An Rhein und Ruhr. Gewerkschaft Verdi streikt trotz Pandemie. Auch gegen verkaufsoffene Sonntage will man weiter vorgehen, sagt NRWs Verdi-Chefin Schmidt.

Busse und Bahnen bleiben im Depot und Mülltonnen ungeleert. In den aktuell laufenden Tarifverhandlungen setzt Verdi auf Warnstreiks, auch in NRW gehen zahlreiche Mitglieder für höhere Löhne auf die Straße – mitten in der Corona-Pandemie. Vor der nächsten Verhandlungsrunde am 22. Oktober hat Redakteur Simon Gerich mit Gabriele Schmidt, Landesbezirksleiterin der Gewerkschaft in NRW, über den derzeit laufenden Arbeitskampf und das Vorgehen gegen geplante verkaufsoffene Sonntage gesprochen.

Frau Schmidt, wie bewerten Sie den aktuellen Arbeitskampf, gerade auch im Hinblick auf die Resonanz unter den Verdi-Mitgliedern?

Wir sind selber etwas überrascht, weil wir mehr Zustimmung unter den Streikenden und höhere Streikzahlen haben als 2018. Wir sind ursprünglich davon ausgegangen, dass wir wegen der Corona-Pandemie gar nicht in der Form streiken können und haben deshalb immer zweigleisig geplant. Unter den Mitgliedern stellte sich dann aber schnell heraus, dass viele zunehmend bereit waren, ganz normal zu streiken. Viele Beschäftigte etwa in der Kranken- und Altenpflege und auch in der Müllabfuhr sind unheimlich frustriert, weil sie keine Wertschätzung durch die Arbeitgeber bekommen. Das hat zu einer Stimmung geführt, dass viele gesagt haben „Jetzt reichts“ und das merkt man im Moment ziemlich deutlich.

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Es gibt Stimmen, die den Zeitpunkt der Streiks mitten in der Corona-Pandemie sehr kritisch sehen. Es wird Ihnen beispielsweise vorgeworfen, Kranke und Tote zu riskieren, etwa wenn sich Menschen in vollen Zügen drängeln, weil Bus und Bahn stillstehen.

Ich kann verstehen, dass es diese Kritik in der Bevölkerung gibt und dass manche auch frustriert sind. Wir versuchen, sehr verantwortungsvoll mit den Streiks umzugehen, nicht nur im Nahverkehr, sondern auch im Bereich Kitas. Da kündigen wir das immer vorher an und streiken auch nicht flächendeckend, sodass wir dort die Hoffnung haben, dass es Möglichkeiten für die Eltern gibt, etwa durch Notgruppen. Beim Nahverkehr haben wir eine besondere Situation, weil wir auf einen bundesweiten Rahmentarifvertrag abzielen, da wir eine ziemliche Spreizung der Tarifverträge in den einzelnen Ländern erlebt haben in den vergangenen Jahren. Da haben die Arbeitgeber komplett abgelehnt, überhaupt Verhandlungen zu führen. Das hat dazu geführt, dass die Kolleginnen und Kollegen im Nahverkehr sehr frustriert sind.

Streik: Überlagert durch Corona?

Aber die Kritik können Sie schon nachvollziehen?

Ja. Aber das ist das Problem, das wir beim öffentlichen Dienst haben: Wenn wir streiken, betrifft es immer Menschen. Wenn in manch anderen Branchen gestreikt wird, dann ist das für die Bevölkerung nicht so schnell spürbar. Wenn der öffentliche Dienst bestreikt wird, dann gibt es Dienstleistungen, die sofort nicht mehr stattfinden und die Bevölkerung treffen. Ich würde mir natürlich wünschen, dass diese Kritik auch bei den Arbeitgebern platziert wird und nicht nur bei uns.

Verdi-Landeschefin Gabriele Schmidt im Interview.
Verdi-Landeschefin Gabriele Schmidt im Interview. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

In der Öffentlichkeit wird der Streik diesmal weniger wahrgenommen – Corona überlagert vieles. Sind Warnstreiks überhaupt noch ein scharfes Schwert im Arbeitskampf, wenn etwa Arbeitnehmer auch im Homeoffice arbeiten können statt mit Bus und Bahn zur Arbeit zu fahren?

Es geht uns ja nicht darum, die Bevölkerung zu treffen. Wenn es vielen Menschen ermöglicht wird, im Homeoffice zu arbeiten, dann können wir das ja nur begrüßen. Wir haben mit Streiks nach wie vor ein Druckmittel bei den öffentlichen Arbeitgebern. Gerade bezogen auf den Nahverkehr ist die aktuelle Lage unverantwortlich. Die Arbeitgeber müssen ja ein Interesse haben, dass der ÖPNV perspektivisch ausgebaut wird, weil er einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Wir wissen, dass es einen riesigen Personalbedarf geben wird in den nächsten Jahren und die Arbeitgeber jetzt schon Schwierigkeiten haben, Personal zu finden. Wenn die Arbeitgeber nicht bereit sind, qualitativ gute Arbeit entsprechend zu bezahlen, befürchte ich, dass die Menschen nicht mehr bereit sein werden, im Nahverkehr zu arbeiten.

In der kommenden Woche steht die nächste Tarifrunde an. Mit welchem Gefühl blicken Sie darauf?

Ich hoffe auf eine Einigung, habe auf der anderen Seite aber die Befürchtung, dass die Arbeitgeber sich nicht bewegen. Die Signale aus der Verhandlungsführung stimmen uns aktuell noch nicht optimistisch. Ich bin deswegen noch ein bisschen skeptisch, würde mich aber freuen, wenn wir uns in dieser Verhandlungsrunde einigen.

Widerstand gegen verkaufsoffene Sonntage

Ein anderes Thema, mit dem Verdi öfter in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt, ist das Vorgehen gegen verkaufsoffene Sonntage in Innenstädten. Warum machen Sie das?

Das ist eine Auseinandersetzung, die schon seit Jahrzehnten läuft. Wir erleben die schrittweise Aufweichung des Ladenöffnungsgesetzes und die Sonntage sind das, was noch übrig bleibt. Sollte der Sonntag als freier Tag im Handel fallen, befürchten wir, dass er auch in anderen Bereichen schnell fällt, etwa in der Paketzustellung. Der Sonntagsschutz ist ein sehr hoher Schutz, zurecht aus unserer Sicht. Wir werden auch weiter gegen verkaufsoffene Sonntage vorgehen.

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Lokale Einzelhändler reagieren darauf mit Unverständnis – wie zuletzt in Dinslaken. Sie haben seit Jahren mit der großen Konkurrenz im Netz zu kämpfen, jetzt kam noch der Corona-Lockdown dazu. Aus Händlersicht sollen verkaufsoffene Sonntage dringen notwendige Umsätze generieren.

Es kommt drauf an, welche Bereiche im Handel betrachtet werden. Der Lebensmittelhandel etwa hat Umsatzsteigerungen verzeichnet während des Lockdowns und auch im Bereich Technik steigen die Umsätze derzeit. Einzig der Bereich Bekleidung hinkt mit dem Umsatz hinterher. Wir reden bei den verkaufsoffenen Sonntagen von einem möglichen Umsatzplus von ungefähr drei Prozent. Hier steht die Argumentation nicht im Verhältnis mit den Umsatzzahlen und deswegen sehen wir den Sinn hinter verkaufsoffenen Sonntagen nicht. Wer seine Weihnachtseinkäufe erledigen will, der wird dies dann an einem anderen Tag tun.

Verkaufsoffene Sonntage: Insolvenzen liegen nicht an ausgefallenen Sonntagen

Können Sie Mitarbeiter verstehen, die sagen, sie wollen lieber mal an einem Sonntag arbeiten, als arbeitslos zu werden, weil Umsätze fehlen?

Emotional kann ich das natürlich verstehen, vor allem wenn der Arbeitgeber damit droht. Es wird aber nicht an diesem Sonntag liegen, dass ein Geschäft schließen muss. Wir glauben vielmehr, dass der Handel Angebote schaffen muss, wie Innenstädte wieder attraktiver werden. Wir wären dazu bereit, uns mit dem Handel zusammen zu setzen und zu überlegen, was man gemeinsam auf die Beine stellen kann. Es hat auch schon Versuche aus der Politik gegeben, so ein Projekt anzuschieben, aber bislang ist der Handel dazu nicht bereit.