Düsseldorf. Das Land NRW will mehr Flüchtlinge den Kommunen zuweisen. Ministerin Paul musste sich am Donnerstag im Landtag der Kritik stellen.

Die schwarz-grüne Landesregierung gerät wegen ihrer Flüchtlingspolitik immer stärker unter Handlungsdruck. Die Oppositionsfraktionen warfen NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde „Organisationsversagen“ vor, weil es ihr seit Monaten nicht gelinge, genügend Plätze des Landes für die Aufnahme von Geflüchteten zu schaffen. „Sie haben kein Konzept. Sie sind planlos“, warf SPD-Fraktionsvize Christian Dahm der Ministerin vor.

Die Ankündigung des Landes NRW, 1500 Geflüchtete mit guter Bleibeperspektive direkt an Städte und Gemeinden durchzuleiten, löste in den vergangenen Tagen zunächst in den Kommunen und nun auch Im Landtag einen Sturm der Entrüstung aus. „Das ist ein Offenbarungseid“, wetterte FDP-Fraktionsvize Marc Lürbke. Ministerin Paul sei entweder „völlig beratungsresistent“ oder „unfähig“. Eigene Vorschläge aus den Städten seien von ihr zuletzt einfach ignoriert worden.

Flüchtlingsunterbringung: Ministerin Paul kontert Kritik

Der Hauptvorwurf der Opposition: Die Landesregierung schaffe es nicht einmal, die von ihr selbst versprochenen 34.500 Landes-Plätze für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Derzeit sind es tatsächlich nur gut 30.000, davon sind gut 90 Prozent belegt. „Sie haben dieses Ziel längst aufgegeben“, warf Christian Dahm Josefine Paul vor.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016 sei es dem Land Nordrhein-Westfalen hingegen gelungen, sogar rund 85.000 Plätze für Geflüchtete zu schaffen. Josefine Paul konterte diese Kritik mit dem Hinweis, damals seien in erster Linie Notunterkünfte in Turnhallen geschaffen worden. „Das kann nicht der Weg in der aktuellen Lage sein“, sagte sie.

„Sechs-Punkte-Plan“: Dialog mit Rathäusern verbessern

Die viel kritisierte beschleunigte Zuweisung von Geflüchteten sei mitnichten eine Erfindung der heutigen Landesregierung, betonte Paul weiter. In der Verantwortung des früheren NRW-Integrationsministers Joachim Stamp (FDP) sowie des Ex-Innenministers Ralf Jäger (SPD) seien Geflüchtete den Städten zum Teil noch schneller zugewiesen worden als heute.

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Kurz vor der Debatte hatte die Landesregierung einen „Sechs-Punkte-Plan“ zur Stabilisierung der Flüchtlingsaufnahme vorgelegt. Demnach werden Schutzsuchende in Landeseinrichtungen künftig komplett auf die Aufnahmeverpflichtung der Städte angerechnet. Der Dialog mit den Rathäusern und den Bürgerinnen und Bürgern werde verbessert, die Bezirksregierungen würden vom Land bei der Suche nach geeigneten Flächen und Gebäuden für die Unterbringung von Geflüchteten mehr als bisher unterstützt. SPD, FDP und AfD halten diesen Vorstoß für völlig unzureichend.

Josefine Paul will Bürger und Geflüchtete zusammenbringen

In den vergangenen Wochen häuften sich in NRW die Konflikte im Umfeld von Flüchtlingsheimen, zum Beispiel in Mülheim-Raadt und in Selm-Bork. In Arnsberg wurden Pläne für eine Unterbringungseinrichtung nach Bürger-Protesten sogar fallengelassen.

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Angesichts der breiten Kritik und Ablehnung in der Bevölkerung will Josefine Paul Kommunen und Anwohner künftig frühzeitiger einbinden. Unter anderem sollten Mediatoren eingesetzt werden, „um die Debatte versachlicht zu führen und gleichzeitig Fragen und Sorgen der Anwohnenden zu berücksichtigen“, heißt es im „Sechs-Punkte-Plan“.

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Außerdem würden die Bezirksregierungen dabei unterstützt, Info-Material zu erstellen und Bürger-Sprechstunden durchzuführen. Auch Ehrenamtliche sollen helfen, den persönlichen Kontakt zu stärken und bei Konflikten zwischen Bürgerschaft und Flüchtlingen zu vermitteln – etwa durch Begegnungsfeste.

Bund soll sich an den Kosten für Aufnahme und Unterbringung beteiligen

Erstmals werde das Land aber auch Haushaltsmittel für eigene Konzepte zur freiwilligen Rückkehr nutzen, sagte Paul der Deutschen Presse-Agentur. „Im Interesse aller Beteiligten ist die freiwillige Ausreise gegenübereiner zwangsweisen Rückführung die bessere Option.“

Die überraschende Ankündigung, den Kommunen wegen Kapazitätsengpässen in den Landeseinrichtungen vorzeitig Flüchtlinge zuzuweisen, hat vor Ort Sorgen und Empörung ausgelöst.
Die überraschende Ankündigung, den Kommunen wegen Kapazitätsengpässen in den Landeseinrichtungen vorzeitig Flüchtlinge zuzuweisen, hat vor Ort Sorgen und Empörung ausgelöst. © dpa | Henning Kaiser

Allerdings sei auch der Bund aufgerufen, „seiner Steuerungsfunktion in Migrationsfragen stärker nachzukommen und sich strukturell an den Kosten für Aufnahme und Unterbringung der Schutzsuchenden zu beteiligen“, bekräftigte die Grüne. „Probleme, die im Aufnahmesystem bestehen, müssen offen angesprochen, aber auch konsequent und zielführend angegangen werden.“

Das Land NRW habe bereits eine Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes in den Landtag eingebracht, um Unterbringungen in Landeseinrichtungen zu 100 Prozent auf die Aufnahmeverpflichtung der Kommunen anzurechnen, auf deren Gebiet sie betrieben werden. Darüber hinaus sollen die Bezirksregierungen stärker bei der Akquise von Flächen und Gebäuden unterstützt werden. Das gelte auch für Belegungsprobleme in bestehenden Einrichtungen. „Sperrungen führen immer wieder zu spürbaren Kapazitätseinschränkungen“, heißt es im Sechs-Punkte-Plan. Ein Beispiel seien Wasserschäden. Schließlich soll den Kommunen künftig auch ein Lagebild mit „monatsscharfer Prognose“ das Aufnahme-Management erleichtern.

Kritik von SPD und AfD: Kommunen bereits massenhaft überlastet

Im Landtag kann die Ministerin sich auf harsche Kritik gefasst machen: Die FDP-Fraktion kritisiert in ihrem Antrag eine Überforderung der Bürgerinnen und Bürger und spricht von einem „Offenbarungseid der schwarz-grünen Landesregierung“. SPD und AfD verweisen darauf, dass bei den Bezirksregierungen bereits massenhaft Überlastungsanzeigen aus den Kommunen eingegangen seien.

In den zentralen Unterbringungseinrichtungen und Notunterkünften des Landes beträgt die Aufenthaltsdauer laut Flüchtlingsministerium in der Regel zwischen drei und 16 Monaten. In Einzelfällen könnten es auch bis zu 24 Monate sein. In den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes dauere der Aufenthalt in der Regel nur wenige Tage. Die Bezirksregierungen prüften aktuell mehr als 40 weitere Liegenschaften. Aufgrund auslaufender und nicht verlängerbarer Mietverträge hätten aber auch Unterkünfte schließen müssen.

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Das Land verfügt laut Ministerium aktuell über 45 Landesunterkünfte mit 30.780 aktiv betriebenen Plätzen. Die Einrichtungen seien zu etwa 89 Prozent ausgelastet. Der Städte- und Gemeindebund NRW hatte mehrfach einen deutlichen Ausbau der Landeskapazitäten auf etwa 70.000 bis 80.000 Plätze angemahnt.

Die SPD-Fraktion kritisiert, die Landesregierung habe ihr „völlig unzureichendes Ausbauziel nicht einmal annähernd erreicht“. Jetzt sei eine schnelle Lösung zur Entlastung der Kommunen vonnöten.

(mit dpa)