Mülheim. Die Gewalt gegen Polizisten hat eine neue Dimension angenommen, beklagen nicht nur Gewerkschaftsvertreter. Auch in Mülheim werden Polizisten immer öfter bei Einsätzen in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit dem Thema.
Die Ereignisse des rechtsextremen Hooligan-Aufmarsches in Köln sitzen den Beamten noch tief in den Knochen. 14 Polizisten aus Essen/Mülheim wurden bei dem Einsatz verletzt. Am Wochenende hatte am Hauptbahnhof in Essen ein Fortuna-Fan einen Polizisten bewusstlos gewürgt. Meldungen wie diese und eine Studie des NRW-Innenministeriums zeigen: Die Gewalt gegen Polizisten nimmt zu. Dabei sind Demos und Fußballspiele nicht einmal die größten Konfliktherde – verhältnismäßig häufiger knallt es in Fällen von häuslicher Gewalt oder anderen privaten Streitigkeiten. „Fünf bis sechs Mal die Woche kommt es vor, dass Kolleginnen und Kollegen bei Einsätzen in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt werden“, sagt Peter Elke, Sprecher der Polizei Essen/Mülheim.
Nicht selten „werden wir zu einer Prügelei gerufen werden, bei der sich die Kontrahenten gegen die Polizei verbünden. Dann haben sie einen gemeinsamen Feind,“ so Elke. Wenn bei einer Party mal wieder jemand die Musik zu laut aufgedreht hat, ist die Polizei der Buhmann, die auf die Ruhestörung aufmerksam macht. Oft genüge ein kleiner Auslöser, der bei manchem Bürger die Sicherungen durchbrennen lässt. „Persönliche Bedrohungen reichen manchmal bis ins Privatleben der Polizisten hinein.“
Dabei gehe es nicht nur um körperliche Gewalt, sondern auch psychische. Gerade letztere sei nicht zu unterschätzen, sagt Heiko Müller, Vorsitzender der Kreisgruppe der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Essen/Mülheim: „Beleidigungen und Beschimpfungen sind für viele Polizisten an der Tagesordnung. Die Hemmschwelle geht nach unten“, sagt er. Die physische Gewalt sei letztlich nicht nur ein Angriff einzelner Bürger auf die Polizei. „Sie ist ein Angriff auf den Staat,“ so Müller. Oft werde dabei vergessen, „dass hinter jedem Polizisten ein Mensch steht, der Kinder hat, Familie.“
Jeder Einsatz wird analysiert
Die Ergebnisse der landesweiten Studie nahm Polizeipräsidentin Stephania Fischer-Weinsziehr zum Anlass, das Thema zur Chefsache zu erklären. Anfang des Jahres gründete sich eine Arbeitsgruppe mit dem Auftrag, die Facetten der Gewalt gegen Polizisten innerhalb der Behörde Essen-Mülheim detailliert zu dokumentieren. Polizeirat Holger Schepanski leitet das Projekt. Die NRW-Studie setze sich aus vielen Zahlen zusammen. „Wir möchten erfahren, welche Relevanz sie für unsere Behörde hat und welche Erfahrungen die Kollegen bei uns mit Gewalt machen.“ Die Ergebnisse werden noch ausgewertet.
Für die Polizisten ist dies ein erster Schritt in die richtige Richtung – von Politik und Justiz fühlten sie sich im Alltag im Stich gelassen, wie aus der Studie hervorgeht. „Wir möchten ein Klima schaffen, in dem nichts unter den Teppich gekehrt wird“, so Schepanski. Denn mit der eigenen Verletzbarkeit gehe niemand gerne hausieren; zu stark habe sich in den Köpfen der Menschen das Bild von Polizisten als „harten Hunden“ festgesetzt. Die Bürger sehen die Polizei in erster Linie als Repräsentanten des Rechtsstaates und selten als Privatmenschen mit einer Belastungsgrenze. Um aufwühlende Erlebnisse verarbeiten zu können, steht den Polizisten in jeder Behörde ein psychologisch geschulter Kollege zur Seite. Jeder Einsatz wird nachbereitet und analysiert.
Am Ende ihrer Arbeit werden die Beteiligten der Arbeitsgruppe Empfehlungen für die Behördenleitung zusammenstellen. So sollen Risiken bei Einsätzen minimiert werden.