Mülheim. Flüchtlinge und Bürger müssen miteinander in Kontakt kommen, nur Begegnung kann Ängste abbauen, finden Teilnehmer einer Podiumsdiskussion im Altenhof. Asylsuchenden müsse man ein Zuhause bieten. Das ehrenamtliches Engagement in Mülheim sei „wunderbar“.
Das Thema ist aktuell, das Interesse groß. Über die Frage, ob die Flüchtlinge, die derzeit vermehrt auch nach Mülheim kommen, hier auch „ankommen“, diskutieren Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Sozialdezernent Ulrich Ernst, Superintendent Helmut Hitzbleck und Stadtdechant Michael Janßen auf Einladung des Kolpingwerks (Bezirksverband Mülheim) mit mehreren Hundert Gästen im Altenhof (Moderation: Stefan Falkenberg).
Zwei Sätze, die die Landeschefin im Laufe des Gesprächs formuliert, würde hier wohl jeder unterschreiben: „Keiner verlässt sein Land einfach so, ohne dass er gewichtige Gründe hat“ und „Andere sind nur dann anders, wenn man sie nicht kennt“. Kontakte herzustellen zwischen Flüchtlingen und Mülheimer Bürgern, das sei das A und O, um Angst und Vorbehalten auf beiden Seiten, vor allem aber bei den Mülheimern, abzubauen. „Nur dann kann sich bei den Menschen auf der Flucht auch ein Gefühl von Zuhause entwickeln“, meint Superintendent Helmut Hitzbleck. Denn: „Menschen, die dem Fegefeuer entronnen sind, kann man nicht sagen: Das Boot ist voll. Das ist aus christlicher Sicht inakzeptabel."
Große Hilfbereitschaft in Mülheim
868 Flüchtlinge leben derzeit in Mülheim - zumeist in Wohnungen, aber auch in Gemeinschaftsunterkünften wie an der Gustavstraße. Dort „läuft es“ laut Ulrich Ernst gut. Die Stadtgesellschaft – nicht nur in Styrum – reagiere insgesamt positiv auf die Asylsuchenden. Dass sich so viele Mülheimer ehrenamtlich engagieren für die Flüchtlinge – etwa in der Initiative „Willkommen in Mülheim“ – sehen nicht nur die Diskutierenden auf dem Podium mit Freunde und ein wenig Stolz.
Als „Wunder von Mülheim“ ist diese Hilfsbereitschaft in den überregionalen Medien bezeichnet worden. Erstmals habe es sich bei der Unterbringung von Flüchtlingen im Hildegardishaus in Broich gezeigt, die so gut funktioniert habe, meint der Stadtdechant. Schon haben sich an die 25 Bürger gemeldet, die in der neuen Unterkunft am Fünter Weg mithelfen wollen, vermeldet der Sozialdezernent.
Die Krisenherde in der Welt werden vorerst wohl nicht abnehmen, die Zahl der Flüchtlinge wird weiter zunehmen. Etwa 320 weitere Menschen sollen bis Ende des Jahres noch nach Mülheim kommen. „Bis dahin werden wir auf die Unterbringung in Containern wohl verzichten können, danach wird es eng“, betont Ulrich Ernst. Den Kommunen würde (zu) viel aufgebürdet. „Wir müssen die Flüchtlingsfrage als gesamtgesellschaftliche Aufgabe auffassen“, sagt auch Hannelore Kraft, die hier im Altenhof den Schulterschluss mit den Kommunen sucht und den Bund viel mehr „in die Pflicht genommen“ sehen will.
Bund in die Pflicht nehmen
„Land und Kommunen müssen gemeinsam Druck machen“, findet die Ministerpräsidentin. Weil die Asylanträge vom Bundesamt für Migration nur langsam bearbeitet würden (200.000 unbearbeitete Fälle), sei immer mehr Platz für Flüchtlinge notwendig, Kommunen und Land würden die Kosten aufgebürdet. „Wenn Verfahren länger als drei Monate dauern, müsste der Bund zahlen. Das gilt für Asylsuchende und für geduldete Menschen.“ Komplett übernehmen sollte dieser auch die Gesundheitskosten.
Gut ankommen – das habe auch etwas mit Beschäftigtsein zu tun. Das größte Problem der Asylsuchenden, die nicht arbeiten dürfen, ist nach Meinung eines Vertreters Mülheimer Flüchtlingsrates die Langeweile. „Könnten die Flüchtlinge nicht Wohnungen bauen?“, so seine Idee. Zentral sei der Sprachunterricht – darin sind sich alle einig. Die Landesregierung müsse jetzt eruieren, ob es genug Materialien gebe, so Kraft. Alte Computer für die Flüchtlinge bietet ein Vertreter einer Hilfsorganisation an. Praktikumsplätze und Patenschaften für junge erwachsene Asylsuchende fordert eine Lehrerin. „Für diese Gruppe gibt es nichts, dabei sind die Jugendlichen hochmotiviert.“ „Wir denken gemeinsam mit Pia, Diakonischem Werk und Berufsbildung darüber nach, wo und wie wir Beschäftigung realisieren können“, so Ernst. Das gelte auch für den Freizeitbereich. Kraft appelliert an die heimische Wirtschaft, mitzuhelfen.
Eine europäische Flüchtlingspolitik, mahnt sie an, aber auch ein Verantwortungsbewusstsein bei den Deutschen. „Wir sind wirtschaftlich stark, unser Kernproblem ist der Nachwuchsmangel. Die Menschen, die kommen, können wir gebrauchen“, sagt sie. Unkommentiert bleibt der Hinweis einer Zuhörerin auf den Zusammenhang von Flucht -Krieg-Waffenlieferungen. Wie man dem Flüchtlingsproblem (weltweit) perspektivisch entgegentreten könne – diese Frage bleibt offen ...