w. – den Konsolidierungsschwerpunkt sehe ich allerdings nicht beim „Fahrpersonal“. Beizubehalten sind in jedem Fall die Verbindungen zu den Nachbarstädten.
Kann ein Kämmerer mit der belegbaren, schwachen Leistung der MVG zufrieden sein?
Bonan: Die Frage ist sehr pauschal und kann daher nur pauschal beantwortet werden. Bei einem Zuschuss in 2015 von 34,9 Millionen Euro (Ergebnis 2014: 32,9 Millionen Euro) passen Input und Output nicht zusammen.
Kann die MVG vorgegebene Ausgabenziele halten?
Bonan: Ich erwarte von der MVG, dass ein Tableau mit Konsolidierungsvorschlägen vorgelegt wird, mit dem die politisch vorgegebenen Finanzziele erreicht werden. Die abschließende Entscheidung über die umzusetzenden Maßnahmen muss allerdings im Wesentlichen die Politik treffen.
Was erwartet der Kämmerer vom beinahe verordneten Via-Zusammenschluss?
Bonan: Via hat operativ im Jahr 2010 die Geschäftstätigkeit aufgenommen. Basis waren entsprechende Ratsbeschlüsse in Duisburg, Essen und Mülheim an der Ruhr. Zielsetzung der interkommunalen Kooperation ist u.a. Angebot und die Qualität im ÖPNV zu erhalten sowie die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit zur Entlastung der kommunalen Haushalte. Die Ziele sind leider nicht erreicht, so dass nun mit Nachdruck an der Zielerreichung gearbeitet werden muss. Dabei muss ein pünktlicher, sicherer, nachfrageorientierter und wirtschaftlicher ÖPNV im Vordergrund stehen. Persönliche Empfindlichkeiten und Ideologien müssen dabei in den Hintergrund treten. Es bedarf eines Kulturwandels, bei dem der Kunde im Mittelpunkt steht und die Zuschusshöhe endlich ist.