Kamp-Lintfort. Die Deutsche Bahn mache es Reisebüros schwer, Tickets zu verkaufen, ärgert sich Necip Söylemis aus Kamp-Lintfort. Was das für Kunden bedeutet.

Auch schon mal gegen den Fahrkartenautomaten getreten? Weil es für das Lösen eines Tickets mindestens eines Hochschulstudiums bedarf? Früher ging man da ins Reisebüro seines Vertrauens. Heute geht das nicht mehr so einfach. „Ich bin der einzige im Kreis Wesel, der noch als Verkaufsstelle für Bahntickets funktioniert“, behauptet Necip Söylemis von Artz-Reisen. Und das auch nur noch bis September. Denn zu dem Termin hat die Deutsche Bahn das Computersystem, mit dem der Kamp-Lintforter arbeitet, gekündigt. Es war das günstigste.

Er könnte natürlich ein anderes System der Bahn nutzen, aber das koste ihn 150 Euro im Monat. Die zahle er drauf. „Provisionen für die Vermittlung eines Tickets gibt es schon lange nicht mehr“, sagt der Experte.

Wer bucht jetzt die Klassenfahrten?

Er sieht eine Strategie der Deutschen Bahn dahinter, wenn Verkaufsstellen abgehängt werden, damit die Kunden direkt bei der DB ihre Tickets buchen, in der App, online oder am Schalter. „Warum machen die uns kaputt, wir kosten die doch nichts?“, fragt sich der Geschäftsführer von Artz-Reisen. Und er verweist auf Tickets, die eben nicht 0815 sind: „Vielleicht möchte jemand seine Koffer vorschicken, was ist mit Klassenfahrten?“ Da sei ein Experte an der Seite hilfreich.

Moers: Die Deutsche Bahn sieht das Problem nicht. Auf Anfrage der Redaktion verweist man dort auf das Tool Bahneasy: „Wir haben mit BahnEasy ein kostenfreies Online-Buchungstool für Reisebüros eingeführt. Mit BahnEasy ermöglichen wir allen Reisebüros und Agenturen deutschlandweit, die bisher keine Bahn-Tickets verkaufen, Bahnangebote in ihr Verkaufsportfolio aufzunehmen. “

Necip Söylemis, Chef von Artz-Reisen in Kamp-Lintfort
Necip Söylemis, Chef von Artz-Reisen in Kamp-Lintfort © Martin Emmerichs

Natürlich kennt auch Söylemis Bahneasy: „Ja, kostet nichts, kann aber auch nichts“, kommentiert er. Dass noch Luft nach oben ist, räumt die Bahn tatsächlich verschämt unter den FAQs auf der Homepage ein: „Aktuell ist es möglich, die am meisten nachgefragten Nah- und Fernverkehrsangebote zu buchen (...).“ Und weiter: „Eine Auswahl an regionalen onlinefähigen Nahverkehrsangeboten steht ebenso zur Buchung über BahnEasy zur Verfügung.“ Der Experte sagt: „Das Tool schmeißt nur das raus, was die Bahn will, nicht, was der Kunde will.“

Aufgepasst – sonst geht der Zug nach Würzburg über Berlin

Bei der App sähe es ähnlich aus. „Die Verbraucherzentrale hat mal herausgefunden, dass 25 Prozent der Bahntickets entweder zu teuer sind oder die Reise 25 Prozent länger dauert“, erklärt Söylemis. Und genau das könne er als Reise-Profi eben besser. Und wer bei der App nicht aufpasst, sagt er, buche womöglich eine Fahrkarte nach Würzburg über Berlin, weil es 5 Euro billiger ist.

Blick nach Moers: Verwirrung um ein Schild auf dem Radweg

Aufpassen sei überhaupt angesagt für den, der ohne Hilfe im Tarifdschungel unterwegs ist, wieLothar Ebbers von Pro Bahn ergänzen kann: „Ausgerechnet den Sparpreis Senioren kann man nur online buchen, aber nicht am Automaten oder Schalter lösen“, weiß er zu berichten. Er ordnet die Lage beim Ticketverkauf für Fernreisen mit der Bahn so ein: „Freizeitreisende, Urlauber scheinen denen lästig zu sein, es geht um Geschäftskunden.“

Die betreut auch Michael Wittmannvom Kios West in Moers noch. „Das ist eine Mischkalkulation. Das Angebot für Geschäftskunden gehört einfach in unser Portfolio.“ Den Ticketverkauf für Privatkunden habe er schon 2020 aufgeben.

Fahrkarten für englische oder norwegische Züge – kein Problem

Kurios: Wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass Necip Söylemis sich ein französisches Buchungstool besorgt. Da werden noch Provisionen bezahlt, und es ist günstig. „Das ist doch Wahnsinn. Ich kann mit meinem System hier den Glacier-Express buchen, jede Bahnverbindung in Norwegen oder England, nur Deutsche Bahn, das geht nicht.“

Dass die Deutsche Bahn offenbar ein Interesse hat, den Ticketverkauf bei sich zu halten, hat auch das Kartellamt auf den Plan gerufen. Söylemis bezieht sich auf einen Artikel einer Fachzeitschrift. Danach sei „dem Konzern auferlegt worden, bestimmte Verhaltensweisen und Vertragsklauseln zu ändern.“ Denn die DB missbrauche ihre Marktmacht. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig.