Centigrade entwickelt Lösungen für Maschinenbau-Unternehmen. Dabei helfen viele Kompetenzen aus der Welt der Spieleentwickler, die oft die führenden Softwareexperten sind. Das Konzept funktioniert

Auf der Fensterbank des Besprechungsraumes der Centigrade GmbH ist aus Legosteinen eine kleine Szene aufgebaut. Schaut man genauer hin, erkennt man, dass es sich um einen Produktionsablauf aus der Industrie handelt. Zwei Personen stehen am Band, wobei von mehreren kleineren Bändern die Bestandteile für das Produkt kommen. Die Szene hat hier niemand zum puren Zeitvertreib zusammengesetzt. Es ist Teil eines Auftrages. Die kreativen Köpfe, die seit fünf Jahren in der Games Factory sitzen, sollten helfen die Betriebsabläufe zu optimieren. „An diesem Modell kann man in wenigen Augenblicken ganz unterschiedliche Situationen durchspielen“, sagt Standortleiter Jörg Niesenhaus. Die Kreativen fanden schließlich auch eine gute Lösung, die sie ihren Auftraggebern schon am Modell verdeutlichen konnten. Klingt spielend einfach.

Kontakte zur Wissenschaft

Der 36-Jährige ist ein Experte für das, was in den letzten Jahren unter dem Schlagwort Gamification bekannt geworden ist. Gemeint ist damit die Frage, wie die traditionelle Industrie von den Methoden und Erfahrungen der Spieleentwickler profitieren kann. „Der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er spielt“, das schrieb Friedrich Schiller schon in den Briefen zur ästhetischen Erziehung im ausgehenden 18. Jahrhundert. Niesenhaus ist gefragt, referiert an der Uni in Würzburg ebenso wie beim Wirtschaftsverband. Frankfurt-Köln-Leipzig lauteten in diesen Tagen seine Stationen. Kontakte gibt es sowohl mit der Hochschule Ruhr West wie mit der Uni Essen-Duisburg, an der Niesenhaus studiert und promoviert hat. „Das ist schon allein zur Nachwuchssicherung wichtig“, sagt er.

Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften nannte sich sein damals zukunftsweisender Studiengang, der eine Mischung aus Psychologie und Informatik bot. Später war der gebürtige Essener im Team der Spieleentwickler Blue Byte, der 1988 in einem Hinterhof an der Eppinghofer Straße gegründeten Spielerentwickler, der „Der Siedler“-Serie Furore machte.

Spieleentwickler helfen der Wirtschaft

Die Idee, der Wirtschaft mit den Erkenntnissen der Spieleentwickler auf die Sprünge zu helfen, boomt. Centigrade wurde vor zehn Jahren in Saarbrücken gegründet, vor fünf Jahren kam Mülheim dazu, dann Frankfurt. Demnächst soll die Belegschaft in Mülheim von sieben um zwei bis drei Mitarbeiter aufgestockt werden, dann steht ein Umzug an – auf eine größere Fläche im Erdgeschoss. Weiterhin das stimulierende Umfeld der Games Factory zu nutzen, ist Niesenhaus wichtig. Hier unterstützen sich die Firmen gegenseitig mit Know How. Das Spielerische schien in Deutschland lange Zeit zu unseriös für die Arbeitswelt, erzählt Niesenhaus. Spaß kann man in der Freizeit haben.

Das galt auch für die Benutzerfreundlichkeit von Geräten. Das ist Arbeit, das muss nicht angenehm zu bedienen sein, lautete, zugespitzt formuliert, lange die Devise. „Apple hat mit seinen Touchscreens, die intuitiv verständlich sind, viel bewegt und ein Anspruchsdenken geweckt.“ Und auf diese Plausibilität komme es auch immer wieder bei den Spielen an. Spieleentwickler müssen den Spieler in einem Fluss halten. „Das Niveau muss langsam steigen, ohne ihn zu über- oder zu unterfordern“, erklärt er die Herausforderung, die richtige Balance zu finden. Wer hat nicht schon bei der Inbetriebnahme eines Fernsehers kapitulieren müssen oder sich über den umständlichen Weg beim Lösen einer Bahnkarte geflucht.

3D bietet viele Möglichkeiten

„Spieleentwickler waren in vielen Dingen ein paar Jahre schneller in der Software-Branche“, sagt Niesenhaus. Drei-Dimensionale Darstellungen waren wichtige Punkte, bewegte Bilder und die Reduzierung auf einfache Symbole. Visualisierung ist für Spiele ganz wichtig. Heute ermögliche eine gute 3-D-- Darstellung viele Möglichkeiten durchzuspielen und den finanziellen Aufwand gering zu halten. Geld sparen, macht jedem Spaß. Wichtige Kunden kommen aus dem Maschinenbau. Wenn durch gute Software bei der Inbetriebnahme der Wartungsmechaniker überflüssig wird, sei das ein starkes Argument.

Motivation ist ein weiterer Aspekt. Durch Punkte könne der Wettbewerb in einer Fertigung stimuliert werden. Wichtig ist Niesenhaus zweierlei: finanzielle Anreize dürfen dabei keine Rolle spielen und die Leistung eines Teams darf nicht auf die eines Einzelnen zurückgeführt werden, um ihn nicht unter Druck zu setzen. Bei einer Punktebewertung beraten die Teams, was besser laufen könnte und entwickeln Ideen zur Optimierung der Abläufe.

Ganz ernst geht es auch Centigrade nicht zu. Bei Denkblockaden verschanzen sie sich hinter ihren Bildschirmen, greifen zur Nerf-Gun und feuern Schaumstoff-Geschosse auf die Kollegen. Toben macht eben schlau. Das gilt auch für Pazifisten.