Mülheim. Das Bistum Essen lud zum Neujahrsempfang in „Die Wolfsburg“. Bischof Frans-Josef Overbeck forderte einen kritischen, religiösen Diskurs. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hob die Solidarität der Menschen hervor.
Die Begrüßung war herzlich: Bischof Franz-Josef Overbeck empfing Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit einem langen Händedruck zum Neujahrstreffen des Bistums Essen in der Wolfsburg. Es war nicht das erste Mal, dass die Ministerpräsidentin in die Katholische Akademie kam. Diesmal aber war sie Gastrednerin. Vor 500 Vetretern aus Kirche, Wirtschaft, Kultur, Bildung, Medizin sprach sie über „Alte Werte und neue Chancen“ im Ruhrgebiet, auch im Blick auf die Willkommenskultur in NRW. Der zentrale Wert des Ruhrgebiets, das durch die Zuwanderung einst stark geworden sei, „ist die Solidarität“, die historisch durch die 100-jährige Industriegeschichte gewachsen sei. „Unter Tage hing das Leben des Bergmanns von der Arbeit des anderen ab“, erinnerte Hannelore Kraft. Auch heute sei NRW noch immer solidarisch – auch gegenüber Flüchtlingen. Sie dankte den Bürgern, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. „Der Staat und die Kommunen können nicht alles machen. Wir brauchen die Bürger. Dafür einen herzlichen Dank.“ Die Ministerpräsidentin betonte auch: „Die Millionen Muslime, die hier leben, haben nichts mit den wenigen radikalen Islamisten zu tun“.
Wahre Gründe
Auch Bischof Franz-Josef Overbeck unterstrich in seiner Rede: „Unsere muslimischen Mitbürger sind in ihrer übergroßen Mehrheit genauso wie wir, genauso säkular, genauso fromm, rechtstreu, kinderlieb, sie achten und stützen die Strukturen unseres freiheitlichen Gemeinwesens und sind verlässliche Kollegen. Wir gehören mit ihnen und vielen anderen zusammen.“ Die Gäste applaudierten. Der Bischof fand den richtigen Ton: „Betroffen“, so sagte er, „stehen wir vor den Bildern der Fratze eines kriminellen Terrors, der nicht mehr nur global operiert, sondern direkt bei uns vor Ort zuschlägt, der sich dabei in perfider Weise auf Religion beruft, großes menschliches Leid verursacht und Spaltpilze in die Gesellschaften eintragen will.“
Die wahren Gründe für Fundamentalismus und Extremismus liegen für den Bischof in sozialer Ausgrenzung, Chancenlosigkeit in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt, in Perspektivlosigkeit. Religiöse Bezüge seien nur vorgeschoben. „Neid und Missgunst, Angst vor Überfremdung und dem Anderen, Freund-Feind-Denken und Abschottungsgelüste entstehen dort“, so Overbeck, „wo Entwicklungspotenzial im Bereich des Sozialen, der Bildung und des wirtschaftlichen Aufstiegs nicht realisiert werden können.“ Overbeck warb für eine offene Kirche in einer offenen Gesellschaft und nannte die Schulen, die Gemeinden, aber auch die „Wolfsburg“ als Orte für einen kritischen religiösen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Diskurs.
Auch die Ministerpräsidentin appellierte: „Wir brauchen Bürger, die in christlicher Nächstenliebe unterwegs sind.“ Wie in früheren Jahrzehnten gelte es auch heute, die Potenziale der Zuwanderer zu erkennen, ohne die Probleme zu verschweigen. Damit dies zum Erfolg führt, sei Bildung wichtig. Das Leitmotiv „Kein Kind zurück lassen“ gelte für alle. Dass 20 Prozent der Jugendlichen ohne Abschluss die Schule verlassen, sei nicht tragbar. Allen eine gute Perspektive zu geben, gehöre auch zur Solidarität.