Kreis Wesel. Weniger Haus- und Fachärzte im Kreis Wesel, volle Wartezimmer und die Baby-Boomer stehen vor der Tür: Guter Rat ist gesucht und er ist teuer.
Wer stundenlang im Wartezimmer sitzt und zudem weite Wege zum Haus- oder Facharzt in Kauf nehmen muss, weiß, dass etwas nicht stimmt. Das Problem wird sich im Kreis Wesel in den kommenden Jahren zuspitzen. Deshalb hat die Gesundheitskonferenz des Kreises 2021 eine Arbeitsgruppe zum Thema Haus- und Fachärztliche Versorgung gegründet – jetzt liegen die Ergebnisse dem Kreisgesundheitsausschuss vor. Sie klingen hilflos.
Viele niedergelassene Ärzte stehen vor dem Ruhestand, finden keine Nachfolger. Frank Berger (CDU), Vorsitzender des Kreisgesundheitsausschusses, stellt neben diese Entwicklung eine andere: „In zehn bis 15 Jahren werden die Babyboomer in den Wartezimmern sitzen“, sagt er. Was tun?
Auf Kreisebene hat die Arbeitsgruppe, darin vertreten die Fachverwaltung, die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO), die Ärztekammer, Vertreter der Krankenkassen, der kreisangehörigen Kommunen und spezialisierte Beratungsunternehmen, nach Lösungen gesucht. Perspektivisch sei eine Unterversorgung in Teilen des Kreises Wesel zu erwarten, aktuell schon im Bereich Xanten und Sonsbeck festzustellen, außerdem in einigen ländlichen Gegenden. So machte man sich auf Ideensuche, um gegenzusteuern.
Informieren, fördern, werben
Mit ernüchternden Ergebnissen: Bei den zahleichen Aktivitäten in anderen Regionen gebe es keine messbaren Erfolge oder sie seien nicht übertragbar, stellte die AG fest. Ziel ist es, scheidende niedergelassene Ärzte mit interessiertem medizinischen Nachwuchs zusammenzubringen. Die KVNO bietet sich als Ansprechpartnerin an, informiert über Fördermöglichkeiten. Im März trafen sich Landrat, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mit der KVNO, um ihre Aktivitäten zu vernetzen und Werbeformate zu entwickeln. Eine Idee ist es, „kommunale Lotsen“ für interessierte Ärzte bei den Gemeinden zu installieren. Der Kreis wird zudem am nächsten Praxisbörsentag der KVNO am 3. Juni an einem Stand für sich werben – einer Messe gleich, die 300 bis 400 Ärzte besuchen. Sollte all das nicht von Erfolg gekrönt sein, bliebe die Möglichkeit der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Investoren, das können Ärzte, Krankenhäuser oder Private sein, würden eine Praxis übernehmen und einen Arzt oder eine Ärztin anstellen. Die Kassenärztliche Vereinigung müsste dem aber zustimmen und den Bedarf anerkennen.
Ohnehin sieht Frank Berger eine große Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Patienten und der der KVNO, die allein definiert, wo eine Unterversorgung herrscht und entsprechend handelt. Den klassischen Schwarzen Peter mag er ihr allein dennoch nicht zuschieben, denn sie hängt am Tropf der Krankenkassen: „Das Problem ist das System, das grundsätzlich reformiert werden muss.“
Der Bund ist am Zug, muss viel Geld in die Hand nehmen
Eine Lösung, und zu diesem Schluss ist auch die Arbeitsgruppe der Kreisgesundheitskonferenz gekommen, kann nur der Bund liefern. Für studierte Mediziner ist die Entscheidung für eine eigene Praxis zunehmend unattraktiv, der Nachwuchs wandert lieber in Pharmaindustrie, Krankenkassen und andere Bereiche. Das zu ändern, würde deutschlandweit laut Berger sehr viel Geld kosten – ein Thema, das niemand anfassen möchte. Warum handelt der Bund nicht? „Wenn es Ihnen als Mensch völlig egal ist, keine Freunde zu haben, werden Sie Bundesgesundheitsminister“, sagt er dazu. Die Krankenkassenbeiträge müssten steigen, die Wirtschaft würde protestieren, für den Systemwechsel müsste auf viele Zehen getreten werden. Mit Blick auf die Babyboomer geht Berger aber davon aus, dass das Problem sich spätestens in zehn, 15 Jahren nicht mehr hin und her schieben lässt.
Bis dahin bleiben Kommunen und Kreis nur wenig Möglichkeiten. Eine davon ist, es den Nachwuchsmedizinern so leicht wie möglich zu machen: „Wir könnten nicht herkommen und vom Kreis aus den Ärzten einen Bonus zahlen: Ambulante Behandlung ist ausschließlich Sache der KV.“ Möglich wäre es aber, dass Kreis oder Kommunen Sachmittel bereitstellen. Beispielsweise die Praxen samt Inventar kaufen und an die Interessenten vermieten. Ansätze dafür gibt es in Alpen und Sonsbeck. Eine Therapie für das Grundsatzproblem aber liegt nicht in regionaler oder lokaler Hand.