Mülheim. . Beat-Urgesteine treffen auf Synthie Pop im Gemäuer von Schloß Broich in Mülheim: „The Lords“ und „Alphaville“ werden vom Publikum gefeiert.
Rund 1850 Besucher rockten am lauen Samstagabend bei „The Lords“ und der Synthie-Pop-Gruppe „Alphaville“ auf der Ruhrbühne mit. Bereits am Freitagabend waren die „Heimathelden“ mit vier lokalen Bands vor rund 500 Besuchern im lauschigen Broicher Schloßhof an den Start gegangen.
„Forever Young“ hätte auch das Motto für die Ruhrbühne am Samstag sein können. Nicht nur in Anspielung auf einen Song von „Alphaville“, die man aus der Eiszeit des 80-Jahre-Synthie-Pop wieder auftauen ließ. Das demografisch gewandelte Mülheimer Publikum feierte zu den Beat-Urgesteinen „The Lords“ kräftig ab. Wunderlich war diese Melange aus wenigstens 20 Jahre Musikgeschichte und damit zwei ganz unterschiedlichen Generationen allemal. Dennoch hätte kein weiterer Besucher mehr in den Broicher Schloßhof gepasst – das Konzert war restlos ausverkauft.
Ein dickes Pfund Partystimmung
„Alle so jung hier“, witzelte Lord-Gitarrist Leo Lietz, Jahrgang ‘43. Wer jedoch angesichts der schlohweißen Schüttelmähnen auf der Bühne und davor gleich an Rock’n Rollator dachte, war offenkundig asymmetrisch onduliert. Die Lords servierten auch 56 Jahre nach ihrer Gründung musikalisch satte Rock- und Blues-Klassiker wie Boom-Boom (John Lee Hooker) und Route 66, verspeisten Spirituals wie „Over in the Glory Land“ im Rock-Mantel, und legten sogar nach guten anderthalb Stunden mit einer verbesserten Variante von „Poor Boy“ noch einmal ein dickes Pfund Party-Stimmung nach. Fast zu gut für eine „Vorband“ - da stand keiner mehr still.
Nächstes Wochenende: Burgfolk-Festival
Weiter geht’s im Schloß Broich schon am kommenden Wochenende: 14. und 15. August werden die Sackpfeifen, Schalmeien und Zimbeln entstaubt, wenn das „Burgfolk“ Audienz hält.
Diesmal u.a. dabei: Tanzwut, Russkaja und Heimataerde. Die übrigens haben nichts mit dem Stadtteil an der Filzkrempe. Info: www.muelheim-ruhr.de
Wieso dann „verbessert?“ Nun ja, bekanntermaßen lautet eine kuriose Songzeile „My mother worked each day, and she learned me to say“, was getreu so viel wie „und sie lernte mich zu sagen“ heißt. „Taught“ also „lehrte“ singt Gitarrist Leo Lietz heute sprachlich korrekt, was dokumentiert, dass Lehr- und Lernfähigkeit im besten Alter durchaus möglich ist.
Stillstand hat es hier nicht gegeben
Die Latte hatten die Dienstherren des Rock also verflixt hoch gelegt für die nachfolgende Generation des Synthie-Pop, die immerhin gut 35 Jahre auf dem Buckel hat. Stillstand hat es auch hier nicht gegeben, denn so vollsynthetisch wie einst klingen Alphaville heute selbst bei ihren frühen Hits wie „Big in Japan“ und „Sounds like a Melody“ nicht mehr.
Der sterile Elektro-Songbaukasten der New-Wave-Generation ist um echtes Schlagzeug, Bass und Gitarre erweitert worden. Die glattrasiert-androgyne Figur von Sänger Marian Gold, der einst etwas verschämt auf der Bühne rumlümmelte, ist deutlich über sich hinausgewachsen und trägt Vollbart. Gold rudert mit den Armen, ballt theatralisch die Fäuste und sucht den Kontakt zum Publikum. Alphaville klingen und wirken heute protziger, aber auch greifbarer.
Überraschend unverändert ist dagegen die unverwechselbare Stimme von Frontmann Gold (61). Die muss man zwar mögen – doch selbst die hartgesottenen Beat-Fans hielten das offenbar problemlos aus. Es wurde eine lange Nacht mit viel Applaus zum Ende. Das ungewöhnliche Experiment aus New Wave und Rock, es ist der Ruhrbühne geglückt.