Düsseldorf/Mülheim. . Nezet S. (22) aus Mülheim ist als Terrorist angeklagt. Er soll mit dem IS gekämpft haben. Doch vor Gericht spricht er von ganz anderen Dingen, die ihn lockten.

Sie nennen ihn den „Salafisten von Mülheim“. Ein Terrorist aus dem Ruhrgebiet, der in Syrien gekämpft und „schwere staatsgefährdende Gewalttaten“ vorbereitet haben soll.

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Und dann sitzt im Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf dieser 22-Jährige und sagt, es seien die „schönen Landschaften“ gewesen, die ihn lockten. Bilder von Männern, die beisammen sitzen und singen. Und das Versprechen seines Mittelsmanns: „Du kannst dort immer ausschlafen.“

Ein Jahr später in Deutschland macht Nezet S. keinen besonders ausgeschlafenen Eindruck, „aufgeregt“ sei er „vor so großer Kulisse“, sagt sein Anwalt Eberhard Haberkern aus Essen. Breitschultrig sitzt er zwar da, in Jeans und grünem Polohemd, die Haare seitlich geschoren, blickt aufmerksam durch seine Brille – kann aber selbst entlang geduldiger Nachfragen seine eigene Geschichte nicht erzählen.

Wenn sie stimmt, geht sie ungefähr so: Ein in Deutschland geborener Sohn kosovo-albanischer Eltern schafft am Berufskolleg den Hauptschulabschluss Klasse 9, aber weiter will es einfach nicht gehen.

Er fällt auf durch Diebstähle, Körperverletzung und an seiner Schule plötzlich dadurch, dass er Korane verteilt, fünfmal täglich betet, nachmittags lange Gewänder trägt und sich einen Bart wachsen lässt. Fingerbreit nur, aber das, sagt er, lag daran: „Ich habe keinen guten Bartwuchs.“

Er beruft sich auf die Säulen des Islam, kennt sie aber nicht

Die Schule muss er nach angeblicher Agitation schließlich verlassen. Kein Jahr hat es gedauert, da ist aus einem Moslem, der „nicht mal das Glaubensbekenntnis“ kannte, ein radikaler Islamist geworden.

Warum? Von einem „jungen Mann, der Sinn im Leben gesucht hat“, spricht Verteidiger Haberkern. S. selbst hat nicht wirklich eine Antwort. Da waren diese jungen Männer, Koranverteiler in Essen, die ihm beibrachten, „wie man betet“, „was man alles machen muss“ für Allah: um Reue bitten zum Beispiel für die Straftaten, „Menschen unterstützen, die in Not sind“ – er meint „die Brüder“ in Syrien.

Auf die „Fünf Säulen des Islam“ beruft sich der 22-Jährige, kann sie aber nicht nennen. Auf die Scharia, deren Gesetze er aber nicht kennt – oder eklig findet: „Man hat mir gesagt, dass es Gottes Gesetz ist, anderen den Kopf abzuschneiden.“ Ob er das Gefühl habe, „dass Sie überhaupt viel wussten?“, fragt die Vorsitzende des 6. Strafsenats, Barbara Havliza. „Nein, um ehrlich zu sein. Ich weiß, dass man kämpfen muss.“

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Dafür schließlich zog der junge Mann in den Krieg, das immerhin wusste er wohl. Sterben indes habe er nicht gewollt, eigentlich. „Aber viele Frauen wollt’ ich haben.“ Und eine „Verpflichtung erfüllen“, „den Brüdern helfen“, dafür buchte er von seinem Ersparten einen Flug in die Türkei.

Via Facebook hatte ein Mittelsmann ihm vorgeschwärmt von Syrien, ihm Anweisungen gegeben: Hotel, Telefonnummern, Bus über die Grenze. Nur dort: gab es während des Abendessens plötzlich Gefechte, anderntags einen Panzer zu sehen, mit Einschusslöchern und blutverschmiert.

„Ich wollte einfach nur ein Held sein“

Da plötzlich will es Nezet S. aufgegangen sein: „Ich wär’ dann tot mit meinen 21 Jahren, könnte meine Familie nicht mehr sehen.“ 16 Tage blieb er noch, ging nach seiner Aussage täglich schwimmen, dann setzte man ihn in einen Bus.

Irgendwo holten ihn seine Eltern ab, zurück nach Mülheim. „Er hat sich abgewandt, als er sah, was dort wirklich abgeht“, sagt sein Anwalt. Und dass man „nicht mit der Keule auf Leute hauen“ dürfe, „die zurückkommen, sich distanzieren“.

Nur bezweifelt Letzteres der Bundesanwalt: Die Polizei beobachtete den Heimkehrer noch einen Monat, bevor sie zugriff. Sie soll auch Fotos haben und „nicht so schöne Filmchen“, wie Richterin Havliza sagt, die Nezet S. in Kampfuniform zeigen, mit Waffe und auch der schwarzen Flagge des IS. Alles nur Schau? Das wird das Gericht bis mindestens September zu klären haben.

Auch, ob stimmt, dass dieser junge Mann einmal mehr an sich selbst scheiterte: „Ich wollte einfach nur ein Held sein.“