Kreis Wesel. Migrationsberatung bekommt im kommenden Jahr ein Drittel weniger Geld: Kreis Weseler Verbände reagieren mit einem Brandbrief. Ihre Argumente.

Ein Punkt im Etatvorschlag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat jetzt vom Kreis Wesel aus zu einer Art „Brandbrief“ an Berlin geführt, denn er hätte eine direkte Auswirkung auf das Miteinander in den Städten und Gemeinden: Faeser will die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer für das kommende Jahr um 24 Millionen Euro auf 57,5 Millionen zusammenstreichen.

Ausgerechnet in diesen Zeiten: „Das erfüllt die Migrationsberatungsstellen im Kreis Wesel mit Sorge und Unverständnis“, heißt es in dem Appell, der von den beiden Caritasverbänden, Awo-Kreisverband Wesel, DRK Dinslaken-Voerde-Hünxe und dem Internationalen Kulturkreis Moers an die Bundesregierung geht – verbunden mit der Aufforderung an die heimischen Bundes- und Landtagsabgeordneten sowie Landrat und Kreisdirektor, „aktiv gegen die geplanten Einschränkungen der Bundesregierung vorzugehen.“ Sie sehen „massive Auswirkungen auf die Ratsuchenden, sondern auf unser gesamtes Gemeinwesen vor Ort – und das auf lange Zeit.“

Der Landrat sieht es genauso: „Ich teile die Meinung der Wohlfahrtsverbände zu den geplanten Kürzungen. Wieso man gerade in der aktuellen Flüchtlingssituation die Mittel der Migrationsberatung umfangreich kürzen will, ist für mich nicht nachvollziehbar. Die Bundesregierung wird damit ihrer Gesamtverantwortung gegenüber den geflüchteten Menschen, aber auch gegenüber den Städten und Gemeinden nicht gerecht“, so Ingo Brohl.

Konsequenzen sofort in den Städten und Gemeinden spürbar

Brunhild Demmer, Direktorin des Caritasverbandes Moers-Xanten, erwartet, dass das sofort spürbare Konsequenzen in den Städten und Gemeinden hätte, dort, wo die geflüchteten Menschen leben. „Sparen an dieser Stelle ist extrem schwierig. Mit den steigenden Flüchtlingszahlen steige spürbar auch der Unmut in der Bevölkerung, sichtbar an den Protesten gegen neue Unterkünfte. Migrationsberatung ist die Hilfe, sich in Deutschland zu integrieren, „fehlende Integration gefährdet den sozialen Frieden“, sagt Demmer. Schon jetzt sei die Lage angespannt: „Die Migrationsberatungsstellen haben einen sehr hohen Zulauf, sie quellen über. Die Mitarbeitenden sind sehr belastet.“ Sollte in diesem Bereich um ein Drittel gekürzt werden, müssten die Verbände die Lücke aus Eigenmitteln stemmen – das können sie nicht. Schon jetzt sei dieser Bereich nicht auskömmlich finanziert, ebenso die der Flüchtlingsberatung.

Olga Weinknecht vom Awo-Kreisverband Wesel erläutert das System: Wer nach Deutschland kommt und noch in einem Asylverfahren steckt, wird von den Flüchtlingsberatungsstellen unterstützt. Sobald jemand anerkannt ist, übernimmt die Migrationsberatung – theoretisch. „Häufig muss die Flüchtlingsberatung die Menschen weiter betreuen weil die Migrationsberatung überlastet ist.“ Seit Jahren habe man Verstärkung von der Politik gefordert – statt dessen nun dieser Kürzungsplan. Die Menschen, die in der Flüchtlingswelle 2015/16 zu uns gekommen sind, sind in der Regel anerkannt – integriert aber nicht unbedingt.Hinzu kommen seit Februar 2022 die Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine Schutz suchen.

Weinknecht nennt ein Alltagsbeispiel aus ihrem Verband: Es gibt zwei Stellen in diesem Bereich, angesiedelt in Dinslaken und Moers. „Bis heute haben sie in diesem Jahr bereits 497 Klienten betreut“, mindestens zwei Sitzungen seien jeweils notwendig. Eine Kollegen habe am Donnerstag allein zehn Ratsuchende betreut.

Die Situation ist klar und die Verbände finden in ihrem Appell klare Worte: „Es ist für uns unverständlich, warum gerade in der Zeit der höchsten Zuwanderung seit der großen Fluchtbewegung nach Ende des zweiten Weltkriegs und eines immer noch größer werdenden Fachkräftemangels die wichtigsten Angebote für Geflüchtete und Migrant*innen drastisch reduziert werden sollen.“ Weitere Brisanz erfahre das Thema durch die Ankündigung der Landesregierung, dass künftig mehr Flüchtlinge auf die Kommunen verteilt werden sollen.

Psychosoziale Zentren sollen zehn Millionen Euro weniger bekommen

Doch nicht nur das Geld für Migrationsberatung soll knapper werden: Auch Psychosoziale Zentren sind betroffen, die Verbände verweisen darauf, dass viele Schutzsuchende psychisch schwer belastet oder traumatisiert sind. 2023 seien die Bundesmittel deshalb um zehn Millionen auf 17 Millionen Euro angehoben worden, im kommenden Jahr soll es zurück auf den Stand 2021 gehen, sieben Millionen also. Das bedeute, die gerade mühsam gefundenen und eingearbeiteten Fachkräfte zum Ende des Jahres wieder zu entlassen. Traumatisierte Geflüchtete müssten dann Abbruch von psychosozialer Beratung und Therapie erleben, so die Verbände. „Das ist für traumatisierte Menschen ein Desaster, verhindert ihre Integration und führt perspektivisch zu erheblichen Mehrkosten für das Gesundheitssystem.“