Mülheim. Harry Kirchwehm kann mit seiner Erkrankung leben, nicht aber mit der Ausgrenzung und der Tabuisierung. Er geht sehr offen mit seiner Erkrankung um.

„Positiv zusammen leben“ – so lautete die Kampagne zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Und genau das wünscht sich auch Harry Kirchwehm. Der 37-jährige Mülheimer ist seit über elf Jahren HIV-positiv. Als er es erfahren hat, arbeitete er bei der Bundeswehr und auch der Test wurde von einem Bundeswehrarzt durchgeführt.

„Da schon damals die Diagnose kein Todesurteil war, war die Angst vor sozialer Ausgrenzung und Kündigung durch meinen Arbeitgeber viel größer, als vor der Krankheit an sich“, sagt Harry Kirchwehm. „Auch vor dem Verlust von Freunden habe ich mich wahnsinnig gefürchtet.“ Deshalb findet er das Motto des diesjährigen Welt-Aids-Tages auch als maßgeblich wegweisend. Der erste Test, den Kirchwehm machen ließ, war zunächst negativ.

Aber ihm war klar, dass der zweite Test, der wenige Wochen später durchgeführt worden ist, positiv sein würde. „Mein Körper hat von Anfang an extrem stark reagiert – auch wenn das Virus im Blut noch gar nicht nachweisbar war“, erinnert sich der 37-jährige, bei dem heute dank einer guten Therapie die Viren unterhalb der Nachweisgrenze liegen und er somit als nicht ansteckend gilt. „Das ist ganz unterschiedlich. Manche Menschen merken es gar nicht und schleppen das Virus jahrelang unentdeckt mit sich rum.“

Wie Harry Kirchwehm geahnt hatte, kam kurze Zeit später das positive Ergebnis und damit die befürchteten Konsequenzen. Aufgrund der Infektion erfüllte er bei der Bundeswehr keinen Tauglichkeitsgrad mehr und wurde nicht als Berufssoldat übernommen. Auch die Reaktion seiner Eltern überraschte ihn nicht wirklich. „Seit meinem Outing war unser Verhältnis sowieso etwas angespannt“, sagt Harry Kirchwehm. „So werden Themen wie meine Homosexualität und meine Infektion eher totgeschwiegen.“ Für den jungen Mann, der sehr offen mit seiner Erkrankung umgeht und schon lange in der „positiven Selbsthilfe“ aktiv ist, eine sehr verletzende Erfahrung.

Freunde und Selbsthilfegruppen unterstützen

Aufgefangen haben ihn gute Freunde und Selbsthilfegruppen. Dort gibt es Menschen, die sein Schicksal teilen. Sie können nachvollziehen, was in ihm vorgeht. „Aber jeder hat seine ganz individuelle Geschichte“, so Kirchwehm. „Manche werden von Eltern und Freunden unterstützt, haben aber aufgrund der HIV-Infektion ihren Job verloren. Andere hingegen leiden stark unter der sozialen Ausgrenzung.“

Letzteres ist es auch, was Harry Kirchwehm durch seine Arbeit bekämpfen möchte. Nach seinem Ausscheiden bei der Bundeswehr studierte er Erziehungswissenschaften und hat heute einen Job im Bereich der schwul-lesbischen Jugendarbeit. Auch durch seine Arbeit in der „positiven Selbsthilfe“ hofft Kirchwehm, das Phänomen der Angst – das mit dem Thema HIV und Aids behaftet ist – ein Stück weit zu bekämpfen. „Es müsste viel mehr in Sachen Antidiskriminierungsarbeit getan werden“, sagt Harry Kirchwehm. „Irrationale Ansteckungsängste müssen abgebaut werden, damit man vorurteilsfreier die Menschen mit HIV so akzeptiert wie sie sind.“

Dazu sei auch ein Umdenken größerer Institutionen, wie der Aids-Hilfe nötig. „Wir müssen zumindest bei uns in Deutschland weg von diesem Drama um HIV und Aids. Weg vom Mitleid mit den armen Betroffenen hin zu einer Unterstützung positiver Menschen zu einem mit Freude erfüllten Leben.“ Dabei sei Kommunikation alles. Nicht tabuisieren, sondern darüber reden.