Alt, einsam - und das letzte Geld, die letzte Zuversicht verloren - was müssen diese Menschen durchgemacht haben?
Der erste Anruf: „Hier ist die Kripo - gegen Sie läuft ein Ermittlungsverfahren.“ Dann die Forderung nach der Zahlung einer Geldsumme, um den Fall zu den Akten zu legen. Oder der „amtliche“ Hinweis, dass ein Betrüger oder Erpresser es auf ihn oder sie abgesehen habe - und das Opfer zum Schein darauf eingehen und das machen soll, was verlangt wird. Manchen zahlungsunwilligen Senioren wird am Ende gar gedroht, dass ihnen die Kehle durchgeschnitten, der Kopf abgeschlagen werde.
Anhänger einer skrupellosen Betrüger- und Erpresserbande geben sich als Polizisten und Staatsanwälte aus und arbeiten seit Monaten mit besonders perfiden Methoden, um Senioren in Angst und Schrecken zu versetzen und deren Geld an sich zu reißen. Die Folgen sind fatal: „Das selbstbestimmte Leben ist für diese alten Menschen mit diesen Anrufen oft zu Ende“, sagt Polizeisprecherin Tanja Horn. „Das letzte Vertrauen ist erschüttert.“ Auch das in die Polizei.
Die Täter operieren mutmaßlich in der Türkei, offenbar in einem Call-Center in Izmir. In diese Stadt gingen bisher alle Zahlungen der Opfer ein. Die Essener Ermittler gehen davon aus, dass diese Bande über Telefon-CDs verfügt, die sie von anderen Tätern aufgekauft hat. Rufnummern beispielsweise von Senioren, die vor Jahren mit angeblichen Gewinnspielen am Telefon geködert wurden. Und die nun wieder über den Tisch gezogen und unter dem Vorwand eingeschüchtert werden, dies sei angeblich illegal gewesen.
Es sind haarsträubende Geschichten. „Aber die meisten Opfer zahlen“, gibt Kriminalhauptkommissar Carsten Bäcker zu bedenken. Und nur die wenigsten melden sich bei der Polizei. Bäcker kommt vom KK 21 - von dem Kommissariat, das sich mit organisierter Kriminalität befasst. Und diese geschilderten Taten gehören mit Sicherheit dazu. 20 Akten liegen jetzt auf seinem Tisch. 20 Fälle, davon vier in Essen. Die bisher bekannte Schadensgröße: mindestens 200.000 Euro. Aber Bäcker befürchtet, dass diese Bande bundesweit schon Millionen ergaunert hat. 30 weitere Vorfälle werden geprüft. Und ab Montag wird die Zahl sprunghaft in die Höhe gehen, weil das Essener Präsidium dann sämtliche Polizeidienststellen bundesweit informiert. In Mülheim ist bislang noch kein Fall bekannt geworden. Das heißt aber nichts Vorsicht ist geboten.
Essen ist Herr des Verfahrens. Hier wurde der erste Fall bekannt, als am 26. Mai ein 89-jähriger Herr aus der Stadtmitte von einem angeblichen Polizisten angerufen wurde, weil er früher an einem Gewinnspiel teilgenommen habe und jetzt 13.000 Euro Buße zahlen solle. Der betagte Herr ließ sich nicht beirren und rief die Polizei.
Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Doch die Täter können ungehindert offenbar in der Türkei agieren. Sie rufen von Prepaid-Handys an - mit Rufnummern, die sich ähnlich sind. Die Nummern können keiner Person zugeordnet werden. Carsten Bäcker: „Das einzige, was wir haben, ist eine Stimme.“ Mittlerweile sind es vier. Und möglicherweise ist der Täterkreis noch größer.