Mülheim. . Im Durchschnitt sind sie 90 Jahre alt, die Mitglieder des Krippenspiel-Ensembles im Wohnpark Dimbeck. Lampenfieber vor dem Auftritt haben sie dennoch.

Seit Christi Geburt sind laut Überlieferung zweitausendundvierzehn Jahre vergangen. Zu behaupten, das Krippenspiel-Ensemble im Wohnpark Dimbeck habe die meisten davon selbst miterlebt, ist zwar stark übertrieben. Doch auf überaus reiche Weihnachtserfahrung können die vier Darstellerinnen und drei Darsteller zurückblicken.

Das jüngste Mitglied der hauseigenen Theatertruppe der sogenannten „Senioren-Residenz“ ist 83, der Älteste 95 Jahre alt. Zusammen sind sie 628, was einem Altersschnitt auf der Bühne von nahezu neunzig Jahren entspricht.

Die Jungfrau Maria, gespielt von der 92-jährigen Ilse Haupt, macht da keine Ausnahme: Still betrachtet sie die Babypuppe, die vor ihr auf dem Strohballen schlummert. Andächtig sieht es aus., vielleicht weckt das künstliche Kindlein echte Erinnerungen in ihr. Schließlich sitzt hier im Rollstuhl, unter dem blauem Kopftuch, eine Frau, die selber drei Mädchen zur Welt gebracht hat, das erste vor über 64 Jahren.

Marias älteste Tochter ist 64

Svenja Ester, die die wöchentlich probende Theatergruppe betreut, gibt vorsichtige Regieanweisungen an die Adresse von Maria und Josef, den der 95-jährige Bruno Schmolla spielt: „Ihr könntet euch verliebt anlächeln und euer Kind streicheln.“

Es ist ja erst die Generalprobe des diesjährigen Krippenspiels, noch können die frischgebackenen Eltern und der abweisende Herbergswirt, die beiden Hirtinnen, der Erzähler und die himmlische Botin ihre Texte üben, an ihrem Auftritt etwas feilen.

Geprobt wird teils in Pantoffeln

Spürbar hat das Lampenfieber einige Darsteller fest im Griff, was vielleicht auch an dem professionellen Drumherum liegt. Die Senioren-Residenz an der Dimbeck verfügt über einen Theatersaal, der diesen Namen tatsächlich verdient: mit Licht- und Tontechnik, 110 Sitzplätzen in ansteigenden Reihen, geräumiger Bühne und elektrisch gesteuertem Vorhang. Über den mit gebeugten Schultern dasitzenden Krippenspielern schwebt eine Leinwand, auf der Fotos aus dem Heiligen Land eingeblendet werden oder die Strophen klassischer Weihnachtslieder, um die Aufführung abzurunden.

Geprobt wird teils in Pantoffeln, aber beim Auftritt soll es stilecht zugehen, dafür sorgt Gabriele Ostwald, Tochter einer Bewohnerin, die schlichte Kostüme gestaltet hat. Wenn Menschen in biblischem Alter die Weihnachtsgeschichte spielen, sind der historischen Korrektheit natürliche Grenzen gesetzt. So erreicht Maria nicht auf dem Eselsrücken, sondern im Rollstuhl den imaginären Stall. Neben den Hirtinnen parkt ein Rollator, auf Brillen und Hörgeräte kann beim Krippenspiel nicht verzichtet werden, auch tritt dabei niemand in leichten Sandalen auf.

Flügelpaar aus Watte

Johanna Krizak, eine der insgesamt zwei Hirtinnen, sagt: „Ich musste die Texte vom Hören lernen, weil ich leider nicht mehr selber lesen kann.“ Ihr verlorenes Augenlicht hält die 94-Jährige nicht vom Theaterspielen ab. Elsbeth Kohlmann, die den Engel darstellt, trägt ein Flügelpaar aus Watte und ein weißglänzendes Kleid zum natursilbernen Haar. Sie sieht ihrem neunzigsten Weihnachtsfest entgegen und verkündet der Maria, deren Beine sie nicht mehr tragen, die frohe Botschaft. Ein bewegendes Bild.

Wen man in der weißhaarigen Runde auch fragt: Alle scheinen sich auf die nahen Feiertage zu freuen, mit Kindern, Kindeskindern, Anhang. Aber auch etwas Wehmut klingt an, wenn etwa Elsbeth Kohlmann, der Engel, spricht: „Man denkt schon an die alten Zeiten, als noch alle zusammen waren.“ Ein Gefühl, das für viele zu Weihnachten gehört – längst nicht nur für Neunzigjährige.